Lieses Klassikwelt 18: Dieser offene Brief ist für Sie, lieber Daniel Barenboim!

Lieses Klassikwelt 18: ein offener Brief an Daniel Barenboim  Staatsoper Unter den Linden

Foto: © Warner Music Germany / Ricardo Davila

In Vorfreude auf die anstehende Meistersinger– Premiere an der Semperoper in Dresden unter Christian Thielemann wollte ich heute eigentlich über dieses geniale Werk schreiben. Aber der unfassbare Aufruhr anlässlich des jüngsten Auftritts von Plácido Domingo an der Berliner Staatsoper hat in mir das Bedürfnis geweckt, dazu Stellung zu beziehen – in Form eines Solidaritäts-Schreibens an Daniel Barenboim. Ich bin keineswegs der Meinung, dass berühmte Künstler alles dürfen. Aber das Ausmaß des Protests gegen den Sänger, halte ich für übertrieben, zumal die Anschuldigungen gegen ihn noch keineswegs erwiesen sind. Mein Essay über die Meistersinger folgt dann nächsten Freitag.

von Kirsten Liese

Lieber, sehr verehrter Herr Barenboim,

ich möchte Ihnen – und das ist längst überfällig – einmal aus ganzem Herzen für alles danken, was Sie für die Metropole Berlin getan haben und immer noch tun!

Anlass meines Briefs sind die jüngsten unfassbaren Tumulte um den Auftritt Plácido Domingos in Ihrem Haus.

Es beschämt mich, wie nach Ihrem langjährigen Künstler-Freund Domingo mit Dreck geworfen wird, nachdem im vergangenen Jahr schon gegen Sie im Zusammenhang mit Ihrer Vertragsverlängerung an der Berliner Staatsoper unangenehm Stimmung gemacht wurde.

Allzu gerne hätte ich mich in der jüngsten Traviata-Aufführung mit Domingo in das jubelnde Publikum eingereiht, worauf ich nur leider wegen umfangreicher Arbeiten für den Rundfunk verzichten musste. Denn ich bin, so großartig ich Domingo zuletzt an Ihrem Hause als Macbeth erleben durfte, überzeugt davon, dass es Anlass zu dem großen Beifall gab. Das ist überhaupt der einzige Trost: Dass zumindest im Saal noch eine angemessene Wertschätzung dieses Künstlers stattgefunden hat, der anderswo mit stehenden Ovationen gefeiert wurde.

Plácido Domingo und der Wiener Musikprofessor Reinhard Rauner am 18. Mai 2017                       © Andreas Schmidt

Kurzum, mir ist das unwürdige  Geschrei in meiner Berliner Heimat, wohl resultierend aus einem falschen oder übertriebenen Verständnis des Feminismus, äußerst peinlich.

Es erscheint ja geradezu lächerlich, wenn Aktivistinnen vom Verein „Pro Quote Bühne“ zur „Schutzpflicht der Berliner Opernhäuser“ aufrufen, als ginge von Herrn Domingo eine Gefahr aus. Herr Domingo wird wohl, angesichts der ganzen Hysterie, die um ihn entbrannt ist, und den Erfahrungen in den vergangenen Monaten den Teufel tun, Frauen in seinem beruflichen Umkreis auch nur anzurühren.

Ich möchte Ihnen danken, dass Sie sich wieder einmal demonstrativ loyal hinter einen langjährigen Künstlerfreund stellen und diese Attacken an sich abprallen lassen.

Denn um es einmal ganz klar zu sagen: Um die gesamte Kultur in dieser verwahrlosten Stadt steht es schlecht bestellt.

Ohne Sie wäre die Lindenoper wahrscheinlich immer noch eine Baustelle, ohne Sie gäbe es den wunderbaren Pierre Boulez Saal – und damit einen der schönsten Säle für die Kammermusik – nicht. Dank Regisseuren wie dem leider unlängst verstorbenen Harry Kupfer oder zuletzt dem Argentinier Damián Szifron, der zum Glück nicht den heiklen Versuch unternommen hat, Samson et Dalila mit der Brechstange in die Gegenwart zu verlegen, werden an Ihrem als dem einzigen Berliner Opernhaus immer noch Neuproduktionen geboten, die sich nicht nur hören-, sondern auch sehen lassen können.

© M. Lautenschläger

An dieser Stelle wollte ich heute eigentlich über Wagners Meistersinger schreiben. Deshalb gehen mir auch ein bisschen die Worte des Evchens aus dieser genialen Oper durch den Kopf: „Wie ich dir Edlem lohnen kann! Was wär‘ ich ohne dich“ oder treffender in leichter Abwandlung: „Was wären wir ohne Sie!“

Im Kontext mit all den in ihrer ganzen Unbedeutsamkeit frustriert stänkernden Kreaturen kommt mir das Wort Nullitäten in den Sinn, das Sergiu Celibidache einmal erfand, dem ich gerade meine letzte Klassikwelt widmete.

Ich weiß, dass auch Sie Celibidache sehr schätzen, neben Arturo Benedetti Michelangeli zählten Sie zu den wenigen prominenten Pianisten, mit denen er gerne arbeitete. Und auch er sah sich mit seinen kompromisslosen künstlerischen Überzeugungen immer wieder Anfeindungen ausgesetzt, denen er mit bewundernswertem Stoizismus trotzte. Am Ende war es aber er, Celi, der München in musikalischer Hinsicht mit seinem Wirken am Pult der Münchner Philharmoniker Glanzlichter aufsetzte. Die Bayern wussten es zu schätzen.

Wir Berliner brauchen nun Sie! –  Zumal in Zeiten, in denen auch die Berliner Philharmoniker es schwer haben dürften, mit dem neuen Chef ihrer Wahl an die Hochzeiten eines Herbert von Karajan oder Claudio Abbado anzuknüpfen, sich noch dazu das Schauspiel in einem beklagenswerten Zustand befindet, und den Berliner Museen das Geld fehlt, vergleichbar ambitionierte, teure Ausstellungen über van Gogh, Leonardo da Vinci, Rembrandt oder Dürer zu stemmen wie andere Metropolen.

Nun sind Sie freilich ohnehin eine so gestandene, weltberühmte Persönlichkeit, dass es meiner bescheidenen Elogen gar nicht bedarf. Aber ich finde, es sollte einmal gesagt sein.

Jedenfalls möchte ich Ihnen – dies auch im Namen aller gleichgesinnten Berlinerinnern und Berliner, danken, dass Sie Ihren Vertrag verlängert – und einem Auftritt Domingos zugestimmt haben. Bleiben Sie dieser Stadt weiterhin gewogen, bescheren Sie uns weiterhin so wundervolle musikalische Erlebnisse und laden Sie Domingo auch in Zukunft ein!

Kirsten Liese, 24. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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© Kirsten Liese

Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz,  Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .

 

Ein Gedanke zu „Lieses Klassikwelt 18: ein offener Brief an Daniel Barenboim
Staatsoper Unter den Linden“

  1. Ganz allgemein muss ich bei juristischen Fragen auch in meinem Bekanntenkreis einen fehlenden Sinn für Rechtsstaatlichkeit erleben. Eine Vorverurteilung ohne Beweise erbringen zu können, ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.

    Lothar Schweitzer

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