Auf den Punkt 1: Omer Meir Wellber hinterlässt seine Visitenkarte in der Elbphilharmonie ohne Melancholie und macht gleichwohl Lust auf seinen Einstand an der Staatsoper Hamburg 2025

Auf den Punkt 1: Omer Meir Wellber, Kirill Gerstein, NDR Elbphilharmonie Orchester  klassik-begeistert.de, 18. April 2024

Omer Meir Wellber © Wilfried Hösl

Elbphilharmonie, Großer Saal, 18. April 2024

NDR Elbphilharmonie Orchester
Kirill Gerstein – Klavier
Omer Meir Wellber – Dirigent

Gabriel Fauré – Suite aus »Pelléas et Mélisande« op. 80
Maurice Ravel – Konzert für Klavier und Orchester G-Dur
Franz Schubert – Sinfonie Nr. 3 D-Dur D 200

von Regina König und Jörn Schmidt

Das NDR Elbphilharmonie Orchester ist nicht unbedingt als pflegeleicht bekannt,  wenn man so will war dieses Konzert eine Leistungsschau für den designierten Generalmusikdirektor der Staatsoper Hamburg. Omer Meir Wellber war der Wunschkandidat von Tobias Kratzer, der ebenfalls ab 2025 als neuer Intendant installiert wurde. Auf beiden ruht viel Hoffnung, die Staatsoper nach der Ära Nagano/Delnon neu und zukunftssicher aufzustellen. Wie u.a. hier (https://klassik-begeistert.de/der-dirigent-kent-nagano-im-super-stress-18-19-februar-2024-elbphilharmonie-staatsoper-hamburg/; https://klassik-begeistert.de/philharmonisches-staatsorchester-hamburg-kent-nagano-anton-bruckner-sinfonie-nr-5-b-dur-elbphilharmonie-grosser-saal-4-maerz-2024/) leidenschaftlich diskutiert wird.

Vorab: Wie man es von einem Schüler Barenboims erwartet, kann Wellber leidenschaftlich schwelgen, versteht sich auf jazzige Rhythmen und ist auch noch historisch informiert unterwegs. Er ist damit deutlich breiter aufgestellt als Kent Nagano, der nach unserem Dafürhalten eher im französischen und außerdem zeitgenössischen Repertoire zu Hause ist, aber gerade mit deutscher Spätromantik zuweilen arg fremdelt. Das NDR Orchester hieß Wellber herzlich willkommen, indem es von Anfang an mitzog und dem Dirigenten seinen Willen gab.

»Pelléas et Mélisande«, ursprünglich eine Schauspielmusik, wurde von Gabriel Fauré nach deren Premiere als eigenständiges Orchesterwerk (Suite) aufgesetzt. Als Inspiration diente Maurice Maeterlincks gleichnamiges Märchen, dessen Symbolik einer verbotenen, todgeweihten Liebe zu allerhand Klangzauber taugt. Was von allen Beteiligten selbstbewusst ausgekostet wurde, ohne dass dies zu Lasten der Durchhörbarkeit ging. Die Streicher waren samtig aber nie vage, ebenso die Holzbläser. Auch wenn die vier Sätze kurz und die Themen zugegebenermaßen ziemlich komprimiert sind, fehlte der Interpretation der übergeordnete Zusammenhang. Kein Thema wirkte wirklich zu Ende geführt.

Omer Meir Wellber © Rouven Steinke

 

Maurice Ravels Werk geriet so, dass man Kirill Gerstein und Omer Meir Wellber am Künstlereingang hätte fragen mögen: In welchem New Yorker Jazzkeller habt Ihr geprobt? So jazzig verrucht, energisch und leidenschaftlich geriet das Klavierkonzert. Und das, obwohl Ravel sein Werk bekanntlich zunächst als „divertissement“ bezeichnen wollte: „leicht und brillant“ sollte es sein statt voller „Tiefsinn und dramatische Wirkungen“. Halt so, als ob  „es im Geiste der Konzerte Mozarts und Saint-Saëns’ geschrieben ist.“ Mozart konnte man neben all den (lauten) Tönen mit Bluescharakter tatsächlich  nachspüren, insbesondere in den zarten Passagen. Was auch daran lag, dass zwischen Solist und Orchester (weniger im Orchester untereinander) kammermusikalische Interaktion notiert werden konnte und der Spannungsbogen dank des großartigen Solisten nie abriss.

Bei Ravels blue notes haben wir übrigens spontan gedacht: Die dem Blues eigene Melancholie, die kannte bereits Franz Schubert – Melancholie als roter Faden bei der Zusammenstellung des Programms also. In der Pause haben wir daher die Suchmaschine mit dem „Fauré“ und „Melancholie“ gefüttert, und siehe da, Wikipedia spuckte aus, dass Faurés  Lehrer Camille Saint-Saëns dessen  Stücken „parfümfreien Charme und gebändigte Melancholie“ bescheinigt habe. Omer Meir Wellber der Melancholiker? Mitnichten, wie auch bei Schubert deutlich wurde.

Über Schuberts Sinfonie Nr. 3 war im Programmheft der Theaterkritiker Eduard Hanslick zitiert, die Sinfonie sei »ein Werk der Jugend und ihres vergnügt lärmenden Tatendranges, der sich regt und bewegt, ohne sich noch um Ziel und Erfolg zu kümmern«. Von wegen kein Ziel, Schubert wollte ohne schmerzhaften Bruch weg von Mozart und Haydn, hin zu einem lebendigerem Ausdruck der Gefühle. Auch Wellber wollte von Hanslicks Worten  augenscheinlich nichts wissen. Gewiss erklang die Sinfonie auch bei ihm tänzerisch, gar mit einer Überdosis Hüftschwung, die Juvenilität ertönte aber eher jugendlich-kämpferisch als nur frohgemut. Wellber nahm Schubert offensichtlich als Kämpfer für romantische Ideale. Sein Rezept: Als Basis ein historisch informierter, transparent-knackiger Klangteppich, rasante Tempi, herbe Kontraste zwischen Laut und Leise – wie man heute Mozart, Haydn oder auch Beethoven gibt. Im Ergebnis wirkte der Schubert-Sound dadurch kalt-kontrolliert. Ein wenig mehr Günter Wand hätten wir uns zuweilen gewünscht, auch Schubert darf ausgesungen werden!

Elbphilharmonie © Maxim Schulz

Dem Publikum gefiel es, wie der Applaus bezeugte, und trotz hier und da geäußerter Kritik  möchten auch wir fantasieren: Mit den heutigen, eingangs erwähnten  Zutaten und seiner sportlich-eleganten Ausstrahlung wird Omer Meir Wellber auch an der Staatsoper Hamburg reüssieren.

Vielleicht gerade mit Richard Wagner und Richard Strauss.

Regina König und Jörn Schmidt, 18. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Neujahrskonzert der Wiener Symphoniker und der Wiener Singakademie, Beethoven 9 Wiener Konzerthaus, 1. Januar / Jänner 2024

 

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