Wagners "Tannhäuser" zieht in in Bayreuth mehr denn je – auch im fünften Jahr

Richard Wagner, Tannhäuser, Klaus Florian Vogt, Elisabeth Teige, Nathalie Stutzmann  Bayreuther Festspiele, 26. Juli 2024
Foto: Tannhäuser 2024, 2. Akt, Irene Roberts (Venus), Manni Laudenbach (Oskar), Le Gateau Chocolat, Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Elisabeth Teige (Elisabeth), Günther Groissböck (Landgraf Hermann), Chor der Bayreuther Festspiele © Enrico Nawrath

Klaus Florian Vogt bekommt als Tannhäuser zurecht den meisten Applaus an diesem Abend – Klatschen, Bravi, Fußgetrampel. Es ist auch der Klaus-Florian-Vogt-Tag in Bayreuth. Aber auch Elisabeth Teige als Elisabeth, Irene Roberts als Venus, Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach und Günther Groissböck als Landgraf Herrmann ernten reichlich Applaus und Bravi.

Bayreuther Festspiele, 26. Juli 2024
Richard Wagner, Tannhäuser

von Andreas Schmidt

„Tannhäuser“ in Bayreuth – das  ist die Oper der Zukunft! Die Inszenierung von Tobias Kratzer (neuer Intendant der Staatsoper Hamburg) ist intelligent, bunt, gefühl- und humorvoll. Das ist cool, emotional, sexy und berührend. Es singen in ihren Rollen die überwiegend besten Sänger der Welt. Das Orchester ist eine Wucht, und die Französin Nathalie Stutzmann (Beifall 8 / 10) zeigt mit ihrem einfühlsamen wie energetischen Dirigat, dass man in Bayreuth auch getrost auf „den großen Thiele“ verzichten könnte.

Und dann diese Musik: Jedem der knapp 2000 Menschen im Festspielhaus schlägt das Herz, brennt vor Sehnsucht die Seele, wenn die besten Musiker aus ganz Europa und dieser fulminante Chor (Leitung: Eberhard Friedrich) alles geben und diese göttlichen Noten spielen und singen.

Richard would have been happy!

Ja, and the very best of the best ist der Klang. Für ihn sollte jeder, der Wagner liebt, einmal im Leben nach Bayreuth pilgern. Wer seinen Focus auf Stimmen richtet, wer die optische Imagination eines Puppentheaters sucht, dem hat Richard Wagner das absolute Wunderland auf den Grünen Hügel gezaubert. Zu einer Zeit, als der Rundfunk noch in seinen Kinderschuhen steckte, als Thomas Alva Edison gerade erst dabei gewesen war, die ersten Tonaufzeichnungsverfahren zu entwickeln, schuf Richard Wagner bereits den Vorreiter des heutigen Dolby Surround Sounds.

Tannhäuser 2024, 1. Akt, Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Irene Roberts (Venus), Le Gateau Chocolat © Enrico Nawrath

In Bayreuth lautet die Devise: Hinsetzen, stillhalten und großes Kino erleben! Ein Erlebnis, das zur Eröffnung des Festspielhauses im Sommer 1876 bahnbrechend gewesen sein muss.

Was findet Tannhäuser eigentlich erotisch an dieser quirligen, pubertierenden, leicht durchgeknallten Venus, die in ihrer Märchenwelt lebt? Ist es das Losgelöste, das Selbstbewusste, das Unbeschwerte?

Tannhäuser 2024, 1. Akt Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Irene Roberts (Venus), Manni Laudenbach (Oskar) © Enrico Nawrath

Die Mezzosopranistin Irene Roberts, USA, als Venus meistert die Anforderungen bravourös – aber an Elena Zhidkova vor fünf Jahren reicht sie nicht heran. Sie ist eine großartige Schauspielerin und Sängerin (mit etwas zu viel Vibrato) und fügt sich perfekt in die Inszenierung ein. Die Intensität, mit der sie die Rolle verkörpert, ihre Blicke im zweiten Aufzug, das Trotzige, Gelangweilte, auch Gemeine – das alles nimmt man ihr sofort ab.

Tannhäuser 2024, 1. Akt Irene Roberts (Venus), Manni Laudenbach (Oskar), Le Gateau Chocolat © Enrico Nawrath

Tannhäuser hat ein Gewissen – er muss weg aus dieser kriminellen Energie, er war dabei, als ein Polizist von Venus totgefahren wurde. Er muss fliehen, ansonsten geht er zugrunde. Er wirkt psychisch äußerst angeschlagen im ersten Aufzug. Der Tenor Klaus Florian Vogt singt den verzweifelten Tannhäuser kraftvoll und sicher, ohne Ermüdungserscheinungen. Im 1. Aufzug fängt er etwas zu verhalten an. Im Sängerkrieg ist er der Hämische, Besserwisserische, sich über die „Romantiker“ Stellende. Die Titelrolle verlangt vom Dithmarscher ein Äußerstes an Stimmtechnik – KFV verfügt über eine exzellente, sodass nicht eine Sekunde zu befürchten ist, er würde es nicht bis zur Romerzählung schaffen.

