Simon Boccanegra © Hans Jörg Michel
Schade, dass das Haus so schlecht besucht war und völlig unverständlich, dass nach der Pause die Reihen noch lichter waren. Denn das war ein Opernabend von besonderer Klasse!
Giuseppe Verdi
Simon Boccanegra
Staatsoper Hamburg, 4. April 2023
Ivan Repušić, Dirigent
Selene Zanetti, Sopran
George Petean, Bariton
Alexander Vinogradov, Bass
Attilio Glaser, Tenor
Blake Denson, Bass
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Claus Guth, Inszenierung
von Dr. Andreas Ströbl
Müssen es immer die Verdi-Opern mit den bekannten Hits sein, die auf den Spielplänen der großen Häuser stehen? Und vor allem – muss immer ein Stück im Dreiviertaltakt die auch noch so dramatischen Szenen musikalisch untermalen?
Im Melodramma „Simon Boccanegra“ bietet Verdi genau das Gegenteil – wunderschöne, leidenschaftliche, mitreißende Musik mit einer phantastischen Kongruenz von Libretto und Musik, was zu beeindruckenden Darstellungen von Gefühlen, Beziehungen und Handlungswendungen führt.
Die Hamburger Inszenierung dieser 1857 mit wenig Erfolg uraufgeführten und 1881 in einer umfassenden Bearbeitung mit großem Beifall aufgenommenen Oper stammt aus dem Jahr 2006. Der Regisseur Claus Guth hat eine psychologisch vielschichtige Interpretation des Dramas entworfen, kongenial dazu sind das Bühnenbild von Christian Schmidt und das Licht von Wolfgang Göbbel gestaltet. Die nun schon 17 Jahre alte Inszenierung wurde bereits hinlänglich besprochen, aber es seien noch einmal die genialen Einfälle gewürdigt; einerseits ist dies der riesige Rahmen im Hintergrund, der mal als Spiegel die Erinnerungen, Gedanken und personellen Beziehungen illustriert und mal ein Gemälde ist.
Andererseits ist es der Meteorit, der bereits beim Prolog die Glaskassettendecke des repräsentativen Raums, in dem die Handlung spielt, eingeschlagen hat; man sieht seine drohende Unterseite erst in Akt I. Im zweiten Akt schwebt er drohend über allen Akteuren im Raum – ohne sichtbare Seile, was den Effekt bedrückend realistisch macht. Im letzten Akt hat er den Fußboden eingeschlagen, Trümmer liegen herum. Dieses ebenso stille wie grausam drohende Symbol eines unabwendbaren Schicksals hat schon etwas Kleist-haftes – es ist völlig klar, dass niemand, vor allem nicht der Protagonist, seiner unerbittlichen Bestimmung entrinnen kann.
Der Bariton George Petean singt die Titelrolle mit bewundernswerter Intensität; er gibt seiner Verzweiflung und der Liebe zu seiner Tochter intensivsten Ausdruck. Dieser Herrscher muss einsehen, dass die ihm aufgedrückten Pflichten bitter auf ihm lasten. Und das Wasser stillt nicht den Durst, sondern enthält das Gift des Verschwörers. Petean spielt mit Hilfe seiner Doubles, die handlungsfunktional sein jugendliches Ebenbild und seine Erschütterung darstellen, großartig die Agonie des zu Fall gebrachten Dogen. Eine starke Stimme, die vom ersten bis zum letzten Ton dieser anspruchsvollen Partie überzeugt.
Das Duett mit seiner Tochter Amelia, die Selene Zanetti gibt, ist einer der musikalischen Glanzpunkte der Oper; hier erkennt ein tiefbewegter Vater, dass er sein verlorenes Kind wiedergefunden hat. Die Sopranistin verleiht der Rolle zu Herzen gehende Tiefe, das Spiel mit den Dynamiken beherrscht sie mühelos und mit Grandezza.
