Knisternde Spannung mit Hochzeitsglocken als Totenglocken — Verdis Belcanto-Oper als skurrile Maskerade

Giuseppe Verdi, Les vêpres siciliennes, Bayerische Staatsoper, München, 20. November 2018

Foto:  ©  Wilfried Hösl
Bayerische Staatsoper, München, 20. November 2018
Giuseppe Verdi, Les vêpres siciliennes

von Anna-Maria Haberberger

Alle Lichter sind aus an diesem Abend in der Bayerischen Staatsoper. Eine
rabenschwarze Bühne bringt eine düster-kalte Atmosphäre in den Raum und lässt die Zuschauer erschaudern. Schwarze Plastikplanen flattern stetig durch das Bühnenbild. Es wird immer schwärzer, kälter und todessüchtiger.

Die Inszenierung von Antù Romero Nunes lässt lediglich eine minimalistische Optik zu — so drosselt der kohlschwarze Hintergrund alle Wahrnehmungen und Empfindungen derer, die doch noch auf ein Happy End warten. Verdi wäre nicht Verdi, wenn die Dramatik der Musik und der Geschichte am Schluss der Oper keinen Höhepunkt setzte.

Die utopische Blase einer möglichen Heirat zwischen den beiden Liebenden Henri alias Bryan Hymel und Hélène alias Rachel Willis-Sørensen platzt kurz vor Schluss der Oper, als die Hochzeitsglocken zu Totenglocken werden und nun auch der letzten Funken Hoffnung erlischt.

Innerhalb der letzten Minute ereignet sich ein Gemetzel, das in einem gewaltigen Blutbad endt — blass, seelenleer und voller Schrecken blicken die Zuschauer in das blutbefleckte Schlachtfeld.

Die unmögliche Liaison zwischen dem jungen Sizilianer, der sich als leiblicher Sohn des Gegners Guy de Montfort herausstellt, und Hélène, die den Mord an ihrem Bruder rächen will, löst ein ständiges Gefühlschaos aus, das nicht mehr zu lösen ist.

Bryan Hymel beginnt zu kraftvoll und zu laut. Mit der Zeit scheint er aber an das leidenschaftliche Timbre der auf höchstem technischen Niveau singenden Rachel Willis-Sørensen anzuknüpfen. Beide Stimmen vereinen sich sanft.

Zum vierten Akt wird klar, warum Bryan Hymel nicht in Hochform ist. Er sei stimmlich indisponiert und werde durch Dario Schmunck ersetzt, lautet die Ansage.

Hymel spielt auf der Bühne weiterhin die Rolle des Henri und bewegt zum Gesang von Dario Schmunck die Lippen. Ungewöhnlich, aber es funktioniert.

Zwar kein Weltklasse-Tenor, aber dennoch wunderbar stimmlich fügend!
Neben Montfort (Dimitri Platanias), der solide begeistert, sind die Sänger der Titelpartien Hélène und Procida die Stars des Abends.

Rachel Willis-Sørensen brilliert als dramatische Koloratur-Sopranisin und überzeugt sowohl stimmlich als auch schauspielerisch meisterhaft. Auch der standhafte Procida, gesungen von Erwin Schrott, lässt keine Wünsche offen, er glänzt in Höhen wie Tiefen mit seiner kräftigen und zugleich warmen Stimme — solche Sänger braucht diese Welt!

Untermauert vom kraftvollen und ganz auf Spur musizierenden Orchester dirigiert Paolo Carignani berührend, dynamisch kraftvoll ausgearbeitet und nuancenreich. Zu Beginn der Ouvertüre noch in gedämpftem Klang, überzeugt das Orchester immer mehr und liefert am Ende der Operntragödie ein glanzvolles, musikalisches Erlebnis.

Ein spannungstragendes Bühnenspektakel liefert der Einschub aus einer Mischung von Techno, orchestralem Klang und klassisch-modernem Ballett. Vorerst nicht ganz zuzuordnen, dann aber wunderbar eingefügt durch fließende Übergänge und im 21. Jahrhundert angekommen, begeistert die skurrile Show das Münchner Opernpublikum.

Obwohl so gut wie keine Personenregie vorhanden war, das Bühnenbild eher einer Begräbnisstätte ähnelte und die Figuren mit zombiehaften Malereien maskiert waren, überzeugte der Abend musikalisch gänzlich. Ganz nach der Devise, Krieg lasse niemanden kalt und mache vor nichts und niemandem Halt, endet ein vor allem optisch spannender und musikalisch prächtiger Abend in der bayerischen Staatsoper.

Anna-Maria Haberberger, 21. November 2018
für klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung, Paolo Carignani
Inszenierung, Antú Romero Nunes
Bühne, Matthias Koch
Kostüme, Victoria Behr
Sound, Interference Nick & Clemens Prokop
Choreographie, Dustin Klein
Licht, Michael Bauer
Dramaturgie, Rainer Karlitschek
Chöre, Stellario Fagone

Hélène, Rachel Willis-Sørensen
Ninetta, Helena Zubanovich
Henri, Bryan Hymel
Guy de Montfort, Dimitri Platanias
Procida, Erwin Schrott
Danieli, Matthew Grills
Mainfroid, Caspar Singh
Robert, Callum Thorpe
Thibaut, Long Long
Le Sire de Béthune, Alexander Milev
Le Comte de Vaudemont, Boris Prýgl

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Opernballett der Bayerische Staatsoper

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert