Bachdenkmal am Bachhaus Eisenach – Foto: pixabay
Schleswig-Holstein Musik Festival 2019
von Guido Marquardt
Bekannte Namen, Rising Stars, Geheimtipps: So vielfältig wie die vertretenen Musikerinnen und Musiker war auch die Art und Weise, mit der sich die einzelnen Konzertabende dem diesjährigen retrospektiven Komponistenschwerpunkt näherten. Bach mit Solo-Instrumenten, in kammermusikalischer Besetzung, mit Percussion oder getanzt: eine reichhaltige Auswahl. Da sollte eigentlich für jeden was dabei gewesen sein. Für mich allemal – ein kleine Bilanz zum Ende des Schleswig-Holstein Musik Festivals 2019.
Es spricht hoffentlich nicht gegen den Rezensenten, auf jeden Fall aber für die Breite eines Festivals, wenn der Verfasser sich auch nach immerhin neun Konzertbesuchen in der zu Ende gehenden Spielzeit nur bedingt in der Lage sieht, eine Bilanz des SHMF 2019 zu ziehen. Notwendigerweise ist das lückenhaft, es fehlen schon mal Eröffnungs- und Schlusskonzert sowie leider auch sämtliche Konzerte der diesjährigen Porträtkünstlerin Janine Jansen. Der Versuch eines persönlichen Resümees mag dennoch statthaft sein.
Johann Sebastian Bach stand im Blickpunkt des diesjährigen Festivals. Direkt vor einem Jahr, das wohl im Klassikbetrieb flächendeckend von Beethovens 250. Geburtstag geprägt sein wird, ist das allemal eine gute Wahl. Auch die typische Saalinfrastruktur des SHMF passte nach Papierform ausgezeichnet – viele kleinere Häuser, viele Kirchen.
Bewährte Könner
So stand dann auch für mich das Bach-Programm im Mittelpunkt. Zahlreiche große Namen aus dem Bereich der Alten Musik gaben sich die Ehre, etwa Ton Koopman und Il Giardino Armonico.
Koopmans Aufführung verschiedener Kantaten im Lübecker Dom zeigte sowohl die hohe Reife als Resultat von Koopmans jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem Stoff, als auch die erfrischende Verve, mit der er sich Bach nach wie vor widmet, und die auch auf die Mitwirkenden regelmäßig abstrahlt. Il Giardino Armonico wurden mit drei Brandenburgischen Konzerten ein wenig zum Opfer des Spielortes: So eindrucksvoll und schön der Hamburger Michel auch sein mag, für so delikate Werke ist er leider wenig geeignet.
Innige Momente
Als Vertreterin der „Next Generation“ der Alten Musik verzauberte Julia Lezhneva das Publikum im Kieler Schloss mit einem höchst anspruchsvollen Programm zwischen Bach, Vivaldi und Händel. Wer sich von einer, Verzeihung, Rampensau wie dem singenden und geigenden Maestro Dmitry Sinkovsky und seinem Ensemble La Voce Strumentale auf der Bühne nicht die Butter vom Brot nehmen lässt, muss schon ordentlich dagegenhalten. Lezhneva tat dies mit zarter, lyrischer Ausgestaltung von größter Innigkeit.
Mut und Entscheidungen
Und während Lezhneva dem Geheimtipp-Status längst entwachsen ist, machten beim SHMF auch echte Newcomer auf sich aufmerksam – beziehungsweise rückten sie Bach in neue musikalische Kontexte: Furios und unerschrocken mixte der Percussionist Simone Rubino Bach mit Gegenwartskompositionen, wechselte zwischen experimentellen Effekten und einer überaus meditativen Version von Bachs Cellosuite Nr. 3 auf der Marimba. Und holte das Publikum derart ab, dass der Abend in Glückseligkeit endete.
Möglicherweise an einem Scheideweg einer noch jungen Karriere war das vision string quartet zu erleben – spielfreudige Streicher, die sich (noch) nicht entscheiden möchten, ob sie eher der klassischen oder der Unterhaltungsmusik frönen möchten, und daher vorerst beides erledigen. Freilich nacheinander, nicht gleichzeitig. Ein Ensemble, das man sich ebenso merken sollte wie die Großhansdorfer Auferstehungskirche als Spielort von ebenso akustischer wie architektonischer Nüchternheit.
vision string quartet, Schleswig Holstein Musik Festival, 13. Juli 2019
Uneitles Adieu, Gipfel des Schaffens und eine große Zukunft
Ein ganz anderes Programm stand natürlich auf dem Plan, als Edita Gruberová dem hohen Norden ihr Adieu sang. Faszinierend zu erleben, was sie mit Disziplin, Fleiß und einer ganz uneitlen Anpassung ihrer Gesangstechnik noch im Köcher hatte.
Edita Gruberová, Peter Valentovič, Schleswig-Holstein Musik Festival, Kieler Schloss, 23. Juli 2019
Hilary Hahn hingegen befindet sich im Zenit ihres Könnens und gab eine ebenso souveräne wie packende Bach-Interpretation in Lübeck. Noch nicht so bekannt wie das an diesem Abend von ihm (und Hahn) geleitete Orchester (Deutsche Kammerphilharmonie Bremen) ist der junge Dirigent Omer Meir Wellber, doch mit seinem ansteckenden, humorvollen Auftreten reißt er nicht nur das Publikum mit, sondern auch den ihm anvertrauten Klangkörper. Ein Maestro, von dem wir noch viel hören werden!
Lübeck, Musik- und Kongresshalle, 23. August 2019 Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF)
Highlight I: charaktervolle Magie auf der Violine
Meine persönlichen Highlights des SHMF-Sommers waren zwei zugleich komplett unterschiedliche wie auch wesensverwandte Annäherungen an Bach: Der genialisch-atemberaubende Parforceritt von Christian Tetzlaff durch die Violinsonaten und –partiten hätte keinen besseren Ort, keine bessere Bühne finden können als die Elbphilharmonie. Auch das geht also, wenn man sich traut und ein Musiker auf Basis makelloser Technik zudem so viel Charakter in seinen Vortrag legt wie Tetzlaff an diesem magischen Juliabend.
Highlight II: Bilder für Kopf, Herz und Bauch
Und ebenso dem Scottish Ensemble und der Tanzcompagnie Andersson Dance kann man nur gratulieren zu ihrem Mut, sich aufeinander und auf die Adapation der Goldberg-Variationen einzulassen. In einem wahren Ideengewitter ließen sie im Kieler Schloss gemeinsam immer wieder neue Bilder auf der Bühne und im Kopf des Publikums entstehen. Auch wenn mancher Profi-Kritiker die eigene Ignoranz wohl auf die Zuschauerinnen und Zuschauer projizierte: Ganz viele an diesem Abend haben durchaus verstanden, worum es ging. Vielleicht nicht immer mit dem Kopf, aber bestimmt mit Herz und Bauch.
Insgesamt erschien die Mischung äußerst gelungen, mit der das SHMF-Team um Intendant Christian Kuhnt Arrivierte und Newcomer ebenso auf den Spielplan brachte, wie es auch ein Miteinander von historisch informierter Aufführungspraxis und modernen Impulsen für Bachs zeitlose Meisterwerke aufzeigte. Ein sehr guter Jahrgang für die SHMF-Geschichtsbücher!
Guido Marquardt, 27.August 2019, für
klassik-begeistert.de