Mit der 6. Symphonie von Mahler löst Kirill Petrenko eine alte Schuld ein

Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko,  Philharmonie Berlin, 24. Januar 2020

Auch mit diesem Abend vollzieht Petrenko einen weiteren Schritt auf seine Vorgänger zu. Es sind große Stiefel, die ihn da erwarten, aber er füllt sie von Mal zu Mal besser aus. Seine Musiker und das Publikum hat er längst gewonnen.

Philharmonie Berlin, 24. Januar 2020
Gustav Mahler
Symphonie Nr.6
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko 
Dirigent

Foto: © Wilfried Hösl

von Peter Sommeregger

Man erinnert sich: Ende 2014 sollte Kirill Petrenko Mahlers 6. Symphonie bei den Berliner Philharmonikern als Gast dirigieren. Petrenko, seit seiner erfolgreichen Tätigkeit an der Komischen Oper in Berlin hoch geschätzt, sagte dieses Konzert aber kurzfristig ab. Die Enttäuschung war groß, und ein voreiliger Journalist schrieb, mit dieser Absage habe sich Petrenko selbst aus dem Rennen um den Posten des neuen Chefdirigenten genommen, dessen Wahl 2015 anstand. Erfreulicherweise ist es anders gekommen, entsprechend groß waren die Erwartungen für dieses „nachgeholte“ Konzert.

Dieses wahrhaft gewaltige symphonische Großkaliber hat für die Berliner Philharmoniker einen besonders hohen Stellenwert. Herbert von Karajan, Claudio Abbado und Sir Simon Rattle haben es mit dem Orchester auch für die Schallplatte aufgenommen. Damit steht Petrenko direkt in einer Traditionskette seiner Vorgänger, was die Messlatte doch sehr hoch ansetzt.

Beherzt stürzt er sich in den drängenden Marschrhythmus des Allegro, stampfend, vorwärtsdrängend wird schon in diesem Satz klar, warum die Symphonie den inoffiziellen Beinamen „Tragische“ verliehen bekam. Der für Mahler typische Widerstreit zwischen düsteren und dann wieder freundlicheren Passagen ist wie ein Spiegelbild des gebrochenen Charakters des Komponisten. Schon in diesem ersten Satz erklingen wie von ferne Glöckchen, die eine Herde im Gebirge symbolisieren sollen- ein von Mahler in mehreren Werken eingesetztes Motiv, das für den Klang der Natur steht. Petrenko treibt das Tempo des Allegro sehr forsch voran und gibt damit zu erkennen, dass seine Interpretation eine insgesamt etwas straffere ist, als man es bei diesem Werk gewohnt ist.

Vielfach wurde die Reihenfolge der Binnensätze dieser Symphonie zu einer Glaubensfrage erhoben. In der Generation von Dirigenten, der auch Petrenko angehört, wird inzwischen die Reihenfolge Andante vor dem Scherzo bevorzugt. Das Andante setzt die Spannung zwischen  der melancholischen Grundstimmung und der ständigen Unruhe fort, die wie eine Verlängerung des ersten Satzes wirkt. Dies war vielleicht auch der Grund für die frühere Reihung der Sätze, ist das Scherzo doch ein starker Kontrast zu den vorangehenden Sätzen. Es verbinden sich traditionelle Tanztypen wie Menuett und Ländler, die sich stark verfremdet immer mehr verfinstern.

Der in a-Moll komponierte Finalsatz ist einer der längsten Symphoniesätze Mahlers, voll von gestaltreichen musikalischen Einfällen setzt er in noch gesteigerter Form die Düsternis und Beklemmung des Kopfsatzes fort. Wieder tauchen Elemente von Marschmusik auf, melodiöse Einschübe werden immer deutlicher zurückgedrängt. Schließlich kommt es zu zwei Fortissimo-Schlägen von Pauken, großer Trommel und einem großen Holzhammer-Mahler wollte hier explizit keinen metallischen Klang-, der schneidend niederfährt und den musikalischen Fluss jeweils unterbricht. In früherer Aufführungspraxis wurde der Hammerschlag sogar dreimal ausgeführt. Am Ende steht ein förmlich herausgeschleuderter a-Moll Schlußakkord.

Was an Petrenkos Interpretation besticht, ist die klare Struktur die er dem Werk gibt. Auch für den Zuhörer ist das etwa 80 Minuten dauernde Werk eine Herausforderung, die relativ zügigen Tempi erleichtern es, den musikalischen Faden nicht zu verlieren, wobei im Finalsatz vielleicht ein etwas breiteres Tempo passender gewesen wäre, aber das schmälert den Gesamteindruck nicht wesentlich.

Auch mit diesem Abend vollzieht Petrenko einen weiteren Schritt auf seine Vorgänger zu. Es sind große Stiefel, die ihn da erwarten, aber er füllt sie von Mal zu Mal besser aus. Seine Musiker und das Publikum hat er längst gewonnen.

Peter Sommeregger, 26. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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