Offen und unkompliziert kommt er daher, der Tenor Collin André Schöning, 28, der schon als Schüler Gesangsunterricht bekam. Der gebürtige Lübecker begann 2015 sein Gesangsstudium an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin und nahm jetzt am 49. Bundeswettbewerb Gesang für Oper/Operette/Konzert 2020 teil. Er besuchte Meisterkurse bei Anna Korondi, Thomas Quasthoff, Peter Sefcik, Karola Theill, Konrad Richter und Wolfram Rieger. Seit der Spielzeit 2020/21 ist er Teil des Opernstudios der Staatsoper Hamburg. Im Interview erlaubt er sehr persönliche und frische Einblicke in seinen Werdegang und seine Ausbildung. Darüber hinaus macht er sich Gedanken über merkwürdige Auswüchse der Corona-Krise, vor denen auch manche Kulturschaffende nicht gefeit sind.
von Dr. Andreas Ströbl, Lübeck
Foto: Collin André Schöning © Álfheiður Erla Guðmundsdóttir
AS: Herr Schöning, in Ihrem Namen verbinden sich die englische, die französische und die deutsche Sprache. Entstammen Sie einem multikulturellen Elternhaus?
CAS: Nein, ganz und gar nicht. Meine Eltern stammen beide aus der Gegend um Neustadt in Holstein. Mein erster Vorname ist eine Hommage an Schottland, da meine Eltern das Land sehr fasziniert. Mein zweiter Vorname stammt hingegen aus dem Schlüsselnamen meines Vaters, der in seinem Namen die Namen seiner Großväter trägt.
AS: Um mal mit Klischees zu spielen: Sie wirken nicht wie ein typischer Opern- und Liedertenor. Eigentlich könnten Sie auch als Sänger einer Rockband durchgehen.
CAS: Sie glauben gar nicht, wie oft ich das schon gehört habe. Erst recht, wenn ich in Schwarz gekleidet mit Band-Shirts in Erscheinung trat. Doch ich muss sagen, dass ich es sehr spannend finde, wenn man eine Person nicht direkt in eine Schublade stecken kann. Nicht selten bin ich schon als Pädagoge oder Handwerker eingeordnet worden. Wenn ich daraufhin offenbarte, dass ich Sänger bin, war natürlich die erste Annahme, dass ich im Bereich Rock oder Metal singen würde. Erst wenn ich dann ein Stück anstimmte oder eine Aufnahme aus dem Ärmel schüttelte, wurde der Aussage Glauben geschenkt.
Das darf man eigentlich keinem erzählen, aber es gab Zeiten, da haben sich meine Freunde einen Spaß daraus gemacht, fremde Personen auf Festivals mit dem Satz anzusprechen: „Ich wette mit dir um ein Bier, dass mein Freund besser singen kann als du.“ Es war jedes Mal ein riesiger Spaß, die Überraschung in den Gesichtern der Leute zu sehen. Im Großen und Ganzen genieße ich es doch schon sehr, dass ich nicht sofort einzuordnen bin und mit den Klischees spielen kann. Ob es für mich beruflich ein Vor- oder Nachteil wird, kann ich noch gar nicht genau sagen. Das wird sich wohl mit der Zeit zeigen.
AS: Was und wer hat Sie denn zu dem gemacht, was Sie heute sind? Gibt es Menschen, die Sie wesentlich geprägt haben und denen Sie besonders dankbar sind?
CAS: Das ist eine lange Geschichte und ebenso eine ebensolange Liste an Menschen, denen ich dankbar bin. Ich versuche mich kurzzuhalten. Fangen wir mal am Anfang an:
Es gab in meiner Kindheit wirklich keinen Tag, an dem wir nicht gesungen haben. Meine ersten Erinnerungen haben auch immer irgend etwas mit dem Gesang oder mit Musik allgemein zu tun. So war es üblich, dass meine Eltern mit mir, und später mit meinem Bruder, gesungen haben. Egal wie lang der Tag war, es gab auf jeden Fall ein Gute-Nacht-Lied.
Die erste Person, die mich dann gefördert hat, war meine Klassenlehrerin Frau K. Oberjaart in den ersten beiden Schuljahren. Sie unterrichtete Deutsch, Religion sowie Musik und erkannte schnell mein Talent für das Singen. Daraufhin unterstützte sie mich so gut sie konnte. So kam ich sehr schnell in den Chor der Schule und wenn wir Choräle sangen, durfte ich öfters mit ihr oder auch alleine eine Stimme singen. Als sie die Schule nach der 2. Klasse aus persönlichen Gründen verließ, bildete sie nach kurzer Zeit einen Chor aus unseren Klassen mit dem wir dann auch in einigen Gottesdiensten und Konzerten sangen.
