Foto: © Royal Opera House
Royal Opera House, London, 21. Januar 2019
Giuseppe Verdi, La traviata
von Sarah Schnoor
Das Royal Opera House ist ein magischer Ort. Nicht nur wegen der unglaublich schön renovierten Foyers. Vor allem der riesige Saal im operntypischen rot-gold ist eine traumhafte Kulisse für Liebhaber und Touristen. Man verliert sich in der Abgeschlossenheit, der Wärme von Teppichen, Polstern und Verzierungen. Der Abend ist schon vor dem ersten Ton immer ein Ereignis für die Sinne.
An diesem Abend wird „La traviata“ gespielt. Verdis bekannteste Oper eignet sich bis heute dazu, sie in Kostümtheaterinszenierungen zu zeigen. Oder zumindest solchen, die dem modernen Regietheater ferngeblieben sind. Und so ist Bob Cowleys Bühne im wahrsten Sinne des Wortes ein Guckkasten. Ein Ort der Zuflucht, eine Illusionskiste voller Gesang, Stoff und riesigen Festsälen.
Antonello Manacorda ist der Dirigent des Abends und legt gleich zu Beginn fest, dass es besonders tragisch werden soll. Langsam und herrlich bedeutungsschwanger kommt die Ouvertüre daher. Verdis Walzertakt schleppt dahin, als wäre Violetta schon fast tot. Natürlich nimmt das Ganze noch Fahrt auf und das Orchester leistet gute Arbeit. Solide, leicht zwischen rechts und links im Graben klappernd, begleitet es die zwei Liebenden durch die traurige Geschichte.
Charles Castronovo leiht dem liebenden Alfredo seine leichte, freie Tenorstimme. Lange Phrasen sind für Castronovo kein Problem und so ist er der faszinierenden Ermonela Jaho ein guter Bühnenpartner. Auch wenn ihr Timing manchmal etwas problematisch ist und ihr Vibrato besonders in der Mittellage etwas groß, begeistert Jaho als Musikerin. Die Art mit ihrer Stimme umzugehen, ist atemberaubend. Sie zaubert traumhaft zarte Pianissimostellen und singt mit einer unfassbaren Leichtigkeit die höchsten Koloraturen. Besonders in der emotionsgeladenen Szene mit Igor Golovatenko (Giorgio Germont) erzeugt Jahos traurig ergebener Gesang Gänsehaut. „Ah! dite alla giovine“ („Ah, sag dem jungen Mädchen, deiner Tochter…“), weint sie quasi und gibt ihre Liebe zu Alfredo für das Glück seiner Schwester auf.
Golovatenko ist ein standhafter Giorgio. Mit kräftigem, aber ruhigem Bariton und klarem Spiel gibt er den strengen, später reuevollen Vater Alfredos.
Sänger und Orchester sind in der Lautstärke sehr gut aufeinander abgestimmt. Nie übertönt das leidenschaftlich spielende Orchestra of the Royal Opera House die Stimmen der Sänger. Besonders die Streicher sind ausdrucksstark und mitreißend.
Die Bühne ist jedoch besonders im zweiten Bild des zweiten Aktes ein überfrachtetes Kostümfest: rot-gold wie der Saal, so leuchtstarke Farben, dass es quasi überfiltert wirkt. Dafür spielen Tänzer die vom Chor herrlich besungenen Matadore und unterhalten das Publikum mit übertriebenen Spielchen. Im Kontrast zu dieser Überfrachtung wirkt das letzte Bild trist. Riesige Fensterläden und ein deckenhoher leerer Bilderrahmen bilden die Wände der ärmlich eingerichteten Sterbestätte Violettas. Noch einmal taucht Doctor Grenvil, gesungen vom sonor-schön klingenden Simon Shibambu, auf und verkündigt leise, Violetta habe nur noch ein paar Stunden.
Die Figuren wirken verloren in dieser überdimensionierten Welt. Immer wieder kommt man auch dank des herzzerreißenden Librettos den Tränen nah, aber so richtig will diese Produktion nicht überzeugen. Ermonela Jahos Musikalität könnte in einer dem Menschen näherkommenden Inszenierung Herzen zerreißen. Doch Kostümtheater macht nur das, was es kann: eine nette Grundlage für einen Opernabend bereiten, der meist artifiziell bleibt. Trotzdem verlässt man diese Hallen in London mit einem Gefühl des Glücks. Ein Opernhaus, das allein der Atmosphäre wegen besucht werden sollte.
Sarah Schnoor, 22. Januar 2018, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung: Antonello Manacorda
Inszenierung: Richard Eyre
Violetta Valéry: Ermonela Jaho
Alfredo Germont: Charles Castronovo
Giorgio Germont: Igor Golovatenko
Annina: Catherine Carby
Flora Bervoix: Aigul Akhmetshina
Baron Douphol: Germán E Alcántara
Doctor Grenvil: Simon Shibambu
Gastone de Letorières: Thomas Atkins
Marquis D’Obigny: Jeremy White
Royal Opera Chorus
Orchestra of the Royal Opera House