Bayreuth, Tag 3: Thielemann 1, Tristan 2 und Isolde 3

Richard Wagner, Tristan und Isolde, 27. Juli 2018,  Bayreuther Festspiele

Foto: Bildquelle: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Richard Wagner, Tristan und Isolde,

Bayreuther Festspiele
, 27. Juli 2018

Dirigent: Christian Thielemann
Inszenierung: Katharina Wagner
Tristan: Stephen Gould
Isolde: Petra Lang
König Marke: René Pape
Brangäne: Christa Mayer
Kurwenal: Iain Paterson
Melot: Raimund Nolte
Ein Hirte, Junger Seemann: Tansel Akzeybek
Ein Steuermann: Kay Stiefermann

Wagner machen, das kann er wie kein zweiter. Das Festspielorchester spielt unter Christian Thielemann phänomenal – es ist berührend schön, dabei zu sein. Dieses Gefühl stellt sich bei „Tristan und Isolde“ wie im Vorjahr schon nach den ersten drei Takten des Vorspiels ein. Alles ist wie verwandelt: Raum und 2000 Menschen.

Es war einsame Weltklasse, was der weltweit versierteste Wagner-Dirigent den europäischen Ausnahmemusikern des Festspielorchesters im Bayreuther Graben abzuverlangen vermochte. Schon bei der Ouvertüre, deren Anfang zauberhaft leise und langsam den berühmten Tristan-Akkord zelebrierte, stellte sich Gänsehautgefühl ein. Auch die Hörner Anfang des zweiten Aufzuges hört man nirgends so gut wie in Bayreuth. Und die Streicher zu Beginn des dritten Aufzuges und das folgende Englischhorn-Solo des Hirten sind wegweisend.

Und so bekam der Musikdirektor der Bayreuther Festspiele nach drei Stunden und 55 Minuten Tristan und Isolde den stärksten Applaus im Festspielhaus auf dem Grünen Hügel. Thielemanns Leistung war so berauschend und betörend, dass es sich lohnt, Deutschlands bester Musikkritikerin zu lauschen, die der Tristan-Premiere 2017 beiwohnte:

„Der Dirigent Christian Thielemann hat ein spezielles Gefühl für Klangmixtur. Außerdem kann er mit der Akustik des Festspielhauses in Bayreuth so selbstverständlich und souverän umgehen, als handele es sich um den Inhalt seiner Hosentasche. So gelingen ihm immer wieder unerhörte Synthesen aus allen möglichen Instrumentenfarben und Klangzaubereien, von denen alle Welt ahnt und erwartet, dass sie sich in diesem Hause einzustellen haben. Dieses Zaubers wegen sind die Leute angereist.“

Ja, Eleonore Büning war so berührt, dass sie gar eine Anspielung auf den „lieben Gott“ nicht scheute: „Sie wollen hören, zum Beispiel, wie der scharfe, süße Ton einer Oboe so vom wärmenden, diffus gestreuten Violoncelloton überlagert wird, dass wir die jeweils haptische Herkunft, das Geblasen- oder Gestrichenwerden, nicht nur nicht mehr hören, vielmehr meinen, solch ein Sphärenklang müsse herrühren von einem bisher unbekannten Instrument, das der liebe Gott soeben erfunden und vom Himmel geworfen habe.“

Soweit zur gigantischen Tristan-Musik und dem Weltklasse-Dirigat des Christian Thielemann. Leider konnten nicht alle Sänger mithalten: Die beiden Protagonisten lieferten unterschiedlich ab: Der Tenor Stephen Gould bot als Tristan eine gute Leistung. Die Sopranistin Petra Lang als Isolde – wie im Vorjahr – nur eine knapp mittelmäßige.

Stephen Gould erwies sich als ein gestandener Heldentenor alter Schule, seine Kraftreserven bis zum Schluss waren beeindruckend, seine Strahlkraft in der Höhe war meist fulminant. Allein, magische Momente wollten sich kaum einstellen an diesem Abend: Gould sang zu monoton, zu wenig nuancenreich – er hat den Tristan schon (deutlich) besser gesungen! Es gab nur ganz wenige Passagen, die mich richtig in die Knie zwangen. Dennoch bleibt Goulds Tristan einer der besten, der derzeit zu hören ist. Vom Text des US-Amerikaners war (in Reihe 25 Mitte) fast nichts zu verstehen – und das  lag nicht daran, dass die Musik zu laut war.

