Grandiose Virtuosität eröffnet das Martha Argerich Festival in Hamburg

Martha Argerich Festival, Eröffnungskonzert,  Laeiszhalle, Hamburg, 20. Juni 2019

Foto: © Adriano Heitman
Martha Argerich Festival, Eröffnungskonzert
„Mitreißende Entdeckungsreise“
Veranstalter: Symphoniker Hamburg, Intendant: Daniel Kühnel
Laeiszhalle, Hamburg, 20. Juni 2019

von Dr. Holger Voigt

Am Anfang war da eine Idee. Flüchtig zwar, aber immer wiederkehrend. Dann wurde die Idee kommuniziert, und alle Angesprochenen zeigten sich begeistert. Dann wurden Bedenken aus dem Weg geräumt und dem Ganzen eine Organisationsstruktur gegeben. Und schließlich sprangen engagierte Sponsoren zur Seite, um an der Realisation teilzuhaben: Eine neue „Hamburgensie“ war geboren – Das Martha Argerich Festival!

Das war im vergangenen Jahr. Und nun jährte sich dieses unglaublich inspirierende Ereignis bereits zum ersten Mal. Ein Ereignis, das im Wesentlichen auf seinen Urheber und Pacemaker zurückzuführen ist – dem Intendanten der Symphoniker Hamburg, Daniel Kühnel. Was früher „Pavarotti & Friends“ einmal für Modena waren, konnte durchaus auch nun als „Martha Argerich & Friends“ in Hamburg stattfinden, zeigt doch die begnadete Pianistin äußerst enge musikalische und private Verknüpfungen zur Hansestadt Hamburg. Alle Angesprochenen machten mit – erstmalig oder erneut – , hinzu kam die generöse Unterstützung der Hans-Otto und Engelke Schümann-Stiftung und die von Christiane und Dr. Lutz Peters. Sie alle ermöglichten, was nun als ein echtes Hamburger Sommer-Festival Gestalt angenommen hat.

Wirft man einen Blick in das Programm der 11 Konzerte (!) an 10 Tagen (20. – 30. Juni), kann einen schon das Erstaunen sprachlos machen: Hochkarätige Künstler versammeln sich in der Hamburger Laeiszhalle, den Deichtorhallen Hamburg sowie der Elbphilharmonie – schlicht und ergreifend, um gemeinsam zu musizieren. Dass dabei eine Rosen-reiche, herzliche Verbundenheit mit dem Publikum hergestellt wird, ist für den Hamburger Besucher keine Besonderheit mehr, sondern primärer Ausdruck einer durch und durch freundschaftlichen Nähe zur Musik und den auftretenden Künstlern – ein wahres Freundschaftsfest! So ist denn auch die einzigartige Atmosphäre – man ist praktisch unter Seinesgleichen – bereit zu allen musikalischen Höhenflügen, die da programmatisch ins Auge gefasst sind. Nahtlos schließt das diesjährige Festival an das des letzten Jahres an, auch wenn es doch gerade erst am 20. Juni begonnen hat. Die Begeisterung aus dem Vorjahr stand bereits wie eine Wand im Raum, als wäre zwischenzeitlich überhaupt kein Jahr vergangen. Hamburg kann sich wirklich glücklich schätzen!

Im Programm für das Eröffnungskonzert, übertitelt mit „Mitreißende Entdeckungsreise“, waren ausnahmslos kammermusikalische Werke zusammengestellt worden.

Martha Argerich, noch immer gesundheitlich angeschlagen, wählte in der ihr eigenen Bescheidenheit statt einer einleitenden Ansprache (sie wurde stattdessen vom Intendanten der Symphoniker Hamburg, Daniel Kühnel, kurz, aber mit großer Empathie vorgetragen) eine pianistische Form der Kommunikation mit dem gespannt wartenden Publikum. In ihren „Kinderszenen“(Robert Schumann) entstand unmittelbar ein anrührender, kontinuierlicher Flow wunderschön ausgesungener Passagen, dem man mit den Ohren und dem Herzen hätte stundenlang weiter zuhören mögen. So muss es wohl früher gewesen sein, wenn Pianisten eine Variation nach der anderen spielten, erfanden, improvisierten – faszinierende Unendlichkeit, wie sie Martha Argerich entstehen lassen kann wie kaum eine andere.

Bartóks „Rumänische Volkstänze“für Violine und Klavier wurde von ihr am Klavier zum Violinpart begleitet. Diesen übernahm der Konzertmeister der Symphoniker Hamburg, Adrian Iliescu, in einer fesselnden Virtuosität, die sich dramatisch mit ungeheurem Feuer entlud und sprachlos machendes Staunen hervorrief. Hier konnte der Konzertmeister sein solistisches Potenzial in allen Farben zu Gehör bringen.

