Stückeinführung mit Regisseur Maximilian Berling
Ganz neu: Als besonderen Service bieten wir Ihnen Stückeinführungen zu den Premieren des Gärtnerplatztheaters München. Den Anfang macht die Oper Anna Bolena von Gaetano Donizetti. Die Premiere am Freitag, 4. Dezember 2020, wird um 19 Uhr auf der Website vom Gärtnerplatztheater gestreamt.
Darum geht es: König Heinrich VIII. hat eine neue Mätresse, Jane Seymour, die Kammerzofe seiner zweiten Gattin Anna Bolena. Nun versucht er, seine Gemahlin des Betrugs zu überführen, um sie loszuwerden. Die Intrige des Königs gelingt und Anna wird hingerichtet.
Der Regisseur Maximilian Berling hatte noch kurz vor der Premiere Zeit für ein Gespräch mit mir.
von Barbara Hauter
Klassik begeistert: Was erwartet uns bei der Premiere am Freitag?
Maximilian Berling: „Anna Bolena“ ist ein wahnsinnig spannendes Stück, es ist eigentlich ein vertonter Politthriller. Ein Stück über Intrigen am Königshof, Liebe, Macht, Eifersucht, das auch mit dem Tod endet. Das Ganze passiert in einem halbszenischen Format, es ist also keine reine konzertante Aufführung. Das Orchester sitzt im Graben, aber auf der Bühne sind Chor und Solisten mit den Noten, die Solisten tragen Kostüme und die Interaktion zwischen ihnen ist inszeniert. Wir haben für die Figuren viel psychologisch gearbeitet.
Klassik begeistert: Warum sollten wir uns den Stream ansehen?
Maximilian Berling: Das Wunderschöne an diesem Werk ist: es ist meisterhaft vertont. Es ist eine Belcanto Oper und jeder Ton, jedes Wort darin hat einen dramatischen Zweck. Der große Vorteil des Halbszenischen ist, dass wir genau das in den Solo- und Duett-Szenen wie in einer szenischen Oper herausarbeiten. Und in den Ensemble-Stellen, in den Quartetten, Quintetten, Sextetten, in denen die Sänger an den Notenpulten stehen und der Chor dahinter, können wir noch stärker die Kraft der Musik hervorheben.
Klassik begeistert: Warum überhaupt halbszenisch?
: Ursprünglich war Anna Bolena konzertant geplant. Durch die Vorstellungsabsagen im November stand mehr Probenzeit zur Verfügung. Mit den Abstandsregeln bietet die Bühne aber nur Platz für Chor und Solisten, wenn das Orchester im Graben spielt. Dadurch hatten wir die Möglichkeit auf halbszenisch umzudisponieren.
Klassik begeistert: Was interessiert Sie an Anna Bolena?
Maximilian Berling: Die Oper ist unglaublich spannend. Sie ist eigentlich ein vertonter Shakespeare. Das Stück steigt ja schon wahnsinnig hoch ein. Wir sind ein paar Tage vor Anna Bolenas Hinrichtung. Es ist schon eine große Nervosität zu spüren, sie vermutet, dass der König eine andere Geliebte hat. Der König wiederum steht unter dem Druck, dass er keinen männlichen Thronfolger zeugen kann, er möchte Jane Seymour ehelichen in der Hoffnung, dass sie ihm einen schenkt. Daher schmiedet er Intrigen, um Anna loszuwerden. Von seiner ersten Frau Katharina konnte er sich scheiden lassen, aber das funktioniert mit der zweiten Ehe nicht so einfach. Diese vielschichtigen persönlichen und politischen Motivationen sind spürbar. Dazu kommt: Am Königshof ist man nie unbeobachtet. Man muss immer differenzieren, wie man sich gibt, offiziell als König oder Königin oder als Privatmensch. Man muss aufpassen, ob jemand zuhören kann. Das ist gerade in der Schlüsselszene im Finale des ersten Aktes wichtig. Der ehemalige Geliebte Annas, Richard Percy, besucht sie in ihren Gemächern. Der Page Smeton belauscht die Situation, kommt im falschen Moment aus seinem Versteck, in diesem Augenblick erscheint der König, und es überstürzen sich die Ereignisse, Anna kommt in den Kerker. Das ist meisterhaft aufgebaut. Libretto und Musik greifen Hand in Hand.
Klassik begeistert: Die verfolgte Unschuld klingt nicht nach einem modernen Thema. Lassen Sie es im Historischen?
Maximilian Berling: Es ist ein historischer Stoff, der in einem zeitlosen Rahmen präsentiert wird. Da hilft uns das halbszenische Konzept. Wir haben ein ganz minimalistisches Bühnenbild. Es gibt ein Detail, eine Krone, die ständig präsent ist. Das Zeitlose sind die politischen Intrigen und die privaten Entscheidungen, die man zu treffen hat, die Fragen, die aufgeworfen werden: Entscheide ich mich für mein Herz, für die Liebe, oder für die Karriere? Das sind Themen, die sind heute genauso aktuell wie sie damals waren. Auch die Kostüme der Solisten sind eine Mischung aus historisch und modern. Diese Verbindung zieht sich durch das Konzept des Halbszenischen.
Klassik begeistert: Was macht die Kraft der Oper aus?
Maximilian Berling: Das Spannende an dem Werk ist: Es müssen ehrliche Personen auf der Bühne stehen. Es geht nicht unbedingt um eine historische Dokumentation. Es sind menschliche Schicksale, die wir zeigen. Und die Ehrlichkeit der menschlichen Emotion ist das, was wir am Theater erzielen müssen. Wir dürfen nie lügen. Die Emotionen sind das, was es für das Publikum spannend und begreifbar macht. Das spürt man auch als Opern-Einsteiger.
Klassik begeistert: Sie empfehlen „Anna Bolena“ für Opern-Neulinge?
Maximilian Berling: Ja. Man muss die Hemmschwelle zum Musiktheater schwinden lassen. Einfach mal was anschauen. Und bei Anna Bolena funktioniert das. Die Oper hat einen spannenden Inhalt und hervorragende Musik. Ich empfehle sie jedem Einsteiger und jedem Liebhaber.
Klassik begeistert: Verändert die Streaming-Situation die Aufführung?
Maximilian Berling: Ja, natürlich. Normalerweise spielen wir nur für die Bühne. Für die Kamera ist einiges anders, wir brauchen ein anderes Licht. Und wir erzeugen ganz grundsätzlich eine andere Ästhetik. Im Theater sucht sich der Zuschauer aus, wohin er blickt. Die Kamera führt den Blick für den Zuschauer. Wir versuchen aber, keine Fernsehproduktion zu machen, sondern wir fangen das Geschehen auf der Bühne ein, so dass es auch von zuhause erlebbar gemacht wird. Schauen Sie einfach mal rein, nutzen Sie die Möglichkeit Kunst zu genießen. In unseren Zeiten muss die Kultur präsent bleiben. Die Menschen brauchen das.
Interview: Barbara Hauter, 3. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at