Es kommt nur gelegentlich vor, dass man mit den Ohren an der
Tonimmission eines Sängers hängt wie ein Süchtiger an der Zigarette, dieses war heute bei Artur Rucińskis Di Provenza il mar der Fall.
Hamburgische Staatsoper, 4. März 2022
Giuseppe Verdi La Traviata
Foto: Katja Pieweck (Annina), David Minseok Kang (Il Dottor Grenvil), Artur Ruciński (Giorgio Germont), Aida Garifullina (Violetta Valéry), Pavol Breslik (Alfredo Germont), Ida Aldrian (Flora), Peter Galliard (Gastone) (RW)
von Dr. Ralf Wegner
Man wartet in der Oper immer auf die Tenöre. Bei rechtem Lichte gesehen trifft das zwar auf Puccini, nicht aber auf Verdi zu. Eindeutig schönere Partien schrieb der Komponist für Bariton. So auch in La Traviata, zumal wenn so herausragend gesungen wird wie von Artur Ruciński als Giorgio Germont. Schon das Duett mit Violetta (Piangi, piangi) geriet zu einer Sternstunde des an musikalischen Höhepunkten reichen zweiten Aktes.
Germonts große Arie Di Provenza il mar habe ich selten so perfekt und schön gehört. Rucińskis Bariton ist nicht so mächtig wie jener anderer Kollegen. Wie Ruciński aber mit virilem Stimmkern, glanzvoller Höhe, wunderbarem Legato und beeindruckendem Schwellton zur Seele der Verdi’schen Komposition vordrang, war zum Niederknien bewundernswert. Und das Philharmonische Staatsorchester deckte ihn nie zu, ließ Rucińskis Pianokunst Raum bis weit in den Saal hinein.
Es kommt nur gelegentlich vor, dass man mit den Ohren an der Tonimmission eines Sängers hängt wie ein Süchtiger an der Zigarette, dieses war heute bei Rucińskis Di Provenza il mar der Fall.
Ebenso herausragend sang und spielte der debütierende Star des Abends, Aida Garifullina, die Partie der sterbenskranken Violetta. Bei den Höhenflügen des Sempre libera im ersten Akt verschlankte sich manchmal kurzzeitig die Stimme, was die Sängerin aber durchaus interpretatorisch einzusetzen wusste. In der Mittellage flutete Garifullinas Stimme mit honigfarbenem Timbre selbst noch aus der Tiefe der Hinterbühne den Zuschauerraum, so beim Duett mit Giorgio Germont im zweiten Akt. Schönste Piani und leuchtende Höhen gelangen ihr mit der Sterbeszene im vierten Akt. Insgesamt reiht sich Aida Garifullina damit in die Reihe der großen Violetta-Interpretinnen ein, die ich an der Hamburgischen Staatsoper gehört habe, zuletzt im Dezember letzten Jahres mit der großartigen Pretty Yende.
Der Tenor Pavol Breslik war als Alfredo Germont mit angenehm klingender, aber nicht sehr weit in den Raum tragender Stimme besetzt. Abgesehen davon, dass er anfangs das italienische Feuer in Darstellung und Stimme vermissen ließ, entwickelte er sich zum Drama im zweiten Bild des zweiten und zum Ende im dritten Akt hin als guter Begleiter Violettas.
Die Nebenpartien waren mit Katja Piewecks (Annina) schönem Mezzo und der ihr immer noch eigenen Bühnenpräsenz ebenso gut besetzt wie der Doktor Grenvil mit dem tieftonstarken Bass David Minseok Kang. Was war aber mit Ida Aldrian als Flora los? Ihre Stimme klang matt und drang kaum in den Raum hinein. Wie fast immer trug Peter Galliard (Gastone) mit seiner darstellerischen Präsenz zum Unterhaltungswert auf der Bühne bei.
Großes Lob gilt dem Philharmonischen Staatsorchester unter der Leitung von Stefano Ranzani. Man scheint ausreichend geprobt zu haben. Das machte sich schon beim seelenvoll gespielten Vorspiel zum ersten Akt bemerkbar. Nie wurde es zu laut, wie noch bei der Aufführung im Dezember letzten Jahres unter Alexander Joel; statt Humtata wie auf dem Jahrmarkt zu emittieren wurde die Verdi’sche Melodik in schönsten Farben ausgemalt. Das Publikum schloss Stefano Ranzani deshalb ebenso in den nicht enden wollenden Schlussjubel ein wie die beiden männlichen Protagonisten und Aida Garifullina.
Dr. Ralf Wegner, 4. März 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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