Klangforum Wien: Aperghis imponiert, Saunders ist zu vorsichtig

Musikfest Berlin 2020, Werke Rebecca Saunders und Georges Aperghis  Philharmonie Berlin, 4. September 2020

Foto: Philharmonie Berlin, © Schirmer

Klangforum Wien I mit Werken von Rebecca Saunders,
Klangforum Wien II mit einer Uraufführung von Georges Aperghis, Philharmonie Berlin, 4. September 2020

Musikalische Leitung Emilio Pomàrico
Klangforum Wien
Neue Vocalsolisten Stuttgart

von Gabriel Pech

Das Musikfest Berlin 2020 kann stattfinden: Das ist ja schon mal eine große, schöne Sache. Natürlich mussten einige Maßnahmen in Kraft treten, damit das so überhaupt möglich ist. Abstandsplätze gehören mittlerweile sowieso zum Konzertbild dazu, auch an der Maskenpflicht bis zum Konzertbeginn findet kaum noch jemand Anstoß. Dass aber auch die Musik vorsichtig sein muss, schreibt kein Hygienemaßnahmenkatalog vor.

Leider ist der erste Teil von Klangforum Wien unter der musikalischen Leitung von Emilio Pomàrico vor allem das: sehr vorsichtig. Komponistin Rebecca Saunders tupft zaghaft mit Klängen eine Farbmalerei, die nirgendwo so richtig hin will.

Allerdings gibt es zwei Konzerte an diesem Abend oder vielmehr eher ein zusammenhängendes zweistündiges Konzert mit zwei Stunden Pause dazwischen. Und der zweite Teil hat es in sich: Georges Aperghis malt in seiner Uraufführung Der Lauf des Lebens eine fast opernhafte Szenerie, die es in sich hat. Nun ist es aber Teil der Pralinenschachtel der kontemporären Musik, dass man vorher nie weiß, was man kriegt. Also startet der Nachmittag vorerst mit dem Programm von Saunders – nicht schlecht, aber etwas ernüchternd.

Es beginnt mit einem einzelnen Musiker, einem Akkordeonisten. Flesh. Krassimir Sterev hat Charakter, man schaut ihm gerne zu. Er atmet gemeinsam mit und gegen sein Instrument, murmelt flüsternd und japsend vor sich hin, schreit gegen Ende hinter vorgehaltener Hand. Dazu gibt es ein paar sehr hohe oder sehr tiefe Töne auf dem Akkordeon, manchmal ein paar Cluster. Alles ganz hübsch, aber auch alles schon mal gehört und gesehen.

Trotzdem hält sich die Langeweile noch in Grenzen, weil Sterev einfach mit vollem Herzen performt und allein das schon unterhaltsam ist. Schade für die, die ihn auf der Rundbühne der Philharmonie nur von hinten sehen. Musikalisch kratzt es aber leider nur an der Oberfläche von dem, was auf dem Akkordeon möglich wäre und die wenigen verwendeten Mittel nutzen sich schnell ab.

Auch im nächsten Stück, Sole, beschränkt sich die Komponistin auf wenige gestalterische Mittel. Ein Pianist greift in die Saiten, ein Percussionist in seine Trickkiste, ein Akkordeonist läuft von Notenpult zu Notenpult. Die entstehenden Klänge sind wieder ganz hübsch, manchmal denkt man an einen coolen Soundeffekt, den man bestimmt gut mal irgendwo einbauen könnte – aber leider ist auch dieses Stück eine Reise ins Nirgendwo.

Danach folgt eine Uraufführung: to an utterance – study, eine Studie darüber, wie man am effektivsten seine Klaviatur wischt. Das passt irgendwie zur aktuellen Situation, wo zu Anfang doch tatsächlich im Raum stand, ob man nicht gemeinsam benutzte Klaviaturen vor der Benutzung mit Desinfektionstüchern abwischen sollte. Zum Glück hat man schnell eingesehen, dass so etwas mehr schadet als nutzt und eine ausreichende Handhygiene der Spielenden alle Risiken beseitigen sollte.

Vielleicht beruft sich Saunders also auf diese Situation, wenn sie den Pianisten mit Stoffhandschuhen über die Tastatur wischen lässt. Endlich gibt es auch ein wenig Virtuosität zu sehen: Joonas Ahonen besticht mit schnellen, zielgerichteten Glissandi. Aber auch nur mit Glissandi, mehr darf er wieder nicht. So langsam gewöhnt man sich daran, dass die Stücke eigentlich nach der ersten Minute vorbei sind, materialtechnisch.

Zum letzten Stück des ersten Konzerts wird es noch einmal voller auf der Bühne: “15 soloists and conductor” stürmen die Bühne und es gibt ein bisschen Bewegung. Auch in der Musik tut sich etwas, langsam entsteht Masse. Es gibt wieder eine Menge Glissandi, Saunders arbeitet sich an Klangfarbenmelodien ab und erzeugt wieder viele schöne, interessante Geräusche. Nun steht auch endlich Emilio Pomàrico am Pult und gibt dem Ganzen so etwas wie eine Richtung.

Der erste Teil des Abends ist aber trotzdem durchweg vorsichtig, vielleicht zu vorsichtig. Nach zwei Stunden Zwangspause für die Saallüftung füllt sich die Philharmonie erneut. Nicht alle waren beim ersten Konzert dabei, aber die beiden Teile sollen ja trotzdem zusammengehören, die Musikerinnen und Musiker sind zumindest weitestgehend die selben wie zuvor.

Georges Aperghis prügelt nun alle aufkommende Müdigkeit wieder aus dem Publikum heraus. Der Lauf des Lebens ist eine dramatische Komposition – wenn man die Augen schließt sieht man ein großes Bühnenbild.

An zentraler Stelle steht das Hexeneinmaleins, welches schon in Goethes Faust I Verwendung fand. Ähnlich wie bei Goethe soll hier dem inneren Streben des Menschen und der Welt auf den Grund gegangen werden. Vielleicht ist es aber auch eine subjektive Äußerung des Komponisten über seine Sicht auf den menschlichen Lebenslauf. Der Unsinn, der Widerspruch ist die treibende Kraft; die »ganz allein macht mich gesund«.

Doch lassen wir uns über die Musik reden: Das Ensemble des Klangforum Wiens und die Neuen Vocalsolisten Stuttgart weben unter Emilio Pomàricos Dirigat einen dichten Klangteppich. Sie sind in der Lage, die verschiedenen Qualitäten von Instrumenten und Stimmen so zu verbinden, dass immer wieder neue Höreindrücke entstehen, die sich nicht abnutzen.

Durch die Geschichte führt Andreas Fischer mit seiner sonoren Bassstimme. Seine Sprechtexte setzt er mit bestimmter Ruhe, er bringt Ordnung in die chaotischen Klangwelten des Lebens.

Besonders sticht auch Posaunist Mikael Rudolfsson heraus. Er brilliert mit markanten Klängen, die einen leicht dreckigen Charakter haben.

Auch wenn die beiden Komponisten so unterschiedlich sind, sind doch die ästhetischen Grundvorstellungen Saunders und Aperghis recht ähnlich. Dass es genug Menschen gibt, die Saunders‘ Stil hoch schätzen, zeigt sich bereits daran, dass im Rahmen der Festspiele ganze drei Konzerte dieser Künstlerin gewidmet sind. Wer es allerdings energetisch mag mit Hang zum musikalischen Bühnenzauber, der ist bei Georges Aperghis sicher besser aufgehoben.

Gabriel Pech, 6. September 2020 für
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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