Für Petra Lang galt an diesem Abend auch das Urteil vom Vorjahr: Sie ist eine Isolde, die in den Höhen meist mit zu viel Druck singt. Das hört sich dann unangenehm gepresst an, sie singt mit zu viel Vibrato. In den Ausbrüchen wird ihre Stimme unangenehm schrill. Am Ende des dritten Aufzugs versagten ihr die Kräfte. Langs Mittellage und tiefere Lage ist deutlich besser als die Höhenlage – an die Isolde von 2015, Evelyn Herlitzius, reicht sie aber bei Weitem nicht heran. Tiefere Partien wie die Ortrud im „Lohengrin“, dargeboten in Bayreuth vor drei Jahren, liegen der aus dem Mezzofach stammenden Lang deutlich besser.

Berührend waren allein die gefühlvollen, sanften piano-Passagen im Duett mit Stephen Gould im zweiten Aufzug. An ihrer Textverständlichkeit sollte die 55-Jährige arbeiten – vom Text verstand man so gut wie nichts. Die Bayreuther Festspiele, die ja quasi fast jede Sängerin der Welt engagieren können, sollten dringend über eine Neubesetzung der Isolde nachdenken, auch wenn Petra Lang sehr viel Applaus bekam. Für sehr anspruchsvolle, geschulte Ohren ist Frau Lang kein großer Genuss – das ergab auch das Gespräch mit zahlreichen Zuschauern.

Als sorgende Brangäne bot die Mezzosopranistin Christa Mayer eine gute Leistung. Ihre Stimme verfügt über eine schöne ausdrucksstarke Farbe und plastische Diktion. Das Timbre ist fraulich. Ihre Textverständlichkeit ist gut. An die Leistung des Vorjahres konnte sie nicht ganz heranreichen. In den Höhen sang sie immer wieder mit zu viel Druck. Aber immer wieder sorgte sie mit Weltklasse-Passagen auch für Begeisterung.

Kaiser in Sachen Textverständlichkeit war wie im Vorjahr der Bass René Pape als König Marke. Papes tief verborgenes Metall wird von einem Mantel aus Weichheit umhüllt. Sein viriler Bass ist durchschlagend – die einzige Weltklasse-Leistung der Gesangssolisten an diesem Abend.

Den treuen Kurwenal gab der Bariton Iain Paterson vital und energisch – das war in weiten Strecken wirklich sehr gut und viril. Paterson sang kraftvoll, souverän und mächtig. Ganz wunderbar ist seine dunkle Seite des Baritonalen.

Der Festspielchor überzeugte bei seinem kurzen Auftritt, Raimund Nolte gab einen sehr guten Melot.

Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann hat für das Nachtstück von Katharina Wagner drei abstrakte Räume gebaut: Ein Treppen-Labyrinth mit Hängebrücken und Reling, ein Gefängnis mit Fahrradständern (erinnert an ein SM-Studio), ausfahrbaren Metallkrallen und Suchscheinwerfern sowie eine Artus-Runde im mystischen Nebel. In großen Teilen, außer im dritten Aufzug, ist die Inszenierung düster, morbide und emotionslos. Sie passt nicht zur emotionalen Musik, die die verzweifelte Liebe Tristans und Isoldes und deren Liebestod – in dieser Inszenierung führt König Marke Isolde nach Tristans Tod mit den Schlussakkorden von der Bühne – mit phantastischen Wellen, Nuancen, Bögen und leisen Feinheiten zelebriert. Allein die Visionen der Isolde im Fieberwahn, die Tristan im dritten Aufzug erscheinen, bleiben dem Zuschauer als beeindruckende Bilder haften. Und so musste sich die Urenkeltochter Richard Wagners bei der 2018er Premiere neben Beifall auch zahlreiche Buhrufe anhören.

Andreas Schmidt, 27. Juli 2018,
klassik-begeistert.de

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