Bach im Six-Pack

MATHIAS WEBER / KLAVIERABEND, Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy  Elbphilharmonie, Kleiner Saal, 15. September 2024

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg © Felix Broede

MATHIAS WEBER / KLAVIERABEND

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Brandenburgisches Konzert Nr. 4 G-Dur BWV 1049

Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788)
Hamburger Symphonie Nr. 6 E-Dur Wq 182

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)
Streichersymphonie Nr. 10 h­-moll

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Brandenburgisches Konzert Nr. 6 B­Dur BWV 1051 I. (Allegro)

Andreas Staier, Cembalo und Leitung 
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Elbphilharmonie, Kleiner Saal, 15. September 2024

von Harald Nicolas Stazol

Plötzlich bricht Stille aus: Der beste Cembalist der Welt – man mag mir widersprechen, wenn man kann – lässt etwas auf sich warten, dabei kann ich ihn doch gar nicht erwarten, ihn, und eine fein ausgewählte Schar aus dem Staatsorchester, David Cho, der Allround-Konzertmeister, wartet mit, und dann geht die geheime Bühnen-Tür rechts im Kleinen Saal der Philharmonie auf, und der kleine, bescheidenen Mann im gefälteten Hemd setzt sich nach zwei bescheidenen Verbeugungen ans Cembalo – und ab dafür!

Mitten rein ins vierte Brandenburgische Konzert, wir erinnern uns, die ersten drei waren ja in den vorherigen Akademiekonzerten, eines davon hörte ich zur Saisoneröffnung, keine Woche ist das her, und wie werde ich heute dafür entschädigt, die anderen beiden verpasst zu haben – es gab einfach keine Karten mehr… nun also auf freundliche Einladung der Direktion 4+5+6, garniert mit etwas CPE und der Streichersymphonie des Mendelssohn No. 10 (niedergeschrieben mit 17, nur mal nebenbei), die Matinee des 4. Akademiekonzertes – und so wandelt man durch überraschend laues Morgensonnenwetter hin, um Andreas Staier zu hören, so heißt er nämlich: Der beste Cembalist der Welt.
Andreas Staier © Andrej Grilc
Man mag mir glauben, die Brandenburgischen kann ich rückwärts singen, sie gehören zu einem der ersten Musikerlebnisse schon meiner Kindheit, und so beginnt schon im Allegro dieser Zauber, dieses Entfliehen-Können, und da ich dank der Direktion so nahe sitzen darf, dass ich umblättern könnte, naja, gefühlt, wird mir erst klar, was wahres Glück bedeutet, für einen Single im besten Alter: Ein Sonntagmorgen in der Elphi, mit den Greatest Hits des Johann Sebastian Bach.

Sogar ballernden Techno kann es übertönen, wenn man es im Ohr hat, und das Pech, am Kiosk der Landungsbrücken oben vorbeizukommen, dessen Belegschaft wohl bald ertauben wird, dieses Six-Pack von Suiten, die so viel abverlangen, wie sie schweben müssen. David Cho in führender Rolle, ich habe auf seine Virtuosität schon hingewiesen, mehrfach, er brilliert im wunderbaren Wiederspiel mit dem perfekt eingegroovten Mini-Staatsorchester, es ist einfach ganz herzöffnende Freude.

Ging das Cembalo im Großen Saal vor ein paar Tagen etwas unter, kann es nun im Kleinen sich ganz entfalten, in der Hermetik des ja viel intimeren Ortes: Das Instrument ja, das nicht moduliert werden kann, die Saiten werden ja von Gänsekielen nur gezupft, und man muss sich fragen, ob Staier mit seinem persönlichen Instrument reist, wunderbare Intarsien hat es jedenfalls auf dunkelbraunem Holz, und: Spielt der Virtuose doch mit dem Rücken zum Publikum, so wird das Tasteninstrument zum 5. Konzert von kundiger Hand – immer wieder erstaunen mich die Bühnenkräfte und ihre Präzision, nun quergestellt, und der rotlackierte Deckel angebracht.

Ab und zu schlägt der Meister den Takt auf den Seiten des Cembalos, manchmal scheint er es nur zu liebkosen, und diese seine Liebe zu Bach hört man eben auch, präzise und überdeutlich, an seinen Turbotasten! Aber wie die zwölf anderen Musiker eben auf ihn eingehen, mühelos seinen Tempi nachgehen, ihn auf das Perfekteste umrahmen, als wären sie alle Solisten, und sie sind es ja auch! So rasant jedenfalls sind mir die Konzerte, ja jedes eine Gemme, noch nicht begegnet.

Solisten, sage ich? Die Streichersymphonie von Felix Mendelssohn Bartholdy zeigt es überdeutlich, denn da leitet „nur“ der Konzertmeister ein Kammerorchester, das recht eigentlich keiner Anleitung bedarf.

Auf die Flötistinnen sei besonders eingegangen, Anke Braun und Cathérine Dorücü, die in ihrem Vortrag an Eleganz unübertrefflich sind.

Was noch? Dass der 2. Satz der Hamburger Symphonie von Carl Philipp Emanuel Bach mir derart bekannt vorkommt, dass ich in meinem Gedächtnis suche – bis mir aufgeht, dass er von Heinrich Breloer in seiner Thomas-Mann-Verfilmung mehrfach verwandt wird. Da braut sich ein Gewitter zusammen, so höre ich es, und dann Erlösung. Überhaupt könnte man diese Matinee als absolut ausgewogen bezeichnen, vorgetragen von Künstlern, die diesen von Barock zur Frühromantik reichenden Spannungsbogen, einen musikalischen Drahtseilakt, fast, wie in einem Privatkonzert, bestechend-brillant bemeistern.

Nach der Pause bleiben drei Sitzplätze vor uns frei. Die Dame vor mir dreht sich um, und sagt: „Wie schade – die wissen ja gar nicht, was sie verpassen!“

Fest steht: Wenn Andreas Staier spielt, IHN werde ich NIE mehr verpassen!

Harald Nicolas Stazol, 18. September 2024,
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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