Tannhäuser 2024, Klaus Florian Vogt (Tannhäuser) © Enrico Nawrath

Vogt ist der strahlende Tannhäuser unserer Zeit, einen solchen hörte ich zuletzt 2016 in Berlin an der Deutschen Oper. Der Sänger damals: Stephen Gould, der viel zu früh verstorbene US-Amerikaner, bester Freund der Prinzipalin Katharina Wagner.

Vogt ist ein gestandener Heldentenor mit einem besonders hellen Timbre, seine Kraftreserven bis zum Schluss sind beeindruckend, seine Strahlkraft in der Höhe herausragend. Er beschert den 2000 Menschen MAGISCHE MOMENTE.

Der Bariton Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach berührt durch eine hervorragende Leistung und lässt im dritten Aufzug einen hochemotionalen und berührenden „Abendstern“ strahlen. Seine Stimme klingt baritonal, weich, warm und voll. Dass er zum Schluss noch einmal alle Register zieht, beeindruckt auch Elisabeth, und sie zieht sich mit ihm in den Citroën für ein Schäferstündchen zurück. Lieber Markus Eiche, Ihr Wolfram berührt, Sie sind ein Bariton, der sich auf die hohe, verloren gehende Kunst des Legatosingens versteht und sein Lied an den Abendstern wunderbar leise, lyrisch und zärtlich gestaltet.

Seit 2007 ist Markus Eiche regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen zu Gast und war dort als Kothner in „Die Meistersinger von Nürnberg“, Donner im „Rheingold“, Gunther in der  „Götterdämmerung“ und Wolfram in „Tannhäuser“ zu erleben. Seit 2019 gestaltet der Künstler dort die Partie des Wolfram in der aktuellen Inszenierung des „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer. Dieser Weltklassebariton gehörte auch als Wolfram wieder zu den Besten, sein Timbre hat einen Wiedererkennungswert der Extraklasse. Er möge bitte auch größere Partien in Bayreuth singen.

Die norwegische Sopranistin Elisabeth Teige verkörpert Elisabeth trotz oder gerade aufgrund ihres Schicksals als starke, selbstbewusste Frau. Sie singt die Partie voller Wärme, Hingabe, in den Höhen strahlend und klar und überzeugt mit einer äußerst ausdrucksstarken Darstellung.  Sehr ergreifend ist vor allem die Szene im zweiten Aufzug, in der sie um das Leben von Tannhäuser fleht. Auch die Sequenz, in der sie mit Oskar, Manni Laudenbach, die Suppe löffelt, ist unbeschreiblich anrührend.

Tannhäuser 2024, Elisabeth Teige (Elisabeth, Nichte des Landgrafen © Enrico Nawrath

Elisabeth Teige bekommt zurecht den drittmeisten Applaus an diesem Abend – Klatschen, Bravi, Fußgetrampel wie bei Vogt und Stutzmann. Es ist – auch – der Elisabeth-Teige-Tag in Bayreuth. Als „Farben“ zu ihrem phantastischen Gesang passen Sonnenblumen, Bernstein, Gold und Kardamom.

Der Landgraf Hermann wird vom Niederösterreicher Günther Groissböck (Bass) gesungen. Er zog die Zuhörer und Zuschauer mit seiner väterlichen Stimme in den Bann. Groissböcks Kernkompetenz ist der mittlere und tiefere Bereich – kernig und volltönend! Sehr entspannend. Er hat ein wunderbares, dunkles Timbre, eine absolute Wohlfühlstimme. Ganz selten hatte er im höchsten Register leichte Probleme beim richtigen Ansingen des Tones.

Tannhäuser 2024, 1. Akt, Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Irene Roberts (Venus) © Enrico Nawrath

Bewegend schön, stilvoll mit einem Klaus-Florian-Voigt-Timbre gestaltet der südafrikanische Tenor Siyabonga Maqungo seine kleine Rolle als Walther von der Vogelweide. Yes he can, von diesem Spietzensänger möchte ich gerne mehr hören.

Der junge Hirt wird von einer fahrradfahrenden Flurina Stucki hingebungsvoll gesungen. Bei der Textpassage „Da strahlte warm die Sonnen – der Mai war ’kommen“ ist die wärmende wohlige Sonne förmlich zu spüren.

Tannhäuser 2024, Flurina Stucki (Ein junger Hirt) © Enrico Nawrath

Insgesamt war die Textverständlichkeit vieler Sängerinnen und Sänger ausbaufähig (gehört in Reihe 29, Platz 12, Parkett links) – nur Groissböck, Voigt und Eiche – in dieser Reihefolge – überzeugten auch sprachlich.

Andreas Schmidt, 28. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Mit Dank an Autorinnen und Autoren von klassik-begeistert.de.

Kommentar von Dr. Klaus Billand:     IMG_3237.MOV

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