Arno Waschk (Klavier) und Dietrich Henschel (Gesang). Foto: privat
“… Hat man das eingesehen, so ist es auch leicht zu begreifen, dass die äußerliche Übereinstimmung zwischen Musik und Text, wie sie sich in Deklamation, Tempo und Tonstärke zeigt, nur wenig zu tun hat mit der inneren und auf derselben Stufe primitiver Naturnachahmung steht, wie das Abmalen eines Vorbildes.” (Arnold Schönberg, “Das Verhältnis zum Text”, 1912)
Alexander Zemlinsky war Schönbergs Lehrer und Freund. Der Abend im Arnold Schönberg Center gab aufschlussreiche Einblicke in das Liedschaffen der beiden Komponisten.
Lieder von Alexander Zemlinsky und Arnold Schönberg
Dietrich Henschel, Bariton
Arno Waschk, Klavier
Arnold Schönberg Center Wien, 15. Jänner 2025
von Dr. Rudi Frühwirth
Das Schönberg-Jahr 2024 ist zwar vergangen, aber unermüdlich zeigt uns das Programm des Arnold Schönberg Centers immer neue Facetten im Schaffen des Meisters und seines Umfelds.
Der Liederabend des Duos Henschel/Waschk begann mit den “Zwei Gesängen”, Schönbergs Opus 1. Sie entstanden zu der Zeit, als Schönberg Zemlinskys Schüler war, sind aber unüberhörbar auch dem Vorbild Brahms verpflichtet. Die beiden Textvorlagen – “Dank” und “Abschied” stammen von Karl von Levetzow und sind von einem überbordenden Pathos geprägt, das paradoxe Formulierungen nicht scheut, wie etwa: “Aus den Trümmern einer hohen Schönheit laß mich bauen einen tiefen Schmerz…” oder “… [du] schufst mir das Niegeahnte, einen schönen Schmerz!”. Schönberg, der sich nach eigenem Bekenntnis bei der Auswahl seiner Vorlagen vom Anfangsklang der ersten Textworte berauschen ließ, scheute sich nicht, dem literarischen Pathos noch ein musikalisches zu gesellen.
Die stimmgewaltige Wiedergabe von Dietrich Henschel und die mächtige Begleitung von Arno Waschk taten ein Übriges, um das Publikum zu überwältigen.

Die folgenden Lieder aus Alexander Zemlinskys Opus 2 wirkten dagegen fast wie eine Erlösung – zarte Stimmungsbilder mit exquisit untermalendem Klaviersatz. Von den vier ausgewählten Stücken möchte ich “Geflüster der Nacht” und “Vor der Stadt” nach Gedichten von Storm bzw. Eichendorff hervorheben: das erste eine psychologisch fein ausgeleuchtete Studie der Ungewissheit, das zweite eine köstliche Miniatur von zwei Musikanten, von denen der eine gar sehr verliebt ist, der andere es gerne wäre.
Henschels Interpretation der vier kleinen Lieder brachte die romantische Grundstimmung zu schöner Geltung. Es war freilich nicht zu überhören, dass sein in der Tiefe kräftiger, ausdrucksvoller Bariton in der Höhe gewisse Schwierigkeiten hatte; vor allem in den leisen Passagen klang die Stimme etwas verwischt. Die Klavierbegleitung war wieder hinreißend, und das perfekte Zusammenspiel von Sänger und Pianist zeugte von langjähriger Vertrautheit.
Den Abschluss des ersten Teils bildeten Zemlinskys bezaubernde Vertonungen von sechs Liedern aus Maurice Maeterlincks “Douze Chansons”, erschienen 1896, später erweitert zu “Quinze Chansons”. Die deutsche Übersetzung von Friedrich v. Oppeln-Bronikowski erschien 1906. Die Gedichte entstanden zur Blütezeit des Symbolismus und boten mit ihren rätselhaften Frauendarstellungen dem Komponisten reiches Material zu musikalischer Ausdeutung. Wie auch in der “Lyrischen Symphonie” beweist Zemlinsky hier seine Meisterschaft in der geistigen Durchdringung des Textes und in der musikalischen Einfühlung in den Dichter.
Die Interpretation durch Henschel und Waschk fand wieder ungeteilte Zustimmung.

In der Pause war ein Zeitsprung über etwa eine Dekade angesagt. In dieser Dekade verließ Schönberg den Weg seines Freundes und Lehrers – der mittlerweile auch sein Schwager geworden war – und löste sich von der traditionellen Tonalität. Ein Zeugnis dieses Wandels ist das 1908/1909 komponierte Opus 15, die Vertonung von fünfzehn Gedichten aus Stefan Georges “Buch der hängenden Gärten”.
Rein äußerlich wirken die Vorlage und die Komposition konträr. Auf der einen Seite die Gedichte Georges in der ihm eigentümlichen gesuchten, nicht selten schwülstigen und gelegentlich in das unfreiwillig Komische schweifenden Sprachkunst; auf der anderen Seite Schönbergs mittlerweile völlig unromantische, fast nüchterne, aber höchst expressive Tonsprache, in der Dissonanzen ein freies Leben führen, ohne in eine Auflösung gezwungen zu werden.
Schönbergs Ausgangspunkt und Ziel war die innere Übereinstimmung zwischen Text und Musik, wie er es in seinem kurzen Aufsatz über “Das Verhältnis zum Text” beschrieben hat. In der Tat wäre eine Vertonung von Georges Gedichten in spätromantischem Duktus wohl zu viel des Guten; ich behaupte, dass Schönberg die Vorlage insofern entzaubert, als er ihr den Schleier des gewollt Exotischen und Esoterischen nimmt und ihren tiefen emotionalen Inhalt umso deutlicher hörbar werden lässt.
Der Zyklus Georges beschreibt die Liebe zwischen zwei ungenannten Personen, erzählt aus der Perspektive des Mannes, auch das ein starker Gegensatz zu den Gedichten Maeterlincks in den “Douze Chansons”. Zum Ende wird die Liebe wie der Garten zerstört. Manche Kritiker sehen darin die Anziehungskraft begründet, die “Das Buch der hängenden Gärten” auf Schönberg zweifellos ausgeübt hat, als literarische Überhöhung seiner Ehekrise wie auch seiner eigenen Zerstörung der musikalischen Tradition.
Die Interpretation des Werkes durch das kongeniale Duo Henschel und Waschk hinterließ einen außerordentlich starken Eindruck.
Zum Abschluss erklangen die beiden Lieder aus Schönbergs Opus 14, “Ich darf nicht dankend an dir niedersinken” nach Stefan George und “Winterweihe” nach Karl Henckell. Auch sie gehören zur “atonalen” oder “freitonalen” Phase von Schönbergs Schaffen und stehen dichterisch wie musikalisch dem ”Buch der hängenende Gärten” sehr nahe.
Am Ende dankte das Publikum den beiden Künstlern ausgesprochen herzlich für den aufschlussreichen und musikalisch exzellenten Abend. Das Konzert ist auf dem facebook-Kanal des Arnold Schönberg Centers frei verfügbar.
Dr. Rudi Frühwirth, 17. Jänner 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt 206: Alexander Zemlinskys schwieriger Lebensweg