Prohaska, Kožená, Orendt, Dreisig: Ganz große Stimmen in der Elbphilharmonie – das Freiburger Barockorchester unter Sir Simon Rattle überzeugt nicht so recht

Jean-Philippe Rameau, Hippolyte et Aricie, Elbphilharmonie Hamburg, 27. November 2018

Foto: © Claudia Höhne
Jean-Philippe Rameau, Hippolyte et Aricie
Konzertante Aufführung in französischer Sprache
Elbphilharmonie Hamburg,
27. November 2018

Freiburger Barockorchester
Chor der Staatsoper Unter den Linden Berlin

Anna Prohaska, Aricie
Magdalena Kožená, Phèdre
Adriane Queiroz, Oenone
Elsa Dreisig, Diane
Reinoud Van Mechelen, Hippolyte
Gyula Orendt, Thésée
Peter Rose, Pluton
Sarah Aristidou, Hohepriesterin
David Ostrek, Tisphone
Linard Vrielink, Erste Parze
Arttu Kataja, Zweite Parze
Jan Martiník, Dritte Parze
Adriana Queiroz, Oenone
Slávka Zámečníková, Eine Jägerin
Michael Smallwood, Merkur

Sir Simon Rattle, Dirigent

Von Sebastian Koik

Am 27. November 2018 musiziert das Freiburger Barockorchester zusammen mit exzellenten Sängern in der Elbphilharmonie. Die Leitung hat Sir Simon Rattle, der die Freiburger mit dieser zwei Tage zuvor an der Staatsoper Berlin vorgestellten Produktion erstmals dirigiert. Anders als in Berlin wird in Hamburg Rameaus „Hippolyte et Aricie“ in einer rein konzertanten Aufführung auf die Bühne gebracht.

Der Beginn ist energisch, packt, begeistert. Die Musik tanzt, reißt mit. Energisch ist auch das Dirigat von Rattle, der ohne Taktstock, aber mit kraftvollen Armbewegungen und wildem Grimassenspiel die Musiker anleitet. Zu Beginn des Konzertes faszinieren die Musiker mit ihrer Energie – sehr bald sind aber auch mehrere kleine Schwächen auszumachen. Mehr dazu später.

Es gibt starke Stimmen zu hören an diesem Abend! Das beginnt beim Chor der Staatsoper Unter den Linden Berlin. Die Gäste aus Berlin beeindrucken mit Kraft, Leidenschaft, Präzision und sehr ansprechendem musikalischem Timing.

© Claudia Höhne

Eine Referenz für Barockmusik-Gesang ist Anna Prohaska. Die Sopranistin begeistert in der Rolle der Aricie mit intensiver, klarer, stabiler, ja wahrlich großer Stimme. Schwierigste Anforderungen meistert die begnadete Österreicherin hoch souverän und mit beeindruckender geerdeter Natürlichkeit. Nie wirkt Anna Prohaskas Gesang schrill. Scheinbar mühelos zaubert sie längste Phrasen in den Saal.

Reinoud Van Mechelen singt den Hippolyte mit tiefer, warmer Tenorstimme.

Magdalena Kožená erschüttert als Phèdre, ihre Höhen gehen durch Mark und Bein. Ihr Gesang ist voller Dramatik und Dringlichkeit, verursacht an diesem Abend immer wieder Gänsehaut. Es scheint ihr um Alles zu gehen. Ihr Auftritt im ersten Akt von bewundernswerter Schönheit. Hippolyte, der davor wahrlich keinen schlechten Eindruck machte, wirkt an Frau Koženás Seite plötzlich blass.

Doch dieser Eindruck hält sich nur kurz. Im Laufe des Abends wird Reinoud Van Mechelen immer besser. Im vierten Akt begeistert er stark mit herrlichen, zarten Höhen und großer Leidenschaft im Vortrag. Die Duette zusammen mit Anna Prohaska sind herrlich schön! Seine warme Tenorstimme mischt sich auf das Wunderbarste mit der feenartigen kühleren Stimme von Frau Prohaska.

Stark ist die Leistung von Elsa Dreisig als Diane. Sie singt mit dichter, cremiger Stimme und langem Atem. Ihr stimmlicher Auftritt ist von großer selbstverständlicher Souveränität und bezaubernder Natürlichkeit. Ihr räumlicher Auftritt ist ebenfalls spektakulär, sie singt vor dem Geländer im obersten Rang vor der Bühne unter einem spektakulären Himmel aus mundgeblasenen Glaskugelleuchten, die an lichtgefüllte Wasserblasen erinnern. Wundervoll! Schade, dass die Diane in dieser Oper nicht mehr zu singen hat!

Die Sopranistin Sarah Aristidou klingt in der Rolle der Hohepriesterin etwas angespannt, unsicher, nervös. Ihre Stimme an dem Abend etwas dünn – besonders im direkten Vergleich mit Frau Prohaska.

