Rudolf Buchbinder zeigt Ermüdungserscheinungen im Wiener Musikverein

Beethoven, Schubert, Rudolf Buchbinder,  Musikverein Wien, 10. Juni 2018

Foto: Marco Borggreve (c)
Musikverein 
Wien, Großer Saal, 10. Juni 2018
Rudolf Buchbinder, Klavier
Ludwig van Beethoven: Sonate für Klavier C-Dur, op. 2/3
Sonate für Klavier c-Moll, op. 13, Pathétique
Franz Schubert: Sonate für Klavier B-Dur, D 960

von Thomas Genser

Rudolf Buchbinder ersetzt spontan den erkrankten Maurizio Pollini im Wiener Musikverein. Statt Chopin und Schumann gibt es an diesem Klavierabend zum Trost Beethoven und Schubert – eigentlich ein fairer Tausch! Neben Beethovens früher C-Dur-Sonate op. 2/3 und der Pathétique steht außerdem Schuberts letzte Klaviersonate B-Dur auf dem Programm. Obwohl das Spiel des Ersatzmanns makellos ist, scheint diesem ein wenig die Luft auszugehen.

Die eröffnende C-Dur-Sonate von Beethoven (1795) siedelt Buchbinder tempomäßig im Mittelfeld an. Mit verspielten Läufen und Trillern beginnt das Haydn gewidmete Werk, bald erklingt ein kontrastierendes Motiv, welches der Pianist sehr sachte vorträgt. Der Klang des Steinway-Flügels ist weich, in den hinteren Reihen des Konzertsaales merkt man aber, dass dem Ganzen ein wenig die Konturen fehlen. In den kantablen piano-Passagen droht das Geschehen daher leicht abzusacken. Die Durchführung nimmt der Pianist hingegen sehr energisch in Angriff. Auffällig sind dabei vor allem die Ketten von verminderten Dreiklängen, die er in die Höhe rasseln lässt.

Nachfolgend startet das E-Dur-Adagio mit einem religiös anmutenden Choralthema. Durch die leichte Unruhe im Saal lässt sich Buchbinder nicht aus der Bahn werfen. Bald schleicht sich nächtlich-düstere Stimmung in den Satz ein, bei den fortissimo-Wendungen in moll lässt der Pianist die Bässe förmlich von der Bühne herabbrüllen. Im folgenden Scherzo spaltet sich Buchbinder in zwei Persönlichkeiten, einem Dialog zweier Personen gleicht das imitatorische Spiel von linker und rechter Hand. Die zahlreichen Registerwechsel tragen ihren Teil dazu bei.

Zu Beginn des Finales zeigt sich Buchbinder dann in Höchstform: Das Hauptthema sprüht vor Witz und plätschert dem Pianisten beinahe aus den Fingern. Beethovens Spiel mit Tempo- und Lautstärkeschwankungen betont er ein wenig über, doch ist der Effekt sehr wirkungsvoll. Auf ein kurzes piano donnert die Musik wieder mit ganzer Wucht herein, der Trick wiederholt sich mehrere Male, bis schließlich ein ungetrübtes Ende triumphieren darf.

Im Folgenden muss Buchbinder gleich einen wahren Evergreen nachschießen: die Pathétique. Das anfängliche Grave in Beethovens wohl bekanntester Klaviersonate stellt er mit bleierner Schwere in den Raum, nur um danach in hohem Tempo regelrecht loszusprinten. Starke Bearbeitung erfährt der Konzertflügel, speziell in den Crescendi lässt der Beethoven-Spezialist den Klang aufbrechen. Mit gewohnter Virtuosität wirbelt das Geschehen voran, wie immer stark publikumswirksam. Ebenfalls relativ flott und transparent erklingt der zweite Satz, Buchbinder gibt dem ansonsten ruhig gehaltenen Adagio cantabile etwas fast Tänzerisches. Auf ein pulsierendes Aufbäumen im Mittelteil folgt eine gebieterische Rückführung in das liebliche Thema.

Obwohl das Finale der Struktur nach einer tänzerischen Rondoform folgt, ist das musikalische Geschehen von Dramatik und Pathos gezeichnet. Buchbinder verweilt großteils in vorgebeugter Haltung – nur bei einem Dominantklang, dessen Spannung er voll auskostet, entfernt er sich eine Spur vom Klavier. In der Tiefe klingt das Instrument eher herb, in den Höhen perlig. Der Vortrag ist einwandfrei, doch wirkt der Pianist ein wenig Beethoven-müde. Kein Wunder, dass sich irgendwann Routine einschleicht: Der Österreicher hat Beethovens komplette Klaviersonaten als Zyklus schon ‚zig Male aufgeführt!

Vielleicht kann Schubert da ein wenig aufmuntern: Nach der Pause kommt dessen allerletzte Sonate (B-Dur) zur Aufführung. Die Sitzreihen im Parkett sind merklich ausgedünnt, vermutlich aus Enttäuschung über den erkrankten Pollini. Nichtsdestotrotz strotzt Schuberts Werk vor Romantik und Kantabilität, Buchbinder bringt die enorme Palette an Farben sehr plastisch zum Ausdruck. Man merkt, wie viel mehr Freude er hier hat. Selbst die scheppernden Sekunddissonanzen sind schön zu hören.

Einem Trauermarsch gleicht der zweite Satz zu Beginn, bald begibt sich das Geschehen aber in andere Gefilde. Generell zeigt Buchbinder einige unerwartete Wendungen von Charakter und Tonart. Einen Kontrast hierzu bietet das Scherzo, das grazil voranfließt und eine hochgradig glatte Interpretation erfährt, was aber nicht weiter stört. Ähnlich beginnt auch das Finale. Nach einer kantablen Einleitung werden die Bögen aber größer, der konstante Fluss der Musik intensiviert. Buchbinder gibt alles und erhält großen Applaus. Zu den obligaten Zugaben muss er sich scheinbar aber sehr überwinden. Schade.

Thomas Genser, 11. Juni 2018,
für klassik-begeistert.de

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