Der Herr gebe es!

Ludwig van Beethoven – Missa Solemnis, Johanna Doderer – Pinus (Erstaufführung), Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg Berliner Symphoniker Hansjörg Albrecht, Dirigent  Laeiszhalle, 10. Mai 2022

So ist den Connaisseuren im Publikum zu danken, die das ganze, einfach schöne Konzert ohne einen Mucks begleiten, so hin- und hinwegreißend dirigiert von Hansjörg Albrecht, der tatsächlich manches Mal in die Knie geht, wieder nach oben schnellt, um sich dann doch etwas erschöpft an die Reling seines Pultes zu lehnen, was seinem Dirigat keinen Abbruch tut, auch wenn es einen Hauch von rhythmischer Sportgymnastik hat – aber wer Bernstein sah in München mit Gershwin, verzeiht einfach alles, selbst wenn es keiner Verzeihung bedarf.

Laeiszhalle, Hamburg, 10. Mai 2022

Ludwig van Beethoven – Missa Solemnis

Johanna Doderer – Pinus (Erstaufführung)

Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg, Foto ©

Berliner Symphoniker

Hansjörg Albrecht, Dirigent

Sopran: Valentina Farcas

Mezzosopran: Laila Salome Fischer

Tenor: Jussi Myllys

Bass: Tareq Nazmi

 

von Harald Nicolas Stazol

„Dona nobis Pacem – Herr gib uns Frieden“ – so schimmert wohl unser aller Hoffnung in Beethovens „Missa Solemnis'“ letztem Satz auf, nachdem er vorher strahlt wie nur in der Neunten, die durchaus Ähnlichkeiten und Allusionen hat, und nun in der Laeiszhalle blendet wie ebenso der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg, begleitet von den leuchtenden Berliner Symphonikern, dirigiert von einem Brillanten, gefasst von vier gleißenden Solisten, von denen noch zu berichten sein wird.

Ludwig van hielt die Missa für sein Bestes, und so sei sie aller Hörerschaft empfohlen, auch wenn doch eine gewisse Liebhaberschaft zum größten Sohne Bonns durchaus hilfreich sein wird, was man vielleicht daran erkennt, dass der Saal doch recht spärlich besetzt ist – doch sagte nicht schon François Truffaut „Mir ist ein volles Kino einerlei, wenn nur ein Kenner unter ihnen ist, n’est-ce pas?“ – und an diesem Abend mag man ihm recht geben. Legt sich doch ein ganz feingesponnener Ludwig van über uns alle, selbst, wenn der Beginn im Gloria noch der formal am meisten durchgehaltene zweite Satz ist, nach einem Kyrie, das, wie LvB wohl intendierte, schon als Intro hinweg- und hineinreißt.


Das allerdings sah man nicht immer so.

So schrieb beispielsweise die Allgemeine musikalische Zeitung, 1824, das Gloria sei »beynahe wie alle aus seiner jüngsten Kunstepoche gleich schwer vorzutragen und zu begreifen. Wer sich anmasst, ein so complicirtes Tonwerk nach einmaligem Hören gefasst und verstanden zu haben, mag es wagen ein Urteil darüber zu fällen. Ref. bekennt sich unfähig dazu«.

Nun, wir alle nicht: So ist den Connaisseuren im Publikum zu danken, die das ganze, einfach schöne Konzert ohne einen Mucks begleiten, so hin- und hinwegreißend dirigiert von Hansjörg Albrecht, der tatsächlich manches Mal in die Knie geht, wieder nach oben schnellt, um sich dann doch etwas erschöpft an die Reling seines Pultes zu lehnen, was seinem Dirigat keinen Abbruch tut, auch wenn es einen Hauch von rhythmischer Sportgymnastik hat – aber wer Bernstein sah in München mit Gershwin, verzeiht einfach alles, selbst wenn es keiner Verzeihung bedarf.

Hansjörg Albrecht (c)
Was uns direkt zu der Komponistin Johanna Doderer führt, von der man auch in Zukunft sicherlich noch sprechen wird, ist doch ihre kleine, gefällige, aber auch faszinierende Schöpfung aus flächigem Klangteppich von für die Moderne ungewöhnlich harmonischen Tönen erfrischend, und ohne Übergänge directement in die Missa eingefügt, genauer zwischen Gloria, dem zweiten Chorstück, und dem Credo, dem man versucht ist, doch einigen, begeisterten Zwischenapplaus zukommen zu lassen, samt herzerfüllenden Bravi, aber der Dirigent lässt es nicht zu, und alle halten sich daran. Vorbildlich, sensibel und höflich – denn in der Elphi ist es zu aller Leidwesen zu häufig nicht der Fall! So mag denn der Stuck und die goldenen Stukkaturen der ehrwürdigen Musikhalle für eine Ehrfurcht sorgen, die hypermodernen Gebäuden abgeht, aber dies nur als verwundertes aperçu.

Nun zu den Solisten: Die Sopranistin Valentina Farcas mühelos, beständig in fortwährender Höchstleistung, desgleichen die Mezzosopranistin Laila Salome Fischer, beide in dunkelblauem Glitzer, man darf sagen, das Auge hört mit?
Tareq Nazmi (c)

Jussi Myllys
begeistert als Tenor ebenso rein und klar, und der Bass Tareq Nazmi gibt dem ganzen einen fast caramelligen Unterton – wobei bei allen Vieren schön zu beobachten ist, dass sie nach einer Glanzleistung stolz und lächelnd sich niedersetzen, bis zu ihrem nächsten Einsatz, indem sie sich fortwährend steigern – der Carl-Philip-Emanuel-Bach-Chor Hamburg stets makellos, mal packend, mal himmlisch-sanft – es ist die reine Freude, ein Gebet zum Himmel eben, ein religiöses Erweckungserlebnis, das man fast kathartisch gereinigt verlässt.

Ob uns nun alle Sünden vergeben sind?

Harald Nicolas Stazol für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ludwig van Beethoven, Missa Solemnis, Großer Saal der Laeiszhalle Hamburg, 10. Mai 2022

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