Foto: Michael Zapf (c) Elbphilharmonie Hamburg, 3. Juli 2018
Balthasar-Neumann-Chor und -Solisten
Balthasar-Neumann-Ensemble
Thomas Hengelbrock, Dirigent
Franz Schubert, Stabat Mater g-Moll D 175
Franz Schubert, Sinfonie Nr. 7 h-Moll D 759 »Unvollendete«
Robert Schumann, Missa sacra c-Moll op. 147
von Sebastian Koik
Herrlichster Frieden und Beseeltheit sollen den Großen Saal der Elbphilharmonie an diesem Abend erfüllen! Doch es ist auch ein Abschied. Thomas Hengelbrock war jahrelang das Gesicht des NDR Orchesters, leitete es seit dem Jahre 2011 und bei seiner Verwandlung in das NDR Elbphilharmonie Orchester. Diese Zeit ist mit der gerade zu Ende gegangenen Konzertsaison 2017/2018 vorbei. Es war eine wunderbare Zeit für Musikliebhaber in Hamburg und im Norden. Vielen Dank, Thomas Hengelbrock!
So sehr der begnadete Dirigent die letzten Jahre mit dem wichtigsten Orchester der Freien und Hansestadt Hamburg verwachsen schien: Er hatte auch ein Leben davor. So gründete er im Jahre 1991 den Balthasar-Neumann-Chor und 1995 das Balthasar-Neumann-Ensemble.
Was für wunderbar feine und erstklassige Klangkörper das sind, demonstriert Hengelbrock mit seinem letzten Konzert seiner Elbphilharmonie-Saison im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals. In Franz Schuberts „Stabat Mater“ begeistert der Chor mit Weichheit, Schmelz und Präzision. Der Gesang wirkt geradezu ätherisch. Schon nach den ersten Klängen lächelt das Herz. Das Orchester spielt unter Hengelbrock hochmusikalisch, mit perfektem Timing und herrlich dramatisch. Die Streicher agieren präzise zupackend.
Das zweite Stück des Abends ist Franz Schuberts „Sinfonie Nr. 7 h-Moll“, genannt die „Unvollendete“. Tiefe Kontrabässe beginnen, die Streicher musizieren himmlisch weich. Es ist Drama in der Musik, es gibt explosive Tutti-Ausbrüche. Das wunderbare Balthasar-Neumann-Ensemble ist hellwach. Die Lebendigkeit und Frische der Darbietung begeistern und machen große Freude. Am Ende wird die Musik sehr friedlich, ja, sie erfüllt die Zuhörer mit innerem Frieden.
„Unvollendete“ heißt dieses Werk. Doch was sollte danach noch kommen?! Man vermisst nichts an diesem Stück, außer dass diese Musik und dieser Frieden ewig andauern mögen. Beseelt wie selten geht das Publikum in die Pause.
Und dann bringen die Musiker Robert Schumanns viel zu selten aufgeführte „Missa Sacra“ auf die Bühne. Der Chor singt hochpräzise, artikuliert sehr deutlich und malt wunderbar mit Klangfarben. Das Kyrie ist sanft, friedlich, herrlich. Der Chor und das Orchester atmen die Musik langsam, als hätten sie alle Zeit der Welt. Das Gloria ertönt fulminant und überschäumend. Das Orchester spielt mit Biss, packend und mitreißend. Wunderbar die kontinuierliche, „ewige“ Basslinie der vier Kontrabassisten.
Raffiniert ist die Komposition von Robert Schumann mit vielen plötzlichen Dynamik- und Tempowechseln. Die Perkussions-Abteilung besteht aus einem vielbeschäftigten Paukisten, der eine prominente Rolle hat und seine Arbeit hervorragend und hochpräzise verrichtet.
Das Sanctus schwillt langsam an und klingt, als ginge die Sonne auf. Als werde es Frühling. Als begänne das Leben. Als sei alles frisch und neu. Das Leben sprießt.
Nach einer lauten und schnellen Passage ertönt die Orgel und die Musik wird plötzlich langsam, zärtlich und fragil. Und aus der Fragilität wird ein herrlicher Frieden, ein tiefer Frieden. „Sanctus Spiritus“, Heiliger Geist. Dann werden Chor und Orchester wieder laut und schnell und heben zu einer großen Feier an.
Im Agnus Dei werden Chor und Orchester herrlich zart. Wunderbar, wie Thomas Hengelbrock feinste Details aus den Musikern herauskitzelt, für das perfekte Tempo und die vollkommene Kontur des ganzen großen Klanggebildes sorgt. Der vielstimmige Chor und die vielen einzelnen Instrumente vereinen sich wunderbar zu einer Stimme, zu einem komplexen Klangwesen, das gemeinsam atmet.
Am Ende klingt die Musik friedlich aus. Danach erfolgt eine sehr, sehr lange andächtige Pause, bis das Publikum die Musiker feiert. “Pacem”, Frieden ist das letzte Wort der Messe, und der Saal ist danach tatsächlich beseelt und erfüllt mit Frieden. Der Chor hat den Zuhörern Frieden in die Herzen gehaucht.
Als wäre all das nicht genug, schenken die Musiker dem beglückten Publikum noch zwei Zugaben. “Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest”, singt der Balthasar-Neumann-Chor wie ein Chor aus Engeln, mit reiner, unglaublich feiner Kollektivstimme. Das ist ganz große Chorkunst! Man fühlt sich tatsächlich wie auf Händen getragen und beschützt in diesen wunderbaren Minuten. Der Paukist hat jetzt Pause, erfreut sich sichtlich beim Zuhören – so wie er zuvor sichtlich Spaß an der Arbeit hatte.
Die zweite Zugabe erfolgt dann ganz ohne Orchester. Josef Rheinbergers „Abendlied“ singt der Chor herrlich schön. Als Zuhörer schmilzt man dahin, möchte ewig in diesem Gesang baden! Der Balthasar-Neumann-Chor berührt mit vollkommenem Chor-Gesang, mit vollkommener Schönheit!
Unzählige Auftritte hatte Hengelbrock in den letzten Spielzeiten in „seiner“ Elbphilharmonie. In der kommenden Saison ist es nur einer: Am 28. November 2018 kommt er mit seinem Balthasar-Neumann-Chor und seinem Balthasar-Neumann-Ensemble zu Besuch. Auf den in den nächsten Jahren hoffentlich noch viele weitere folgen werden.
Sebastian Koik, 10. Juli 2018
für klassik-begeistert.de
Vielen Dank für diesen wunderbaren Blog. Ich war in dem Konzert mit Thomas Hengelbrock mit seinem außergewöhnlich Baltharsar-Neumann-Chor und -Orchester. So das Publikum zu ergreifen und mitzunehmen, ist einmalig. Bin so traurig, dass Thomas Hengelbrock unser Hamburg verlässt, freue mich aber schon riesig auf den November.
Ursula Stötzer
Danke Thomas Hengelbrock, wir hatten sieben Jahre ein erstklassiges NDR-Orchester, aber in Hamburg ist es ja immer so, dass gute Orchesterleiter laufen gelassen werden, siehe Ingo Metzmacher und Simone Young.
Ursula Stötzer