Es folgte ein gemeinsamer Auftritt zusammen mit ihrem früheren Ehemann Stephen Kovacevich mit Mozarts “Andante mit 5 Variationen für Klavier zu vier Hände“. Klein, fein, reduziert auf das Variationenspiel der beiden Pianisten.

Dann wieder eine Wegnahme der Reduzierung, quasi eine Art öffnende Erweiterung: Mozarts “Klavierquartett No. 2 Es-Dur“ mit Piano (Stephen Kovacevich), Violine (Guy Braunstein), Viola (Lyda Chen), Violoncello (Andrei Ionită). Es präsentierte sich eine meisterlich klingende Virtuosität aller Beteiligten (die Viola erschien manchmal etwa leise), der es an dramatischem Zuschnitt nicht fehlte. Hier konnten alle Mitwirkenden in einem homogenen Klangbild ihre einzelnen Beiträge zusammenführen, so dass die Virtuosität einzelner zur Virtuosität aller verschmolz, was eine äußerst eindringliche Wirkung hervorrief, die auch durch Fehlklatscher nicht getrübt werden konnte.

Nur knapp eine einzige Sekunde brauchte die georgisch-französische Pianistin Kathia Buniatishvili, um die Herzen aller Zuhörer zu erobern. Mit einem bezaubernden Lächeln und einer ins Publikum „hineingeworfenen“ Kusshand stimmte sie die Atmosphäre auf eine eher lyrischere Gangart ein. Ihre Schubert-Interpretation („Ständchen“, aus „Schwanengesang“) war anrührend und aufwühlend zugleich. Sie – die Meisterin des hauchartigen, nahezu berührungsfreien Anschlags, konnte auch dramatischere Spannungsbögen aufbauen, wie man es nur selten zu Gehör bekommt. Ein weiterer eindrucksvoller Höhepunkt dieses Abends!

Vierhändig gemeinsam mit Martha Argerich gelangen beiden Ausnahmepianistinnen in Ravels „Ma mère l’oye“ Momente einer intuitiv-verschmelzenden Musikalität, bis in das feinste Detail hinein. Da saßen zwei Generationen zusammen und verstanden sich wie gute Schwestern in geradezu zeitlos erscheinender Perfektion, dabei durchaus nicht ohne humorvolle Akzentsetzungen.

César Francks “Sonate für Violine und Klavier in A-Dur“, vorgetragen von Guy Braunstein (Violine) und Kathia Buniatishvili (Piano) bildete den begeisternden Abschluss dieses ersten Festivaltages. Ein hochinteressantes, spannendes Werk, das in weiten Teilen Violine und Klavier in geradezu rhetorischen Dialogen verknüpft – so als handele es sich um ein Gespräch, das mehr und mehr zu einem Streitgespräch mutiert und in fast kathartischer Auflösung schließlich zu einer friedvollen Rückkehr zu den Eingangsthemen gelangt. Dabei ist der von Kathia Buniatishvili gespielte, anspruchsvolle Klarvierpart nur anfänglich und scheinbar der regressiv-zurückhaltende, eher anmutig-lyrische Anteil, der den von Guy Braunstein hervorragend gespielten Violinpart gleichsam „spiegelt“. Im Ablauf der Sätze vermag das Piano immer mehr dem nur scheinbar dominierenden Violinpart zu widerstehen und sich in den Vordergrund zu spielen. Schlussendlich gibt es dabei keinen „Sieger“ (warum auch?), sieht man einmal von den beiden Siegern des Vortrages ab. Sie ließen ein Werk voller melodramatischer Wucht entstehen und zeigten, wie packend Kammermusik sein kann. Frenetischer Beifall!

Ein großer Eröffnungsabend ging zu Ende. Standing Ovations und viele, viele Rosen. Auch und gerade für Kathia Buniatishvili, die nur Minuten vor ihrem Geburtstag stand. Man darf gespannt sein, was alles bei diesem Festival noch im Köcher ist. Möge das Staunen kein Ende finden!

Dr. Holger Voigt,  22. Juni 2019,  für
klassik-begeistert und klassik-begeistert.de

 

Guy Braunstein, Violine
Adrian Iliescu, Violine
Lyda Chen, Viola
Andrei Ionită, Violoncello
Martha Argerich, Klavier
Khatia Buniatishvili, Klavier
Stephen Kovacevich, Klavier

Béla Bartók: Rumänische Volkstänze Sz 68 für Violine und Klavier

Robert Schumann: Kinderszenen op. 15 für Klavier

Wolfgang Amadeus Mozart: Thema und Variationen G-Dur KV 501 für Klavier zu vier Händen

Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierquartett Es-Dur KV 493

Maurice Ravel: Ma mère l’oye/Fassung für Soloklavier

César Franck: Sonate für Violine und Klavier A-Dur

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