Bonjours tristesse zum Tag der deutschen Einheit in einem der besten Opernhäuser der Welt. Daniel Barenboim hat den Abend in Berlin fest im Griff, was ihn bewogen hat dieses Werk auf den Spielplan zu setzen, wird sein Geheimnis bleiben.
Staatsoper Unter den Linden, 3. Oktober 2020
Luca Francesconi, Quartett
Foto: © Marcus Ebener
Mojca Erdmann Marquise de Monteuil
Thomas Oliemans Vicomte de Valmont
Francesca Claffoni Tanz
Segolene Bresser Kind
Barbara Wysocka Regie
Barbara Hanicka Bühnenbild
Daniel Barenboim Dirigent
von Peter Sommeregger
Der Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ des Franzosen Choderlos de Laclos, ein Sittengemälde aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts hat schon viele Künstler inspiriert, die Perfidie der handelnden Personen ist aber auch gar zu reizvoll. Mindestens zwei Verfilmungen gab es bereits, und Heiner Müller ließ sich vom Stoff zu seinem Theaterstück „Quartett“ anregen. Dieser Text ist bei aller Brillanz doch eine arge Kopfgeburt, um so erstaunlicher, dass Luca Francesconi darauf eine Oper komponierte, die bereits 2011 an der Mailänder Scala ihre Uraufführung in englischer Sprache erlebte.
Berlin kam am Nationalfeiertag in den „Genuss“ der Erstaufführung der deutschen Fassung, wobei unklar blieb, ob der Text eine Rückübersetzung aus dem Englischen, oder ein Rückgriff auf Heiner Müllers Text ist. Die Szene stellt wohl das Innere eines Bunkers dar, in dem allerhand nicht näher erkennbare Dinge herumliegen. Das Vage und Ungefähre ist das hauptsächliche Merkmal der gesamten Aufführung, des Werkes insgesamt. Die Musik entwickelt kaum eine eigenständige Sprache oder Stil, weitgehend folgt sie dem Sprachduktus der beiden Protagonisten, ohne ein besonderes Eigenleben zu entwickeln. Eingeblendet werden stellenweise auch so genannte Computersounds, man könnte das aber auch schlicht Geräusche nennen.
Die Regisseurin Barbara Wysocka setzt bei der Inszenierung des zähen Stoffes auf Bewährtes: die beiden Sänger, aber auch die mitwirkende Tänzerin müssen sich mehrfach aus- bzw. umziehen, womit das Hauptrequisit heutiger Inszenierungen ins Spiel kommt, nämlich Feinripp. In diesem Fall kombiniert mit schwarzen Unterhosen. Auch Nylons werden genüsslich aufgerollt, sie kommen beim Rollentausch der beiden Geschlechter zum Einsatz. Die arme Mojca Erdmann muss für eine Weile mit einem umgeschnallten Dildo agieren, das reißt zwar heutzutage keinen mehr vom Stuhl, aber peinlich ist es trotzdem.
Den Sängern muss man Bewunderung allein schon für die Bewältigung des sperrigen Textes zollen, wobei es Mojca Erdmann sogar gelingt, ansprechend und höhensicher zu singen, ihr Partner, der Bariton Thomas Oliemans überzeugt dagegen mehr durch sein Spiel als durch seinen etwas spröden Gesang. Daniel Barenboim hat den Abend fest im Griff, was ihn bewogen hat dieses Werk auf den Spielplan zu setzen, wird sein Geheimnis bleiben.
Das Werk hat den Fehler vieler so genannter „Literaturopern“, den Text versteht man nicht richtig, gleichzeitig bleibt ihm die Musik aber zumeist untergeordnet. Das mit geringem Personal und kleiner Orchesterbesetzung auskommende Stück passt ideal in die Zeiten der Pandemie, wurde aber schon geplant, als davon noch gar keine Rede war. Das Publikum nahm das Werk erstaunlich freundlich auf, selbst der anwesende Komponist wurde mit reichlich Beifall bedacht. Mag sein, dass die Freude darüber, wieder Oper live hören zu können, die Zuhörer gnädiger urteilen ließ. Aber neunzig Minuten können sehr, sehr lang sein!
Peter Sommeregger, 3. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Frage des Herausgebers an die Staatsoper Unter den Linden: Warum steht so ein fragwürdiges Werk ohne jegliche Haltbarkeitsdauer zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit auf dem Spielplan? In fast allen anderen Ländern wäre so eine Programmauswahl undenkbar an einem historisch so bedeutsamen Tag.
Richard Wagner, Die Walküre Deutsche Oper Berlin, Premiere am 27. September 2020