Foto: Thies Rätzke (c)
Elbphilharmonie, Hamburg, Kleiner Saal, 23. September 2018
1. Philharmonisches Kammerkonzert
Ernst von Dohnányi(1877-1960), Serenade C-Dur für Streichtrio op. 10
Philharmoniker im Gespräch mit Janina Zell
Arnold Schönberg(1874-19151), Streichtrio op. 45
Wolfgang Amadeus Mozart(1756-1791), Divertimento für Streichtrio Es-Dur KV 563
Hibiki Oshima: Violine
Naomi Seiler: Viola
Thomas Tyllack: Violoncello
ein Gastbeitrag von Teresa Grodzinska
Das erste Kammerkonzert dieser Saison im Kleinen Saal der Elbphilharmonie fand an einem nebligen Sonntag statt. Der in warmen Erdtönen gehaltene Kleine Saal war – wie immer – voll. Vor mir saß eine Bilderbuchfamilie mit zwei Kindern im Alter von geschätzt 8 und 12 Jahren. Ich ändere hier meine Meinung: Kinder im Grundschulalter gehören nur in Kinderkonzerte! Erst mit 14 Jahren, wenn das Schulleben die Motorik der Kleinen abgerichtet hat, dürfen sie zu den “erwachsenen” Konzerten. Es ist den kleinen Menschen nicht zuzumuten, 45 Minuten Schönberg zuzuhören. Das Mädchen nahm nach diversen Verrenkungen den Schlafplatz auf Papas Schoß. Der Junge legte – erst nach energischer Aufforderung der Mutter – seinen Kopf auf ihre Schulter und schlief ein. Ich betone: Es ging alles absolut geräuschlos und gesittet zu, aber auch die schönste Familien-Pantomime im Publikum dekonzentriert.
Die Frage ist, ob Arnold Schönberg Erwachsenen zumutbar ist. Meiner Meinung nach nur nach vorheriger Einführung. Die fand vor dem Schönberger Streichtrio op. 45 statt. Den Kleinen hat es nicht geholfen, mir allerdings sehr.
Arnold Schönberg testet in diesem Stück die Grenzen des Machbaren. Im Gespräch demonstrierten die Virtuosen (alle drei Stimmführer des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg) wie ungewöhnlich ihre Instrumente bei der Aufführung von Schönbergs Werken klingen. Man muss auch die Noten ausschneiden und zusammenkleben, weil es nicht möglich ist, während des Spiels umzublättern. Die Tempi und Phrasenführungen sind zu anspruchsvoll, zu dicht.
Der Dohnányi zuvor wagt sich zwar schon in Richtung atonale Musik, flüchtet aber brav am Ende jeden Satzes in die Harmonie. Sehr komfortabel für ungeübte Ohren wie die der meisten Zuhörer. Ein bisschen hamburgische Familiengeschichte gefällig? Ernst von Dohnányi ist der Großvater von Klaus (unser Hamburger Altbürgermeister, SPD) und Christoph von Dohnányi (Dirigent) sowie der Urgroßvater von Johannes (Journalist) und Justus (Schauspieler und Filmemacher). Wunderbar war das “Gespräch” zwischen drei Streichinstrumenten, ein musikalisches Familientreffen sozusagen.
Der Schönberg, herausfordernd für uns alle und zwar auf beiden Seiten des Saales, dann Pause. Der Kleine Saal ist an kälteren Tagen, wie dieser Sonntag einer war, – ich spreche wie immer nur für mich – überhitzt und nicht gelüftet oder beides. Erst zwei Etagen tiefer, auf der 15. Ebene, gab es frische Luft. Wie wird es wohl im Winter sein? Wir werden darüber berichten. Hätte mich nicht eine nette Dame nach unten dirigiert („Gehen Sie schnell, Herzchen, dann schaffen Sie es noch rechtzeitig zurück!“), hätte ich wahrscheinlich nicht konzentriert berichten können.
Zwei andere Frischluft-Fanatikerinnen hatten sich auf auf den Weg gemacht, aber sie nahmen ernst, was ihnen der Kartenkontrolleur sagte: „Hier unten hören Sie nicht, wann es oben wieder los geht” und machten kehrt. Ich habe meine Portion Sauerstoff bekommen und war trotzdem rechtzeitig zurück. Es sind Kleinigkeiten über die ich hier berichte, die aber über die Konzentration und Stimmung während eines Konzerts entscheiden. Nicht minder wichtig: eine ausreichende Anzahl an Toiletten, Waschbecken, gut ausgeschilderte Wege dahin. Hier ist die Elbphilharmonie recht vorbildlich. Bei der Luftzufuhr im Foyer des Kleinen Saals dagegen ist indes noch viel Luft nach oben.
Nach der Pause zwinkerte man sich zu: Schönberg überstanden, jetzt kann uns nichts passieren: Mozart. Wie so oft war die Vorfreude die schönste Freude. Eine ganze Weile konnten sich die Geige mit der Viola nicht auf das Tempo und gemeinsame Ansätze einigen. Das Cello – sowieso eher als Akkompagnement tätig – war somit kaum zu hören. Die japanische Geigerin – Stimmführerin der 2. Violinen des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg möchte vielleicht zur Stimmführerin der 1. Violine befördert werden. Dieser löbliche Ehrgeiz überträgt sich leider stellenweise auf ihr Spiel. Sie übertönte die Bratsche völlig. Dabei ist die Bratsche – wussten Sie das, liebe Leser? – das Instrument, das Mozart privat am liebsten spielte. Das ganze Streichtrio hat er sozusagen zum eigenen Vergnügen komponiert. Herrlich verschieden, mit sehr vielen Soli für alle drei Virtuosen. Divertimento eben.
Meine Nachbarin zur linken, Schülerin von Thomas Tyllack, verriet mir, dass sie auch komponiert. Da die Dame erst 23 Jahre alt ist, also im Alter Mozarts, als dieser das Streichtrio schrieb, wünschen wir ihr viel Geduld mit sich und der Zeit in der sie kreativ ist und wird. Irmelin Podszus hat mir nämlich sehr knapp, aber präzise erklärt, warum Schönbergs Musik so schwierig für uns zu verstehen ist. Die Zeit, in der Arnold Schönberg zur Welt kam, zwischen beiden Weltkriegen, seine Emigration in die Neue Welt bedingten seine Experimentierfreude, seinen Mut zur Grenzverschiebung und seine schier unglaubliche Vielfalt des Ausdrucks. Danke Irmelin. Mögen die Zeiten interessant sein, in denen Du lebst! Ich hoffe inständig, dass es für Dich nur anregend, fruchtbar und erfolgreich wird, das 21. Jahrhundert.
Teresa Grodzinska, 24. September 2018, für
klassik-begeistert.de
Und ich dachte bis jetzt, Konzertkritiken können nur langweilig sein, was sollte schon passieren? Aneinandergereihte Noten, Nasenbohren, Dösen. Na bravo, es geht auch anders!
Peter Skorepa
Danke, lieber Peter Skorepa 🙂 Viele Menschen – vor allem jung –, auch Musiker, versuchen diesen bürgerlichen Noten-, Nasen-, Dösen-Kanon zu durchbrechen. Denken Sie an Nigel Kennedy und so… Mozart hatte Schalk im Nacken… Nochmals vielen Dank.
Ein herzlicher Gruß aus Hamburg
Teresa Grodzinska