Nachdem dieser Chor in meinem zehnten Lebensjahr aufgelöst wurde, boten mir meine Eltern an, den Chor an der Rendsburger Musikschule zu besuchen. Zu der Zeit leiteten der Kirchenkreiskantor Roland Möhle und Heike Trimpert die Chöre dort.
Roland Möhle prägte mein Leben von dieser Zeit an sehr. Als ich in der Zeit zwischen meinem 13. und 14. Lebensjahr wegen des Konfirmandenunterrichts nicht zum Chor gehen konnte, kam ich in den Stimmbruch und Roland Möhle half mir sehr fürsorglich, meine Stimme zu entwickeln. So holte er mich auch mit gerade 14 Jahren in den Rendsburger Bachchor und gab mir die Chance, als Teil des Solistenensembles in Leonard Bernsteins „Mass“ mitzuwirken.
Eine weitere Person, der ich viel zu verdanken habe, ist Professor Matthias Janz aus Flensburg. Ich durfte zum Ende meines 14. Lebensjahres für den Landesjugendchor Schleswig-Holstein vorsingen und wurde aufgenommen. Nach meiner Eingewöhnung holte er mich regelmäßig zu Konzerten des Flensburger Bach-Chores oder als Verstärkung für den Symphonischen Chor Hamburg. Wie oft hatte er mich von meinem Elternhaus abgeholt und auf der Fahrt nach Hamburg mit mir über Musik und das Verständnis von Musik gesprochen. Durch die Arbeit mit Matthias Janz wurde mir erst so richtig bewusst, welche Kraft, Leidenschaft und Inbrunst in der geistlichen Musik liegt.
Eine weitere Person auf meinen Weg war der Bariton Ansgar Hüning, der mein Gesangslehrer wurde. Er zeigte mir, dass die Musik, die ich schon als Kind gehört habe, von mir singbar war. Es handelte sich um den Tamino aus der wunderbaren „Zauberflöte“ von Mozart. Diese war eine der ersten Kassetten, die ich von meiner Großmutter mütterlicherseits geschenkt bekommen hatte und deren Musik mich mein Leben lang begleitet. Mit ihm als meinem Lehrer keimte langsam der Wunsch auf, mein Hobby zum Beruf zu machen und ein Studium anzustreben.
Eine Person, die mich in den letzten Jahren sehr stark prägte, ist Professorin Karola Theill. Sie ist seit Beginn meines Studiums meine Korrepetitorin an der HfM Hanns Eisler in Berlin und heute eine enge Vertraute. Kaum eine Lehrerin hat so viel Energie, Kraft und Zuversicht in meinen Weg investiert. So baue ich sehr auf ihre Meinung und kann mich immer auf ihren Rat und ihre Expertise verlassen.
Selbiges gilt auch für meinen Lehrer Stephan Rügamer, zu dem ich eigentlich nur durch einen Zufall kam. Auch wenn es – weiß Gott – bei Weitem mit mir nicht immer leicht war, so hat er mich stets unterstützt und vorangebracht. Diese Geduld und Beharrlichkeit, die diese beiden Personen im Laufe der letzten Jahre aufgebracht haben, kann man sich nicht vorstellen.
Als dann Matthias Samuil mit seiner Expertise für die Oper als eine weitere Lehrkraft dazu stieß, konnte es ja nur noch gut laufen.
Doch wo wäre ich ohne meine Familie, die mir dies erst ermöglichte und mir immer den Rücken freihielt. Meine drei engsten FreundInnen, die für mich stets ein offenes Ohr haben und es auch verstehen, wenn ich wieder einmal in meine Arbeit abtauche. Oder meiner Partnerin Marie, die mir als Pianistin zeigte, was Fleiß, ein innerlich immer brennendes Feuer und Beharrlichkeit in der Musik für einen Unterschied ausmachen können.
Angesichts all dieser Menschen und noch vielen weiteren, die mich immer wieder auf meinem Weg unterstützt haben, kann ich nur „danke“ sagen. Was für ein unfassbares Glück habe ich da nur…
AS: Wo wir bei Stephan Rügamer sind: Der hatte wiederum Unterricht bei James Wagner, in dessen ehemaliger Wohnung in der Schwedischen Kirche in Lübeck meine Frau und ich wohnen. Ist James Wagner jungen Sängern, zumal aus Schleswig-Holstein, noch ein Begriff?
