Musik fürs Herz und für die Seele: Die Staatsoper Hamburg feiert eine fulminante Wiedereröffnungspremiere

Georg Friedrich Händel, Agrippina, PREMIERE  Staatsoper Hamburg, 28. Mai. 2021

Endlich wieder Oper! Mit allem, was dazu gehört: herausragende Stimmen, eine fabelhafte Inszenierung und reichlich Bravo-Rufe aus dem Publikum. Eine der besten Premieren am Gänsemarkt der letzten Spielzeiten. 

Staatsoper Hamburg, 28. Mai. 2021

Fotos: Vasily Khoroshev, Renato Dolcini, Chao Deng, Luca Tittoto, Franco Fagioli, Anna Bonitatibus, Julia Lezhneva – Hans Jörg Michel ©

Georg Friedrich Händel, Agrippina
Libretto von Vincenzo Grimani

von Johannes Karl Fischer

Nach sieben Monaten Kultur-Lockdowns ist es höchste Zeit, dass nach dem Schlussakkord wieder geklatscht und „Bravo“ gerufen wird. Und solche Vorstellungen wie diese „Agrippina“ würde man auch ohne den besonderen Reiz, dass es die erste Vorstellung mit Publikum seit vor Weihnachten war, sehr gerne sehen. Ein Abend der Händel-Superlative: von Julia Lezhnevas Poppea über Anna Bonitatibus’ Agrippina bis hin zu Barrie Koskys genialer Inszenierung: Alles war so, wie es sich für eine Händel-Oper gehört. Man musste kein Händel-Fan sein, um bei dieser Vorstellung zu den vielen „Bravo“-RuferInnen zu gehören.

Julia Lezhneva (Poppea) ist eine der besten Sängerinnen der Gegenwart, davon habe ich mich schon mehrmals überzeugt. Aber das, was sie da geleistet hat, war nochmal eine Klasse besser als das, was ich in ihren bisherigen Vorstellungen gehört habe. Einfach absolute Spitzenklasse. In der ersten Hälfte gab es für sie gleich zweimal Brava-Rufe. Und das absolut verdient. Mühelos sang sie die Koloraturen auf und ab, ihre Stimme weich und sanft. Sie erinnerte schon fast an die alten Edita-Gruberová-Aufnahmen. Sozusagen die neue Gruberová des Barock-Repertoires.

Anna Bonitatibus (Agrippina, Foto) konnte ebenfalls vollkommen überzeugen. Sie sang etwas kräftiger und mit mehr Vibrato als Lezhneva, was aber auch zu ihrer Rolle gepasst hat. Von Barrie Kosky als Strippenzieherin des Geschehens dargestellt, konnte sie auch schauspielerisch sehr überzeugen.

Anna Bonitatibus, Agrippina

Insgesamt drei Countertenöre sind in dieser Oper heutzutage vorgesehen. Zwei davon, Christophe Dumaux (Ottone) und Vasily Khoroshev (Narciso) haben mich dazu gebracht, meine nicht allzu begeisterte Einstellung gegenüber dieser Stimmlage nochmal zu überdenken. Beide haben auch in diesen sehr hohen Lagen noch sehr sanft und lyrisch gesungen.

Auch Franco Fagioli (Nerone, Foto) war sehr gut, allerdings wirkte sein Gesang etwas härter als der der beiden anderen Countertenöre. Seine Stimme ging aber auch bis auf das dreigestrichene c hinauf – also eine ganz Oktave über dem „hohen c“ eines Tenors. Das muss man erst mal schaffen. Von allen dreien hat er mit Abstand den meisten Applaus gekriegt.

Mit Luca Tittoto (Claudio), Renato Dolcini (Pallante) und Chao Deng (Lesbo) waren auch die Bass- bzw. Baritonrollen extrem stark besetzt. Tittoto gab der Musik ein solides Fundament, sang sehr kräftig, eine kleine Nuance zu viel für Händel. Deng wird man als neues Ensemblemitglied an der Elbe noch öfter hören, darauf kann man sich auf jeden Fall schon sehr freuen.

