Foto: Barbara Hannigan ©Marco Borggreve
Insgesamt ein spannender Abend, der ein aufmerksameres und respektvolleres Publikum verdient hätte.
Barbara Hannigan und das LSO mit Messiaen und Mahler in der Kölner Philharmonie.
Olivier Messiaen (1908-1992) – L’Ascension. Quatre méditations symphoniques für Orchester
Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 4 in G-Dur
London Symphony Orchestra
Aphrodite Patoulidou, Sopran
Barbara Hannigan, Dirigentin
Kölner Philharmonie, 9. März 2023
von Brian Cooper, Bonn
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in Mahlers Wunderhorn-Sinfonien 2-4 mit dem Bühnenauftritt der Gesangssolistinnen und Chormitglieder umzugehen, wenn sie erst nach etwa einer Stunde ihre Stimmbänder schnurren lassen. Entweder sie betreten ganz zu Beginn mit dem Orchester die Bühne und müssen lange ausharren, bis es für sie losgeht, nicht selten mit einem Glas Wasser unterm Sitz; oder aber sie treten unmittelbar vor dem Satz auf, in dem sie singen, was unweigerlich zu störendem Zwischenapplaus führt.
Bei Mahlers Vierter bietet es sich an, die Sopranistin am Ende des Adagios die Bühne betreten zu lassen. Während der lauten E-Dur-Stelle hat die Sängerin genügend Zeit, den oft langen Weg bis zur Bühne zu bewältigen und sich vor oder hinter dem Orchester in Position zu bringen. Irgendwann in der ersten Hälfte der 90er dirigierte Simon Rattle das Werk in Köln mit dem CBSO, und man machte genau das: Amanda Roocroft schwebte in einem silberfarbenen Kleid herein, das Bild habe ich noch vor mir.
Besonders reizvoll, und äußerst selten, ist es, wenn eine Dirigentin vor dem Orchester steht, die zufällig auch noch Sopranistin ist. So war’s gedacht, als Barbara Hannigan das London Symphony Orchestra (LSO) in Köln dirigierte. Leider war es ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, den Gesangspart zu übernehmen.
Dafür gab Aphrodite Patoulidou ein beeindruckendes Philharmonie-Debüt. Sie sang nicht nur textverständlich mit klarer, schöner und sicherer Stimme, sondern gestaltete regelrecht jede Zeile des kindlich-naiven Schlaraffenland-Texts, der von den „himmlischen Freuden“ erzählt. Vom Orchester wurde sie sensibel begleitet – vergessen wir nicht, dass hier eine Sängerkollegin dafür sorgte, dass die Stimme stets präsent über dem Orchester schwebte. Interessant liest sich übrigens die Vita Patoulidous: Ihr Repertoire reicht nicht nur von Purcell bis Claude Vivier, sondern sie singt gelegentlich Heavy Metal und ist auch außerhalb der Musik künstlerisch vielseitig.
Die Schlittenfahrt zu Beginn der Vierten – wenn es denn eine ist, die da von den Schellen suggeriert wird – begann ungewohnt langsam, doch schon bald waren wir in bekannten Tempogefilden, der Bi-Ba-Butzemann machte sich überaus keck bemerkbar, und die gesamte Sinfonie wurde sehr leichtfüßig und tänzerisch dargeboten, mit einer Vielzahl an solistischen Höhepunkten (Thomas Daveys Englischhorn-Soli waren besonders anrührend).
Der zweite Satz hat für mich so gar nichts Schauerliches an sich, im Vergleich zu anderen Sätzen Mahlers, der zum Scherzo seiner Vierten anmerkte, es sei „mystisch, verworren und unheimlich, dass Euch dabei die Haare zu Berge stehen werden“. Souverän und ausdrucksstark: Konzertmeister Zsolt-Tihamér Visontay, im Hauptberuf Konzertmeister des Philharmonia.
Das Adagio wurde zwar „ruhevoll“ dargeboten, wie es die Satzbezeichnung vorgibt. Unruhig waren jedoch leider einmal mehr „die Huster von Köln“, die in voller Fraktionsstärke zugegen waren und sich insbesondere zwischen den Sätzen derart laute Ausfälle bzw. Auswürfe erlaubten, dass die Nichthuster kopfschüttelnd bis raunend mit ihren arg traktierten Ohren schlackerten. Dennoch gab es auch bemerkenswerte Momente der Stille, etwa in der überraschenden Generalpause im ersten Satz und ganz besonders zum Ende der Sinfonie. Bis – wie immer, mag man resigniert sagen – einige Ungeduldige mit verfrühtem Applaus einsetzten.
Die Frage, warum man sich in die 15. Reihe setzt, wenn man unbedingt die Partitur auf dem Smartphone mitlesen will, anstatt sich nach hinten auf eines der Sofas zu verkrümeln, vermag nur der musikinteressierte Jüngling zu beantworten, der das Orchester allerdings während der gesamten Aufführung keines Blickes würdigte.
Vor der Pause wurde L’Ascension gespielt, ein etwa 25minütiges Frühwerk des 25jährigen Olivier Messiaen aus dem Jahre 1933. Barbara Hannigan streckte nach jedem der vier Sätze beide Hände gen Himmel, was den Himmelfahrts-Meditationen des frommen Katholiken Messiaen zupasskommt.
Auch wenn man nur wenige Orchesterwerke des Franzosen kennt, erkennt man sofort seine ganz eigene Klangwelt – mit Ausnahme vielleicht des dritten Satzes, der, wie Jürgen Ostmann im Programmheft anmerkt, durchaus noch von Messiaens Lehrer Paul Dukas beeinflusst ist. Während der erste Satz eine herrliche, vom Holz unterstützte Blechbläserchoral-Meditation ist, dominieren im zweiten die Holzbläser.
Der letzte Satz schließlich ist Messiaens ganz eigenes Adagio for Strings, wobei Samuel Barber sein Streichquartett op. 11 wenig später, nämlich 1936, schrieb, und das daraus entnommene Adagio, das zu seinem populärsten Werk wurde, wiederum zwei Jahre später (1938) für Streichorchester arrangierte. Messiaens vierte Ascension-Meditation ist ein flirrendes, sphärisches Werk, ohne Kontrabässe. Vielleicht ist es nicht ganz geistesverwandt mit Barbers Stück, doch nutzen beide gekonnt die gesamte Bandbreite des Streicherklangs, jeder auf seine Weise.
Insgesamt ein spannender Abend, der ein aufmerksameres und respektvolleres Publikum verdient hätte.
Dr. Brian Cooper, 10. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Stravinsky, „The Rake’s Progress“, Barbara Hannigan, DVD-Besprechung
Lieber Herr Dr. Cooper,
wie schön, dass Sie dieses Konzert besuchen und so lebhaft davon berichten konnten. Es stand auch auf meiner Liste, hat sich dann aber mit einer Studienarbeit überschnitten. Deshalb danke, dass Sie mir immerhin einen Eindruck davon verschaffen konnten. Es klingt so, als hätte ich wirklich was verpasst.
Vielleicht sieht man sich aber schon am 20. oder 22.3. in Köln? Auch da sind wieder hochkarätige Gäste in der Stadt.
Daniel Janz
Lieber Herr Janz,
vielen Dank. Ich bin in der Tat am 20. beim CBSO. Wir können ja per Mail einen Treffpunkt ausmachen.
Herzliche Grüße,
Ihr Brian Cooper