Nach fast einem Vierteljahrhundert begegneten wir wieder der Volksopern-„La Traviata“ am 28. März 2024

Giuseppe Verdi, La traviata  Volksoper Wien, 28. März 2024

Wiener Staatsballett  © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

„Nachdem Giuseppe Verdi im Juli 1849 den Palazzo Dordoni-Vavalli in Busseto angemietet hatte, folgte Giuseppina Strepponi ihm im September. Die Sängerin hatte in Busseto keinen leichten Stand. Man schnitt sie und die Kirchenbank neben ihr blieb leer. Es gab auch Streit mit Verdis Vater. Nach weiteren Feindseligkeiten zogen sich der sechsunddreißigjährige Witwer Verdi und seine Lebensgefährtin auf das gekaufte Gut Sant’Agata zurück.“ Bei diesem Auszug aus dem Leben der Sängerin und späteren Gattin Verdis werden Szenen aus „La Traviata“ wach.  Den Winter 1851/52 verbrachte das Paar in Paris, wo sie Die Kameliendame von Alexandre Dumas auf der Bühne sahen und nachfühlen konnten.

La traviata
Oper von Giuseppe Verdi
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Volksoper Wien, 28. März 2024

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Die Wiener Volksoper kündigte für ihre Wiederaufnahme eine Reihe junger, dynamischer Sänger und Sängerinnen an. Sehr gute bis begeisterte Kritiken gingen ihnen voraus. Wir freuten uns auf Rebecca Nelsen, die wir als Konstanze in diesem Haus trotz nahezu unüberwindlicher Konkurrenz durch Lisette Oropesa an der Staatsoper in sehr guter Erinnerung behalten haben.

Schwelgen konnten wir anfangs nur bei ihren Aufschwüngen in die Höhe. Aber im letzten Akt verstand sie es, uns bei leiseren Tönen an ihrem Schicksal empfindsam teilnehmen zu lassen. Das alternative hohe Es als Krönung des 1. Akts scheint wieder außer Mode gekommen zu sein.

Enttäuscht hat uns David Kerber als Alfredo Germont. Kein Glanz ging von seiner Stimme aus. Wir hörten schon sogar baritonal klingende Tenöre mit mehr Strahlkraft in dieser Partie. Für Orhan Yildiz, der seinen Vater hätte singen sollen, sprang Andrei Bondarenko ein. Dieser Name auf dem rosa Zettel beruhigte. Wir charakterisierten vor nicht langer Zeit seinen Robert, Herzog von Burgund, in Tschaikowkis „Jolanthe und der Nussknacker“ als schönstimmigen Bariton. Nun, in der herausfordernderen Partie des Giorgio Germont lässt er sich mit den legendären italienischen sogenannten Baritonkrösussen – zum Beispiel eines Aldo Protti – nicht vergleichen.

Seine Stimme hört sich kaum größer als die von David Kerber an, aber die Stimmlage Bariton klingt dabei vorteilhafter. Bei der Arie „Di Provenza il mare, il suol“ hätte bei aller noblen Zurückhaltung ein eitleres Aus-sich-Herausgehen nicht geschadet.

Der musikalischen Leitung Alexander Joels fehlte es an Verve. Es ist kein gutes Zeichen, wenn bei der aufwühlenden Konfrontation zwischen Violetta und Vater Germont bei seinem „Piangi! Piangi!“ Erinnerungen an Aufführungen der Siebzigerjahre auftauchen. Aus der Literatur wissen wir, dass Verdi diese Oper nach dem Verlust seiner zwei Kinder und seiner ersten Ehefrau komponiert hat. Die Tonsprache ist im zwanzigsten Jahrhundert eine andere geworden. Es liegt nicht allein am Dirigat, sondern auch an der Komposition, dass wir nicht mehr so mitgehen können.

Violettas Gesellschafterin Annina ist die dankbarere mittlere Rolle als die Gesellschaftsdame Flora Bervoix, aber sowohl Sofia Vinnik als auch Maria Hegele fielen uns mit ihren wohlklingenden Mezzosopranen angenehm auf.

Wie sehen wir nach fast einem Vierteljahrhundert diese Inszenierung von Hans Gratzer (*1941, † 2005), der aus einem Kinosaal im Wiener Bezirk Alsergrund das renommierte Schauspielhaus Wien, einen Ort für Gegenwartstheater, geschaffen hatte?

Regisseur Hans Gratzer mit Dario Schmunck und Victoria Loukanietz (2001) Foto: Juri Tscharyiski

Nach zwei konventionellen Produktionen in der Staatsoper brachte Gratzer 2001 in der Volksoper für damalige Verhältnisse Neues. Violetta sollte in ihren letzten Stunden ihr Leben in Tagträumen vorüberziehen lassen. Was bei der aktuellen „Turandot“ in der Staatsoper geteilte Meinungen hervorrief, ist hier bereits gezeigt: Der Chor wirkt schemenhaft und bildet meistens eine Phalanx. Einige Handlungen spielen hinter einem Gazevorhang. Die Damen und Herren der Gesellschaft wirken gespenstisch. Das passt gut ins Konzept. Die Inszenierung scheint gedanklich überfrachtet. Im Programmheft werden wir durch dementsprechende Zitate vorbereitet: „Kein Gespenst überfällt uns in vielfältigeren Verkleidungen als die Einsamkeit.“ (Arthur Schnitzler)

Programmheft Volksoper Wien – Foto: Dimo Dimov
Programmheft Volksoper Wien – Foto: Barbara Pálffy

Trotzdem haben wir diesmal den Eindruck, dass dieses „Spiel der Erinnerungen“ nicht aufgeht. Im Vordergrund liegt Violetta auf einer Art Chaiselongue, steht immer wieder auf, kleidet sich an und integriert sich ins Geschehen. Für die Sichtweise Gratzers wäre das Medium Film geeigneter.

Rebecca Nelsen (Violetta Valéry), Kinderchor  © Barbara Pálffy/Volksoper Wien 2014

In einer der Logen war während des Anfangs der Vorstellung die Direktorin Lotte de Beer zu sehen. Wir fragen uns, war sie mit diesem Abend sehr glücklich?

Lothar und Sylvia Schweitzer, 30. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jolanthe und der Nussknacker, Oper und Ballett von Peter Iljitsch Tschaikowski Volksoper Wien, 20. Februar 2024

„Lass uns die Welt vergessen“ – Volksoper 1938 Volksoper Wien, 10. Januar 2024, Welturaufführung. Auftragswerk zum 125. Geburtstag der Volksoper Wien

Gioachino Rossini, La Cenerentola Volksoper Wien, 27. September 2023

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