Die Parte des harten Patrizier Jacopo Fiesco übernimmt der auf den großen Bühnen der Welt brillierende Bass Alexander Vinogradov, der unbestrittene Star des Abends. Man könnte ihm stundenlang zuhören; er verleiht der Rolle allein durch seinen Gesang erschütternde Momente und in den Tiefen erreicht er eine Profundo-Fülle, die ihresgleichen sucht. Sein Fiesco ist von einer Eleganz, die einem toskanischen Fürsten zur Ehre gereichen würde.
Eigentlich sollte Ramón Vargas den Gabriele Adorno singen, aber der Sänger musste krankheitsbedingt kurzfristig absagen. So stieg Attilio Glaser kurzentschlossen in Berlin in den Zug, der glücklicherweise pünktlich in Hamburg ankam. Zwar beherrscht er die Rolle durch sein Berliner Engagement, aber natürlich musste er sich in rasender Geschwindigkeit die Abläufe, überhaupt die ganze Personenregie aneignen. Das gelingt ihm problemlos, niemand hätte gemerkt, dass er „nur“ ein Einspringer ist. Zumal er weit mehr als das ist – er singt die Rolle des liebenden, zornigen, von Gefühlen hin- und hergezerrten Patrizier mit großer Kraft, Wandelbarkeit und bezwingender Glaubhaftigkeit.
Die andere Bassrolle ist die des Höflings Paolo Albiani, gegeben von Blake Denston. Er ist häufig in Hamburg zu sehen und man wünscht sich von diesem begabten und kraftvollen Sänger künftig auch mal größere Rollen.
Bei manchen Szenen hätte man sich in der Personenregie etwas mehr Beachtung der Interaktionen vorstellen können, aber diese Inszenierung spielt mit Tableaus und das Statuarische der Mitwirkenden hat auch etwas Unverrückbares. Möglicherweise soll hier auch dem Unvermögen der einzelnen Personen, sich von dem vom Schicksal vorgegebenen Weg zu entfernen, Ausdruck gegeben werden.
Alle Rollen sind hervorragend besetzt, auch der Chor unter Christian Günther ist gewohnt exakt, kräftig und fein abgestimmt. Das trifft ebenso für das Orchester zu, sensibel und zugleich energisch geleitet von Ivan Repušić. Die Musik ist trotz ihrer Klangfülle niemals zu laut, der Dirigent nimmt einfühlsam Rücksicht auf Solistinnen und Solisten, zudem schenkt er Soloinstrumenten entsprechende Beachtung, was ein fein ausdifferenziertes Klangbild ergibt. Dem Finale entgegen hat die Partitur spannungsreiche Temposteigerungen, Dirigent und Orchester nehmen angemessen Fahrt auf und verleihen dem Geschehen so eine mitreißende Dynamik.
Schade, dass das Haus so schlecht besucht war und völlig unverständlich, dass nach der Pause die Reihen noch lichter waren. Denn das war ein Opernabend von besonderer Klasse!
Bravi tutti!
Dr. Andreas Ströbl, 5. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die nächsten Vorstellungen sind am 6. und 10. April 2023
Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra Staatsoper Hamburg, 29. März 2023
Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra Deutsche Oper Berlin, 29. Januar 2023 PREMIERE
Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra Wiener Staatsoper, 18. September 2020
Leider konnte ich aus privaten Gründen die Termine in Hamburg nicht wahrnehmen. Aber ich war im Februar in Berlin zu Simon Boccanegra. Ich finde die Oper großartig, ein wunderbarer Verdi. Für mich zur Zeit der beste Simone ist George Petean. Er hat für diese Rolle die Stimmschönheit und bringt im Spiel alles mit, was Simone ausmachen muss.
Schade, dass so wenig Publikum dabei war. Das haben die Sänger und alle Beteiligten nicht verdient.
Ruth Tipton
So ist es! 👏Ich habe letzthin den wunderbaren George Petean in Berlin als Simon Boccanegra erlebt. Auch Attilio Glaser als Gabriele Adorno hat mir sehr gut gefallen! 💟
Gerlinde Seeger