Roman Trekel war ursprünglich die Besetzung für die Rolle des Tisphone, leider musste er ausfallen und wird an diesem Abend von David Oštrek als Einspringer ersetzt. Der aus Kroatien stammende Bariton klingt wie Frau Aristidou an einem Abend mit einigen großen Stimmen in diesem Konzert auf der großen Elbphilharmonie-Bühne etwas nervös-kurzatmig, zu unsicher und dünn.

Auch Michael Smallwood in der sehr kleinen Rolle des Merkur klingt zu angestrengt.

Gyula Orendt als Thésée dürfte für viele im Publikum die Entdeckung des Abends sein. Was für ein wundervoller Bariton! Gyula Orendt berührt und begeistert mit ganz, ganz großer Stimme und viel lyrischem und leidenschaftlichem Gefühl. Die Artikulation des in Rumänien geborenen Ungarn ist herrlich akzentuiert. Von Anfang bis Ende des Abends meistert er jede Situation hoch souverän. Orendts Tiefen sind mächtig. Hier und in höheren Registern singt er fein, elegant und lebendig. Nichts klingt verzerrt oder angestrengt, zu jeder Zeit klingt er wunderbar natürlich, selbstverständlich und leicht. Orendts Auftritt als Thésée an diesem Abend ist groß.

Peter Rose gefällt als Pluton mit starken, sonoren Tiefen. In höheren Lagen sowie schnelleren Passagen wird seine Stimme schnell dünn und löst sich auf.

Adriana Queiroz ist eine sehr gute Oenone, bei der man sich höchstens ein klein wenig mehr Natürlichkeit in der Stimme wünschen könnte.

Die drei Parzen singen ebenfalls aus dem Publikum heraus, diesmal auf mittlerer Höhe hinter dem Orchester. Linard Vrielink, Arttu Kataja und Jan Martiník begeistern mit ihrem Gesang. Sie klingen herrlich selbstverständlich, singen kraftvoll, warm, gefühlvoll. Das Zusammenspiel der drei Stimmen schillert wundervoll.

Slávka Zámečníková als eine Jägerin sieht in goldenem Glitzerkleid atemberaubend aus, bietet jedoch wenig Textverständlichkeit und hat an dem Abend eine etwas nervöse Stimme.

Magdalena Kožená, die zuvor restlos begeisterte, lässt im Laufe des Abends auch den ein oder anderen Makel erkennen. Im dritten Akt fasziniert und berührt sie nach wie vor in den Höhen, in den Tiefen und in schnelleren Passagen löst sich ihre Stimme etwas auf und wird etwas zu dünn. Je länger der Abend wird, desto hysterischer wird die Stimme von Frau Kožená, verliert an Schönheit und Natürlichkeit.

Es wird deutlich, dass dieses Orchester unter Rattle nicht die absolute Qualität der italienischen Barock-Formation „Il Giardino Armonico“ unter Giovanni Antonini hat, die acht Tage zuvor am selben Ort auftrat und eine Referenz in Sachen Barockmusik-Interpretation darstellt. Der Vergleich drängt sich angesichts der kurz aufeinanderfolgenden Elbphilharmonie-Konzerten der beiden Barockformationen auf.

Patricia Kopatchinskaja, Giovanni Antonini, Il Giardino Armonico, Elbphilharmonie Hamburg

Das Freiburger Barockorchester ist gut, aber zumindest an diesem Abend, weit entfernt von der Makellosigkeit und Raffinesse von „Il Giardino Armonico“.  Bei den begnadeten Italienern unter dem Barock-Maestro Giovanni Antonini war alte Barockmusik sehr, sehr viel lebendiger, spritziger, tiefer – begeisternder.

Sicher, das ist bei den Freiburgern trotzdem gut und auf hohem Niveau, doch es gibt viele kleine Mängel zu hören. Die Gäste aus dem Südwesten der Republik, die einen exzellenten Ruf genießen, bringen es an diesem Abend zu einer Liste an kleinen Beanstandungen: In schnellen Passagen ist das Streicher-Ensemble nicht ganz präzise und zusammen. Die Querflöten sind nicht ganz sicher und exakt, klingen im fünften Akt etwas müde. Die sonstigen Flöten sind gelegentlich wacklig und unsauber. Das Tambourin und die Glöckchen werden deutlich zu träge geschlagen und erklingen regelmäßig zu spät. Auch die schwer zu spielenden alten Hörner tönen nicht ganz sauber.

Allgemein fehlt es dem Orchester unter Sir Simon Rattle etwas an Spritzigkeit und Leichtigkeit in der Darstellung. Der Geist der Komposition Rameaus wird nicht ganz getroffen.

Stark: Die Trompeter entzücken mit begeisternden Fanfaren. Der Perkussions-Abteilung gelingt ein sehr starker und atmosphärischer Donner. Wunderbar das Spiel der beiden Dudelsäcke im fünften Akt, die den großen Saal mit Frieden und Harmonie erfüllen.

Sebastian Koik, 28. November 2018
für klassik-begeistert.de

 

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