CAS: James Wagner ist mir mittlerweile ein Begriff. Doch ich muss gestehen, dies geschah auch erst durch Stephan. Ich kannte vor dem Studium gerade einmal die Namen der SängerInnen, die ich durch die Plattensammlung meines Vaters kennenlernte.
Durch einige persönliche Anekdote von Stephan lernte ich mit der Zeit einige Facetten von Herrn Wagner kennen. Die Aufnahmen von ihm taten daraufhin das Übrige. Ich bedauere es sehr, nicht noch einmal mit ihm arbeiten zu können. Von seiner Leichtigkeit und Entspanntheit beim Singen würde ich mir gerne etwas abschauen.
AS: Nun ist der Bundesgesangswettbewerb herum. Sie sind weit gekommen, aber dann hat es doch nicht zu einem Preis gereicht. Können Sie sagen, weshalb?
CAS: Wenn ich das nur wüsste… Das, was ich selber zu bemängeln hätte, ist, dass ich durch die Aufregung und die fehlende Verständigungsprobe nicht ganz auf meiner Atemsäule ruhte und so im ersten Stück etwas kurzatmig war. Ich denke aber auch, dass meine lieben MitbewerberInnen vielleicht auch einfach einen besseren Tag als ich hatten. Doch ich weiß es nicht. Bis auf den Anruf von Frau Holl, in dem sie mir mitteilte, dass ich nicht mit einem Preis bedacht worden war, habe ich nichts Weiteres vom Wettbewerb gehört. Das telefonische Feedback, das mir angeboten wurde, steht leider immer noch aus. Jedoch haben die mir wichtigen Personen sich den Stream des Finales angeschaut und deren Feedback war durch die Bank weg positiv. So warte ich also noch gespannt auf das Feedback der Jury.
AS: Wie gehen Sie mit Durststrecken und Misserfolgen um?
CAS: Schlecht – so denke ich es jedenfalls über mich. Ich bin durch die Zeit ein sehr zielstrebiger, junger Mann geworden, der sich immer neue Ziele suchen muss. Klappt das eine nicht – tja -, dann muss ich halt daran noch viel härter arbeiten und mich auf ein neues, vielleicht sogar höheres Ziel stürzen. Durch diese Art der Ablenkung helfe ich mir über Misserfolge hinweg. Natürlich darf man dabei den Zuspruch meiner Familie, meinen Freunden und KollegInnen nicht vergessen. Dieser hat mir in so mancher Zeit sehr viel Trost geschenkt und mich wieder auf die Beine gestellt. Dafür ein „großes Danke“ an alle meine Lieben!
AS: Wie lief denn die Zusammenarbeit mit „Ihrem“ Pianisten?
CAS: Im Großen und Ganzen doch sehr gut. Ich war sehr positiv überrascht, als Herr Lisius in der ersten Finalrunde, ohne irgendeine Absprache, den Tamino in einem für mich persönlich perfekten Tempo anstimmte. In diesem Moment konnte ich mich einfach zurückfallen lassen und diese wunderbare Musik genießen. Das Einzige, was ich zu bemängeln hätte, wäre der Anfang des Mendelssohns im Finale. Jedoch haben wir uns dann sehr schnell gefunden und konnten die Stücke sehr schön präsentieren.
AS: Um das Thema Corona kommen wir nicht herum. Wie sehr gerade Künstlerinnen und Künstler unter den mit der Pandemie verbundenen Maßnahmen leiden, ist bekannt. Nun spricht man Kulturschaffenden eher Intelligenz und Bildung zu. Dennoch gibt es auch hier ausgesprochene Verschwörungstheoretiker – ich erspare uns jetzt mal die Nennung durchaus großer Namen. Nehmen Ihrer Einschätzung nach krude Theorien auch unter Sängerinnen und Sängern zu?
CAS: Das ist ein schwieriges und weitreichendes Thema, was sich natürlich durch die ganze Gesellschaft zieht. In meinem näheren Umfeld der SängerInnen ist mir es noch nicht aufgefallen, und so kann ich es weder bestätigen noch verneinen.
Jedoch ist es mir schon bei einigen anderen sehr gebildeten Menschen aufgefallen. Die Frage ist nur, woher diese Art der Wahrnehmung kommt und wie sich diese formt und manifestiert.
