Ohren auf, Augen auf: An der Wiener Staatsoper bläst Ligetys ulkige Endzeitoper ins musikalische Füllhorn

Sarah Aristidou (Chef der Gepopo/Venus), Georg Nigl (Nekrotzar), Gerhard Siegel (Piet vom Fass, re.) © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Saufen und Fressen bis zum Umfallen. Mit der Oper „Le Grand Macabre“ hat der Komponist György Ligety die Triebe des Menschen auf die Schaufel genommen. Wollust, Macht und Unterdrückung inklusive – alles mit dabei, was in die Abgründe der menschlichen Seele entführt. Dass selbst der Tod davor nicht gefeit ist, macht ihn richtig menschlich. Bei Regisseur Jan Lauwers flucht der im biederen Bühnenbild, das dem Trend der Zeit folgt. Erst die Tanztruppe verleiht dieser Inszenierung das Prädikat „sehenswert“.

György Ligeti,  Le Grand Macabre 

Wiener Staatsoper, 11. November 2023 (Premiere)

von Jürgen Pathy

„Tuut-tuuut“, quietscht es aus dem Orchestergraben. Bereits nach den ersten Takten ist klar: Schmeißt die Hörgewohnheiten über Board, lasst euch fallen. Sonst wird dieser Abend eine herbe Enttäuschung. In den 1970er Jahren hat Ligety seine einzige Oper zu Blatt gebracht, die in Stockholm uraufgeführt wurde. Dass man samtweiche Bögen vergebens suchen wird, ist somit im Vorfeld klar. Die Hälfte des Orchestergrabens ist mit Schlagwerk gefüllt, die Streicher ausgedünnt – fünf Geigen, fünf Bässe, vier Celli. Stattdessen Hupen und Türklingeln.

„György Ligeti, Le Grand Macabre
Wiener Staatsoper, 11. November 2023 (Premiere)“
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Genie gegen Göre, wer wohl gewinnt?

Marc-André Hamelin © Hamelin Sim+Cannety-Clarke, 2018 

Ob die Familie im Saal die Einzigartigkeit dieses Abends denn überhaupt begreift? Ich gebe mein Äußerstes, es der One-Kid-only-Family klarzumachen… umsonst, ach, umsonst. Denn leider knackt seine Tochter, sie mag kaum 12 sein, ausgerechnet zu Hamelins zartvollsten Passagen deutlich hörbar mit den Fingern. Bald dreht sie schnell mit den Däumchen, mal zieht sie sich Strähnen aus dem Haar, mal massiert sie ihre nackten Knöchel kurz überm weißen Sneaker, aus mir unerklärlicher Langeweile – man merkt halt auch immer, wenn eine Göre im Raum ist, man ist ja auch Gören im Hohen Haus gewohnt, aber dies ist nun schon eine Über-Göre ganz offensichtlich – nun alles egal, denn dort, keinen Weitsprung weit entfernt, musiziert eben ein Weltstar, was sag ich, ein wahres Wunder.

Marc-André Hamelin  Klavier

Ludwig van Beethoven
Sonate für Klavier B-Dur op. 106 »Hammerklaviersonate«

– Pause –

Robert Schumann
Waldszenen op. 82

Maurice Ravel
Gaspard de la nuit / Drei Gedichte für Klavier nach Aloysius Bertrand

Elbphilharmonie, 12. November 2023

Ultra! Unerhört! Unspielbar! Unerreicht! Unglaublich! Unvergleichlich! Unvergesslich! Unfassbar! Marc-André Hamelin: Das Stupor Mundi — ein Wunder und Staunen der Welt! „Klavierabend mit Marc-André Hamelin
Elbphilharmonie, 12. November 2023“
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"Keine Kompromisse": Keine Frage – Hélène Grimaud l(i)ebt Brahms

Hélène Grimaud © Wiener Konzerthaus © Markus Aubrecht

Edward Gardner und das brillante London Philharmonic Orchestra begleiten die Französin im ersten Klavierkonzert von Brahms.

 Johannes Brahms (1833-1897) – Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15

Igor Strawinsky (1882-1971) – Petruschka (Fassung von 1947)

Hélène Grimaud, Klavier
London Philharmonic Orchestra
Edward Gardner, Dirigent

Kölner Philharmonie, 12. November 2023

von Brian Cooper, Bonn

„Aimez-vous Brahms?“ Die von Françoise Sagan vor über 60 Jahren gestellte Frage dürfte Hélène Grimaud mit einem klaren „Oui!“ beantworten, hat sie doch schon vor genau 35 Jahren dessen zweite Klaviersonate sowie drei Jahre später die dritte Sonate und die sechs Klavierstücke op. 118 bei Denon eingespielt. „Hélène Grimaud, Klavier, LPO, Edward Gardner
Kölner Philharmonie, 12. November 2023“
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Asmik Grigorian brilliert als gestörte Kindfrau in einer aufregenden Salome an der Hamburgischen Staatsoper

Magisch und dämonisch, verführerisch und attraktiv, hocherotisch und genau deshalb eine reale Gefahr für die Männerwelt – das ist Salome. Diese Frauenfigur, der in Kunst und Literatur seit jeher der Stempel der „Femme fatale“ aufgedrückt wird, entwickelt sich in der spannenden und höchst verrückten Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper zu einer totalen Anti-Heldin.

