© Russ London in der Wikipedia auf Englisch, Royal Opera House and ballerina
Die Londoner Royal Opera (ROH) hat mit ihrer Neuinszenierung des „Trovatore“ das inzwischen 170-jährige Meisterwerk Giuseppe Verdis konsequent entrümpelt. Die junge walisische Regisseurin Adele Thomas wollte mit ihrer ersten Inszenierung auf der großen Bühne in Covent Garden an den mittelalterlichen Kontext der im späten 15. Jahrhundert angesetzten Handlung der Oper erinnern.
Royal Opera House Covent Garden, London, 5. Juni 2023
Giuseppe Verdi, Il Trovatore
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)
Dirigent: Antonio Pappano
Regie: Adele Thomas
Bühne: Annemarie Woods
Licht: Franck Evin
Leonora: Marina Rebeka
Manrico: Riccardo Massi
Graf Luna: Ludovic Tézier
Azucena: Jamie Barton
Ferrando: Roberto Tagliavini
Zusammenarbeit mit dem Opernhaus Zürich
Orchestra of the Royal Opera House
Royal Opera Chorus (Leitung: William Spaulding)
War man bisher in fast sämtlichen Inszenierungen gewohnt, sich an einer bunten aber ärmlich-zerrissenen Schar unterdrückter Zigeuner zu den berühmten metallisch-rhythmischen Schlägen des Amboss zu ergötzen und den Aufmarsch von Manricos wohlgerüstete Soldaten gegen den bösen Bruder Graf Luna zu bewundern, war hier alles anders: Statt imposanter Burg, farbenfrohes Zigeunerlager und Gefängnis (in dem die vermeintliche Mamma Azucena und ihre vermeintlicher Sohn Troubadour gemeinsam den Tod erwarten) gab es jetzt auf der Bühne des ROH nur eine raumfüllende, kahle (aber effektvoll und sehr ästhetisch beleuchtete) Freitreppe, auf der sich alles abspielte – mit sparsam angehobenem zentralem Segment und Figuren, die gespenstisch am Horizont und aus Klappen an der Bühnen-Rampe auftauchten.
Und vor allem: gehörnte Dämonen und Gerippe mit Vogelköpfen. Schauerliche, furchterregende Gestalten, passend zur schrecklichen Handlung, in der ja bekanntlich die von Rachegelüsten getriebene Azucena den eigenen statt den Sohn des Grafen ins Feuer wirft und Leonora sich vergiftet um ihren geliebten Troubadour Manrico (der das ja gar nicht will…) freizubekommen – bis dann Leonora plangemäss stirbt, der Lover hingerichtet wird und nur die alte Zigeunerin vorläufig überlebt (bis sie, wie zu vermuten ist, wie ihre Mutter auf dem Scheiterhaufen verglüht).
Das ganze gespenstische Personal erinnert nicht zufällig (und perfekt gestaltet!) an die von schauerlichen und grotesken Phantasien überquellende Bilderwelt eines Hieronymus Bosch und anderer seiner Zeitgenossen, welche ihrer Imagination in malerischen Albträumen freien Lauf ließen. Und natürlich sackt die dramatische Handlung zur großartigen Musik des italienischen Altmeisters Verdi wie im Fach Oper durchaus nicht unüblich bisweilen ins Groteske, ja Lächerliche ab – von der Regisseurin Adele Thomas meisterhaft persifliert:
Wenn sich gleich am Anfang die vor Verliebtheit förmlich überquellende Leonora im schummrigen dem vermeintlichen Geliebten Manrico um den Hals wirft und erst (zu spät), durch den wütenden Manrico auf den vermeintlichen Verrat aufmerksam gemacht, erkennt, dass es nicht dieser, sondern der Rivale (und Bruder) Graf Luna ist, den sie da abpusselt. Und, ein Klassiker, wenn die von den Häschern Lunas gefangen genommene Azucena zu einer extrem munteren Musik feststellt, dass diese Folter schlimmer sei als der Tod. Diesen dem Komponisten anzulastende Widerspruch allerdings muss der Zuschauer selber merken. Doch die Regisseurin hat das Groteske dieser forciert dramatischen Handlung überdeutlich visualisiert, in dem sie dem Nonnenchor große goldene Heiligenscheine aufsetzte und die keuschen rundlichen Damen im kollektiven Stoßgebet mit frommem Grimassieren die Arme gen Himmel verrenken ließ.
Bei aller Freude an einer kreativen-klischeevernichtenden und doch überaus stimmigen und in ihrem Minimalismus sehr ästhetischen Inszenierung blieb die musikalische Tradition – makellos aus dem Orchestergraben und von der Bühne herab einem jubelnden Publikum dargeboten. Das ROH-Orchester, perfekt wie immer, unter dem gefeierten Hausdirigenten Antonio Pappano – erklärter Liebling sämtlicher ROH-Habitués – bot seinen Verdi temperamentvoll, einfühlsam und präzis dar.
Die Harmonie mit Sängerinnen und Sängern war ausgefeilt, nie wurden diese vom leistungsstarken Orchester übertönt. Die Leonora der lettischen Sopranistin Marina Rebeka wirkte in ihrer so anspruchsvollen Rolle anfangs etwas bemüht, mit leichten aber irritierenden Vibrati – doch mehr und mehr lief sie, vor allem in den meisterhaft intonierten Koloraturen, zu Hochform auf (und wurde vom Londoner Publikum entsprechend gefeiert). Ihr Auftreten mit ihren langen roten Haaren war nicht weniger als spektakulär und man konnte sehr gut verstehen, dass sich gleich zwei stimmstarke Männer um sie rissen.
Der italienische Tenor Riccardo Massi begeisterte mit tenoralem Schmelz und wandelbarer, feiner Stimme sowohl als liebender Sohn der Zigeunerin, kämpferischer Widersacher seines gräflichen Bruders und natürlich vor allem – ein einzigartig effektvoller Einfall des guten Verdi – als Troubadour hinter der Bühne mit wunderschön epischem Gesang. Als scharfer Kontrast, doch nicht minder großartig gleich zu Anfang der Oper Lunas Befehlshaber Ferrando, den Soldaten die schreckliche Geschichte vom verschwundenen Kind und der Hexe bzw. Zigeunerin erzählt: Der italienische Bass Roberto Tagliavini präsentiert diese für die Handlung als Weichenstellung entscheidende Geschichte (oder Legende?) mit sonorer, maskuliner Stimme und setzt damit gleich zu Anfang den Ton für eine musikalisch hervorragende, szenisch sehr spannende Inszenierung. Jamie Barton verkörperte die Zigeunerin Azucena mit eindrucksvoll starker, doch nie outrierender Stimme, der französische Bariton Ludovic Tézier den eifersüchtigen Grafen Luna als dominanten Macho mit kontrolliert tiefer, präzis gesteuerter und stets warmer Stimme.
Dr. Charles E. Ritterband, 5. Juni 2023, für
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