Ich habe leider am Anfang der Corona-Pandemie mitbekommen müssen, wie meine asiatischen KommilitonInnen sehr beäugt, wenn nicht sogar ausgegrenzt wurden. Es wurde anfangs, aber auch heute noch, nach Schuldigen gesucht. Vor allem aber nach einer Art Sicherheit, warum dies alles passiert.
Genau hier wird es meiner Meinung erst so richtig interessant. Wie Sie selber sagten, spricht man Kulturschaffenden Intelligenz und Bildung zu. Diese Bildung erarbeiten und erwerben wir uns durch aufgenommene Informationen, um unser Wissen zu festigen und zu erweitern. Fast alle mir bekannten Kulturschaffenden sind sehr wissbegierig und finden es ebenso sehr spannend, sich mit neuen Hintergründen und Zusammenhängen zu beschäftigen. Dies kann uns jedoch in der heutigen Zeit sehr zum Verhängnis werden. Durch die wunderbare Technologie, die uns heute zur Verfügung steht, können wir auf eine schier unendliche Menge an Wissen zurückgreifen. Jetzt haben wir aber immer mehr das Problem, dass diese Masse der Informationen nicht mehr „gefiltert“ oder besser auf ihre Richtigkeit überprüft werden kann. In einer Zeit, in der es selbst hochrangigen Personen in leitenden Positionen möglich ist, sogenannte „Fake-News“ zu verbreiten, liegt es immer mehr an uns selbst, diese Information zu verarbeiten und zu „filtern“. Es gibt ein sehr schönes Experiment von dem Kabarettisten Florian Schroeder, wo er genau dieses Phänomen aufgreift.
Ich bin der Auffassung, dass diese kruden Ideen aus einer Art Angst oder Ohnmacht entstehen. Wir suchen nach Informationen, belesen uns und hoffen dadurch, auf eine Antwort zu stoßen, auf der wir dann unsere Meinung und Überzeugung aufbauen können. Doch es gibt leider immer wieder Personen, die durch Halbwissen absichtlich oder unabsichtlich Fehlinformation streuen. Hinzu kommt, dass Covid-19 etwas Neues, etwas Anderes ist, was wir nicht kennen, und genau dieses Neue macht uns Menschen seit jeher Angst. Wer von uns kann denn aber sagen, dass er oder sie noch nie an eine Fehlinformation geglaubt hat? Ich glaube, wir müssen mit dieser Situation sehr besonnen umgehen und uns intensiv untereinander austauschen. Denn ohne diesen Konsens spaltet sich die Gesellschaft immer weiter und weiter.
AS: Sie sind jung und begabt; nach überstandener Krisenzeit stehen Ihnen wieder ganz andere Chancen offen. Was ist Ihr größter Traum, in welchem Haus würden Sie unbedingt gerne singen, welche Rolle wäre für Sie ein Lebenshöhepunkt?
CAS: Vielen Dank erst einmal für das Kompliment. Mein zur Zeit größter Traum ist, die Rolle des Taminos singen und spielen zu dürfen.
Wie ich es ja kurz zuvor schon einmal erzählt hatte, begleitet mich die „Zauberflöte“ schon fast mein Leben lang. Diese Rolle an einem so wunderbaren Haus wie der Staatsoper Hamburg singen zu dürfen, wäre wirklich ein Traum für mich. Ob es mein Lebenshöhepunkt wäre, das weiß ich gar nicht. Es gibt da noch so vieles, was ich singen oder wo ich mich noch ausprobieren möchte. Wer weiß, vielleicht greife ich nach dem Tamino gleich nach dem nächsten Stern und möchte dann den Belmonte, den Max, den David, wenn nicht sogar den Stolzing singen. Mal schauen, was die Zukunft mir so bringen wird.
AS: Was ist Ihre nächste große Herausforderung?
CAS: Meine größte Herausforderung ist jetzt erst einmal, im Berufsleben als professioneller Sänger anzukommen. Ich möchte das Opernstudio und die damit einhergehenden Möglichkeiten voll ausschöpfen, damit ich mich so gut wie möglich auf die professionelle Musikerwelt vorbereiten kann. Doch die nächste Etappe auf dem Weg ist für mich der Wettbewerb „Neue Stimmen“, an dem ich mich gerne kommendes Jahr versuchen möchte. Drücken Sie mir die Daumen.
AS: Das will ich sehr gerne tun! Lieber Herr Schöning, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!
Interview: Dr. Andreas Ströbl, 21. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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