Im Graben saß das Ensemble Resonanz unter der Leitung von Riccardo Minasi. In semi-historischer Aufführungspraxis spielten sie mit sehr viel Freude, ohne dabei vor lauter Enthusiasmus zu laut zu werden. Selbst im dritten Rang waren die SängerInnen noch sehr gut zu hören, was auch an der sehr guten Akustik der Hamburgischen Staatsoper lag. Nur bei den Barock-Trompeten hat man gemerkt, dass diese Instrumente sehr schwer zu spielen sind. Von den wenigen Noten, die Händel für diese Instrumente vorsieht, war die eine oder andere nicht ganz richtig. Bei den Blockflöten war das allerdings nicht der Fall; man kriegt das also auch auf historischen Instrumenten hin.

Minasis Dirigat war sehr amüsierend und authentisch. Er dirigierte zwar nicht, wie zu Händels Zeit üblich, vom Cembalo aus, stattdessen aber mit der Geige in der Hand. Einige Passagen spielte er auch mit. Als wäre er der Konzertmeister, der, in einer Zeit ohne Berufsdirigenten, für das Dirigat verantwortlich gewesen wäre. Interessieren würde mich, warum mit zwei Cembali gespielt wurde.

Allein schon die Musik hätte für eine gelungene Premiere gesorgt. Und dann war da auch noch diese Inszenierung von Barrie Kosky, die das absolute Highlight der ganzen Oper war. So reibungslos eine Barockoper in die moderne Zeit zu bringen, das können nur sehr, sehr wenige Regisseure. Das minimalistische Bühnenbild, die humorvolle Darstellung des Librettos: Es machte einfach alles Sinn, und gleichzeitig wurde auch noch die Handlung – so wie sie in der Oper steht –  erzählt. Nur die Verprügelung von Ottone war mir etwas zu brutal; ähnliches hatte ich auch an seiner „Candide“ in der Komischen Oper auszusetzen. Anscheinend hat Kosky eine etwas andere Vorstellung von Humor als ich. Bedauerlicherweise gab es kaum Publikumsreaktionen für die Inszenierung. Keine Bravo-Rufe und keine Buh-Rufe. Das ist das Einzige, was an dieser Premiere gefehlt hat.

Julia Lezhneva (vorne), Franco Fagioli (hinten)

Die derzeitige Spielzeit der Staatsoper Hamburg, insbesondere die Saisoneröffnungspremiere, wurde schon seit der Ankündigung des Corona-gerechten Spielplans viel kritisiert. Von einer „Gurkentruppe in der zweiten Liga“ war gar die Rede. Wenn der Intendant Georges Delnon, der das Publikum sehr einfühlsam begrüßt, die Saison mit dieser Agrippina statt mit molto agitato eröffnet hätte, hätte es an dem Spielplan nichts zu meckern gegeben. Das wäre dann auf Augenhöhe mit den Spielplänen in Berlin, Wien und München gewesen.

Wer am Freitag nicht bei der Premiere dabei war, sollte sich unbedingt noch auf die wenigen Karten für die restlichen Vorstellungen stürzen. Auch für nicht vollständig geimpfte Personen: Der Schnelltest ist es wert. Und das Risiko einer Corona-Ansteckung ist in der Oper deutlich niedriger als im Supermarkt!

Johannes Karl Fischer, 29. Mai 2021 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Anmerkung des Herausgebers: Dieser Abend im Haus an der Dammtorstraße hat die Herzen und die Seelen der Zuschauer berührt. Ich habe selten eine Opernproduktion erleben dürfen, die gesanglich auf einem so „einstimmig“ hohen Niveau lag. Schon die Worte des Intendanten Georges Delnon an das Publikum ließen erahnen, dass eine Sternstunde bevorstehen sollte. Alles war hochwertig, reich und edel. Extraklasse in Hamburg. Pressesprecher Dr. Michael Bellgardt fand in der Pause treffende Worte: „Genießen Sie es einfach!“ Sehr angenehm war auch, dass der Hamburger Senator für Kultur und Medien diesen großen Opernabend verfolgte. Carsten Brosda (SPD) ist seit 21. November 2020 auch Präsident des Deutschen Bühnenvereins.
Andreas Schmidt

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert