Die Inszenierung von „Manon“ hat an der Staatsoper Hamburg Premiere gefeiert. Zuschauer waren nicht im Saal, Opernfans konnten die Aufführung aber im Stream auf NDR.de verfolgen. Elsa Dreisig an der Seite von Marianne Crebassa in der Oper „Così fan tutte“ von Wolfgang Amadeus Mozart bei den Salzburger Festspielen. Die Hauptrolle der Oper von Jules Massenet spielt die dänisch-französische Sopranistin Elsa Dreisig. Sie hat unter anderem bei den Salzburger Festspielen, in Covent Garden und Aix-en-Provence gespielt und ist dort bejubelt worden. (ndr.de)
Im Streaming-Angebot der Staatsoper Hamburg ab 27. Januar 2021,
18.00 Uhr, für 48 Stunden unter www.staatsoper-hamburg.de
Elsa Dreisig weiß genau ihre Stimme einzusetzen. Und vor allem kann sie eins. Natürlich bleiben. So klingt sie von Anfang bis Ende: jung. Und das ist sie auch. Ihr Sopran gleitet beweglich zwischen den Registern. Perfekt studiert. Sie phrasiert und steigert intelligent. Ihre harte Arbeit ist zu hören. Es klingt nie schwer und forciert. Sie bleibt sich und ihrer Interpretation der Manon treu. Natürlich wie sie ihre Stimme zu führen versteht, perlt ihr auch die Sprache über die Lippen. Vielleicht hört es sich auch gerade deswegen an, als sei sie zu Hause. Die Lust und die Freude sei das Benzin ihres Gesangs. Bravo!
Jules Massenet, «Manon»,
Aufzeichnung der Premiere am 24. Januar 2021 aus der Hamburgischen Staatsoper
von Maria Steinhilber
Manon, ein unanständiges 16-jähriges Mädchen, findet ein böses Ende. „Shooting-Star“ Elsa Dreisig sitzt schon während der Ouvertüre auf ihrem gepackten Koffer. Auf der Bühne servierte Appetit-Häppchen à la Mini-Burger für die hungrigen Gäste Guillot-Morfontaine und de Brétigny mit drei jungen Freundinnen. Dazu Leitmotive à la Wagner und sentimentale Melodien à la Gounod.
Die Logen: Voller Chorsänger. In Alltagskleidung vor dem Notenständer. Und dann kommt sie, die Manon. „Embrassez- moi“ singt sie… aber es wird sich zugewunken. Ihr Chevalier Des Grieux ist Ioan Hotea. Ein rumänischer Tenor, der von Anfang an 100 Prozent gibt und mit seiner Stimme nicht mal ein bisschen sparen mag. Es sei seine Lieblingsrolle. Erfährt man im Zwischen-Interview mit Friederike Westerhaus. Ja, das hört man! Ich weiß, wie ich mich im Saal fühlen würde. Seinen Charme vermag er sogar durch den Laptop zu transportieren. Das Timbre duftet. Kämpft. Liebt. Leidet. Stirbt. Flügelschläge parfümierter Schwingen.
Sich verlieben, das können die beiden Hauptrollen. „À Paris“ schmettern sie und tänzeln zu Corona Abständen. Friederike W. führt durch den Live-Abend in Hamburg. Interviews mit Sängern, Dirigent und Regisseur durchbrechen das Band, den musikalischen Inbegriff der Belle Époque. Doch es wird sich sehr viel Mühe gegeben. Regisseur David Bösch spricht von „jungen, spielenden Hunden“ auf der Bühne. Beim Inszenieren kämpfe er um jedes Detail. Wie ein Dichter. Auf der Bühne: Kindlicher Charme untermischt von lichter Koketterie. Im zweiten Akt: Grau und einfach. „Adieu, notre petite table“ singt Dreisig die zarte Melodie. Leider ist die Schönheit ihrer Stimme bei dieser Herzensarie nicht vernehmbar. Es ist perfekt, aber es durchdringt nicht. Sei es dem Stream geschuldet.
Akt drei folgt und ein Ohrwurm vertreibt den Nächsten. C’est la vie in Neonleucht-Schrift. Casino, Kronleuchter und eine Popstar-Manon am Mikrofon. „Je marche sur tous les chemins“ gefolgt von Manons Gavotte. Mitsingen erlaubt.
Elsa Dreisig weiß genau ihre Stimme einzusetzen. Und vor allem kann sie eins. Natürlich bleiben. So klingt sie von Anfang bis Ende: jung. Und das ist sie auch. Ihr Sopran gleitet beweglich zwischen den Registern. Perfekt studiert. Sie phrasiert und steigert intelligent. Ihre harte Arbeit ist zu hören. Es klingt nie schwer und forciert. Sie bleibt sich und ihrer Interpretation der Manon treu. Natürlich wie sie ihre Stimme zu führen versteht, perlt ihr auch die Sprache über die Lippen. Vielleicht hört es sich auch gerade deswegen an, als sei sie zu Hause. Die Lust und die Freude sei das Benzin ihres Gesangs. Bravo! Die Rolle der Manon ist nicht zu unterschätzen. Drei Stunden auf der Bühne. Fast keine Pausen. Doch Regisseur Bösch weiß, welche „jungen Hunde“ er sich auf die Bühne holt. Elegant gleiten sie von Akt zu Akt. Das ist jugendlicher Power!
Björn Bürger ist Lescaut, Manons Cousin. Er fällt stimmlich und schauspielerisch positiv auf. Überzeugend gibt er mit prolliger Goldkette den Drogenjunkie und Familien-Macho. Stimmlich vermag er genau das zu vermitteln. Man meint sogar, die Stimme passe sich seinem vermeintlichen Drogenkonsum an. Bravo für den Bariton!
Ein großes Holzkreuz mit angenageltem Jesus. „Ich glaube nicht an den ganzen kriecherischen Jesus-Kram, aber dem Publikum gefällt er, und wir müssen uns immer auf die Seite des Publikums schlagen.“ Zitat Massenets, der bei seinen französischen Kollegen äußerst unbeliebt war. Und so befindet sich Abbé Des Grieux in den Mauern eines Priesterseminars wieder. Dort hofft er, seine Manon zu vergessen. Eine Heimorgel schmückt die Bühne. Bösch vermag es, klar sprechende, sich bewegende Räume zu schaffen. Und so gefällt diese Szene fast am besten. „Oui, c´est moi“ beginnt das Duett der beiden Liebenden. Dreisig dosiert die Dramatik hier intelligent, während Hotea einfach fühlt. À la Lieblingsrolle.
Akt vier. Rien ne va plus. Wie in einer Neonröhre flackert es noch einmal auf, das Leben, bis es erlischt. Bei Bösch wählen beide Figuren den Tod. Blutende Adern bei Des Grieux und ein Giftfläschchen neben Manon. Es schneit. C’est la vie. Zerbrochen. Einzelne, kaputte Lichtstäbe. Teile davon flackern am Boden.
Eigentlich würde jetzt durch den Schnee nach Hause gestapft werden. In der Bahn über große Bühnenräume und Atemtechnik der Sänger gesprochen. Über den hustenden Nachbarn schimpfen und resümierend über ein leeres Haus die Zukunft der Oper prophezeien. Denn das ist das „Eigentliche“ wie Bösch sagt. Ein Live-Erlebnis.
Maria Steinhilber, 25. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at