Richard Strauss | Salome
Musikdrama in einem Akt (1905)

Musikalische Leitung: Kent Nagano
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Inszenierung und Bühne: Dmitri Tcherniakov

Herodes – John Daszak
Herodias – Violeta Urmana
Salome – Asmik Grigorian
Jochanaan – Kyle Ketelsen
Page – Jana Kurucová
Narraboth – Oleksiy Palchykov

Staatsoper Hamburg, 12. November 2023

von Nicole Hacke

Im Regiewerk von Dmitri Tcherniakov zeigt sich die von Jochanaan brüsk abgewiesene Salome als äußerst sperrige Kindfrau, die aus dem Teenageralter noch nicht ganz herausgewachsen scheint. Verkörpert von der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian zeichnet der Regisseur ein verstörendes Psychogramm einer unreifen Frau, die in ihrer trotzigen und beängstigend autistischen Art ihre unerwiderte Liebe zu Jochanaan gerächt wissen will. „Richard Strauss, Salome
Staatsoper Hamburg, 12. November 2023“
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Jenůfa in Stuttgart: Rosie Aldridge als Küsterin Buryja brennt mir mit einem überragenden Auftritt diesen Abend ins Gedächtnis

Esther Dierkes (Jenůfa) © Martin Sigmund, Staatsoper Stuttgart

Jenůfa
von Leoš Janáček

Oper in drei Akten
Libretto von Leoš Janáček nach Gabriela Preissová
in tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Staatsoper Stuttgart, 12. November 2023

von Frank Heublein

In der Staatsoper Stuttgart wird Jenůfa von Leoš Janáček gegeben. An diesem Abend ist diese Oper in der Inszenierung Calixto Bieitos aus 2007 nach acht Jahren erstmals wieder im Haus zu sehen. Alle Hauptrollen sind Rollendebüts der Sängerinnen und Sänger.

Vor der Pause bin ich keineswegs hingerissen. Anfangs scheint mir das Staatsorchester Stuttgart etwas übermotiviert, denn Esther Dierkes als Jenůfa tut sich schwer, gegen den wuchtigen Orchesterklang stimmlich durchzudringen. Das reguliert sich im Laufe des ersten Akts. Nach der Pause dann passiert, was ich so schnell nicht vergesse. „Leoš Janáček, Jenůfa
Staatsoper Stuttgart, 12. November 2023“
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Der einsame Wanderer der „Winterreise“ bekommt Gesellschaft

Eine hörens-und empfehlenswerte Produktion, und eine interessante Erweiterung der Winterreisen-Diskographie allemal!

Franz Schubert
Winterreise

Tobias Berndt  Bariton
Heidi und Uwe Steger  Akkordeon

Gewandhauschor
Gregor Meyer  Leitung

Gen 23847

von Peter Sommeregger

 Franz Schuberts düsterer Liederzyklus „Winterreise“ gilt allgemein als Gipfelpunkt des deutschen Liedgutes, seit seiner Entstehung ist er bei Interpreten wie Publikum gefragt und häufig aufgeführt. „CD-Rezension: Franz Schubert, Winterreise, Tobias Berndt, Bariton, Heidi und Uwe Steger, Akkordeon
klassik-begeistert.de, 13. November 2023“
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DIE MONTAG-PRESSE – 13. NOVEMBER 2023

Sarah Aristidou (Chef der Gepopo/Venus), Georg Nigl (Nekrotzar), Gerhard Siegel (Piet vom Fass, re.) © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

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DIE MONTAG-PRESSE – 13. NOVEMBER 2023

Wien/Staatsoper
 „Le Grand Macabre“, Staatsoper, „Unmakabrer Makabrer“ „Tröt“ „TrÖt“ Trööt“ „TröÖöT“, „TRÖÖÖT“ – trotz Autohuben und Türklingeln:
Wenn sich der Weltuntergang so harmlos gestaltet, wie die Staatsopern-Erstaufführung von György Ligetis „Le Grand Macabre“, dann muss man sich wirklich nicht vor ihm fürchten.
http://www.operinwien.at/werkverz/ligeti/agrand2.htm

„Grand Macabre“ als abgesagter Weltuntergang an der Staatsoper
György Ligetis Oper in der Inszenierung von Jan Lauwers an der Wiener Staatsoper als bunte Farce
DerStandard.at.story

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Gautier Capuçon betet, selbst anbetungswürdig, mit Joana Mallwitz und dem Konzerthausorchester Berlin

Joana Mallwitz & Konzerthausorchester Berlin © Simon Pauly

Richard Strauss    Till Eulenspiegels lustige Streiche

Joseph Haydn        Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur Hob VIIb:1

Peter Rusicka         Metarmorphosen über ein Klangfeld von Joseph Haydn

Joseph Haydn         Sinfonie Nr. 82 C-Dur Hob I:82 „L’ours“

Konzerthausorchester Berlin
Joana Mallwitz  Dirigentin
Gautier Capuçon  Violoncello

Konzerthaus Berlin, 11. November 2023


von Sandra Grohmann

„La musique exprime ce qui ne peut pas s’exprimer avec des mots et sur quoi il est impossible de se taire“. – Die Musik drückt aus, was mit Worten nicht gesagt werden und worüber man nicht schweigen kann. 

Den Aphorismus von Victor Hugo zitiert Gautier Capuçon, der – um es gleich zu sagen – anbetungswürdige Solist des Abends; und zwar kündigt er damit die Zugabe an, den Vogelgesang (El cant dels ocells) von Pau Casals, dem katalanischen Jahrhundertcellisten, der unter dem von ihm nicht akzeptierten Namen Pablo Casals weltberühmt wurde.

„Konzerthaus Berlin, Joana Mallwitz mit Gautier Capuçon
Konzerthaus Berlin, 11. November 2023“
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DIE SONNTAG-PRESSE – 12. NOVEMBER 2023

Isabel Signoret, Maria Nazarova. Foto: Wiener Staatsoper, Michael Pöhn

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DIE SONNTAG-PRESSE – 12. NOVEMBER 2023

„Le Grand Macabre“ an der Staatsoper: So sieht ein Triumph aus, so hört sich ein Triumph an. (Bezahlartikel)
Einhelliger Jubel an der Wiener Staatsoper für alle Beteiligten.
Kurier.at

Wien (Staatsoper)
György Ligeti, Le Grand Macabre. Premiere
Prinzipiell freue ich mich, wenn ein Opernhaus Werke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Spielplan setzt, aber es müssen halt solche Werke sein, deren Aufführung sich auszahlt (ein solches wäre der zwar geplante, aber entweder verschobene oder ganz abgesagte, weil durch den Poulenc im Mai 2023 ersetzte „Saint François d’Assise“ Messiaens!). Ligetis „Le Grand Macabre“ (gespielt wurde die zweite Fassung in deutscher Sprache) gehört eindeutig nicht in diese Kategorie, wiewohl der Inhalt sicherlich einen guten Opernstoff abgeben könnte (ich zitiere die Staatsopernhomepage: „In ein imaginäres, korruptes Schlaraffenland – das »verfressene, versoffene und verhurte« Breughelland – platzt eines Tages der Tod alias Nekrotzar alias der dämonische Große Makabre, um die unmittelbare Zerstörung der Welt und der frivolen Menschheit zu verkünden…
forumconbrio.com

Wien/ Staatsoper/vor der Premiere
„Le Grand Macabre“ live aus der Wiener Staatsoper
Erstmals ist György Ligetis „Anti-Anti-Oper“, wie sie der Komponist bezeichnete, an der Wiener Staatsoper zu erleben. Mit Georg Nigl (Nekrotzar), Sarah Aristidou (Chef der Gepopo), Xavier Sabata (Fürst Go-Go), Maria Nazarova (Amanda) u.a. Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado.
https://oe1.orf.at/artikel/706231/Le-Grand-Macabre-live-aus-der-Wiener-Staatsoper

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Daniels vergessene Klassiker Nr. 26: Warum Mahlers zweite Sinfonie unterrepräsentiert ist

Gustav Mahler, 1909 wikipedia.org

Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 50 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.

von Daniel Janz

Gustav Mahler ist heute einer der bekanntesten Sinfoniker, vielleicht sogar der bekannteste überhaupt. Seine Sinfonien erklingen in unseren Konzertsälen inzwischen so oft, dass er manchen schon zu oft gespielt wird. Seine Musik gilt als elektrisierend und ergreifend, sie ist Blaupause für das Epische in der Sinfonie. Alle, die nach ihm kamen, berufen sich auf die eine oder andere Art auf ihn, so wie es seinerzeit mit Bach oder Beethoven der Fall war. Betrachtet man jedoch die Anzahl der Aufführungen, fällt auf, dass seine zweite Sinfonie verhältnismäßig selten gespielt wird. Warum? „Daniels vergessene Klassiker Nr. 26: Warum Mahlers zweite Sinfonie unterrepräsentiert ist
klassik-begeistert.de, 12. November 2023“
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