„Die Walküre“ Unter den Linden: Die Wälsungen werden einer Vivisektion unterzogen

Richard Wagner, Die Walküre  Staatsoper Unter den Linden, 3. Oktober 2022 Premiere

Foto: Anja Kampe (Brünnhilde), Michael Volle (Wotan), © Monika Rittershaus

Am Ende wieder jubelnder Applaus für alle, nur der Tenor Robert Watson (Siegmund) erhält lautstarke Buhs, die nur bedingt gerechtfertigt waren. Die Spannung und Erwartungshaltung für die ausstehenden Teile des Ringes steigt!

Richard Wagner Text und Musik
Die Walküre

Christian Thielemann, Dirigent
Staatskapelle Berlin

Dmitri Tcherniakov, Regie und Bühnenbild  

Staatsoper Unter den Linden, 3. Oktober 2022 Premiere

von Peter Sommeregger

Am zweiten Abend dieses Ring-Zyklus wird das Konzept des Regisseurs Dmitri Tcherniakov allmählich klarer: es ist ein gnadenloser, kalter Blick auf die handelnden Personen, die bei ihm Versuchsobjekte im Forschungslabor sind, oder als deren Beobachter agieren. Hundings Hütte im ersten Akt ist eine völlig transparente Kleinwohnung mit Kühlschrank, Waschmaschine, etc. Durch eine nur in einer Richtung transparente Glasscheibe kann der Institutsleiter Wotan jede Bewegung der Personen beobachten.

Siegmund ist ein entsprungener Häftling, sein unfreiwilliger Gastgeber Hunding ist Polizist. Als Hunding zu Bett geht – er tut dies in Unterwäsche und Socken (!)–, ist auch das genau zu sehen. Wie im zweiten Akt zu sehen ist, gelingt dem Liebespaar Siegmund und Sieglinde die Flucht aus dem Gebäudekomplex des Institutes nicht, sie irren durch die Stockwerke, vorbei an Kaninchenställen mit Versuchstieren. Siegmunds tödlicher Kampf mit Hunding ist nur akustisch wahrnehmbar, in der Version Tcherniakovs wird Hunding danach von Wotan weggeschickt, Siegmund von Security-Männern ermordet. Wer beim Walkürenritt des dritten Aktes auch ein optisches Spektakel erwartet, wird enttäuscht: es treten acht Mädels in Sportklamotten auf, kommen offenbar direkt vom Workout in den Konferenzraum des Institutes. Ein berührendes Bild gelingt dem Regisseur am Ende: das Bühnenbild fährt mit Wotan in den Bühnenhintergrund zurück, Brünnhilde bleibt allein und isoliert auf der leeren, schwarzen Bühne zurück, der Kälte und Einsamkeit überlassen. Das war stark!

Anja Kampe (Brünnhilde) © Monika Rittershaus

Musikalisch setzt Christian Thielemann seine etwas breit, analytisch angelegte Interpretation der Partitur fort. Das zieht den Abend etwas in die Länge, bringt aber auch zahlreiche orchestrale Details zum Klingen. In der letzten Szene ermutigt er Wotan und Brünnhilde auch zu gedämpftem Singen, die Piano-Stellen führen zu einer reizvollen Verdichtung und Intensivierung des Gesagten.

Robert Watsons Siegmund ist eine sehr gebrochene Figur, was sich auch akustisch niederschlägt. Sein Tenor hat Volumen und Kraft, aber der Einsatz seiner Mittel will dem Sänger nicht durchgängig gelingen. Sieglinde wird von Vida Miknevičiūtė mit leuchtendem Sopran verkörpert, ein wenig fehlt es aber an der Tiefe. Bewundernswert die Textverständlichkeit der Sängerin. Leider zeichnet sie der Regisseur als extrem neurotische, fahrige Person, die beständig zappelt und zuckt. Da ist es wieder, das für Tcherniakov typische Overacting. Mika Kares als Hunding ist mit seinem kernigen Bass optimal besetzt.

Robert Watson (Siegmund), Vida Miknevičiūtė (Sieglinde) © Monika Rittershaus

Michael Volle setzt seinen Triumphzug als Wotan fort, mit schier unkaputtbarer Stimme dominiert er das vorzügliche Ensemble. Dass er sich in der letzten Szene deutlich zurücknimmt ist Interpretation, nicht Schwäche. Claudia Mahnke verkörpert erneut eine starke Fricka, stimmlich wie optisch.

Michael Volle (Wotan), Anja Kampe (Brünnhilde) © Monika Rittershaus

Anja Kampe, lange Jahre als Sieglinde erfolgreich, wagt in diesem Ring ihre erste Brünnhilde nach einer Salzburger Produktion. Ihr kräftiger Sopran beherrscht die fordernde Rolle durchaus, einzelne Töne klingen zwar etwas hart und versteift, aber im Gesamteindruck gelingt ihr eine souveräne Interpretation, die in der letzten Szene noch an Format gewinnt und berührt.

Die acht Walküren machen aus ihren undankbaren Aufgaben das Beste, da und dort wackeln aber die Einsätze und das Zusammenspiel.

Am Ende wieder jubelnder Applaus für alle, nur Robert Watson erhält lautstarke Buhs, die nur bedingt gerechtfertigt waren. Die Spannung und Erwartungshaltung für die ausstehenden Teile des Ringes steigt!

Peter Sommeregger, 4. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Siegmund
Robert Watson

Sieglinde
Vida Miknevičiūtė

Hunding
Mika Kares

Wotan
Michael Volle

Brünnhilde
Anja Kampe

Fricka
Claudia Mahnke

Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 11. August 2022

Richard Wagner, „Die Walküre“, Tiroler Festspiele Erl, 17. Juli 2022

Richard Wagner, Die Walküre Wiener Staatsoper, 22. Mai 2022

 

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