Foto: London Coliseum – English National Opera © ENO.org
Standing Ovations for My Fair Lady: triumphale Rückkehr des Musical-Klassikers nach London
Die English National Opera hat den wohl besten und bekanntesten Musical-Klassiker, Loewe’s „My Fair Lady“, zurück nach London gebracht – und die durchwegs traditionell-klassische Produktion auf der Bühne des London Coliseum erntete Standing Ovations vor ausverkauftem Haus. Als unbestrittene Stars brillierten unter der präzisen Regie von Bartlett Sher und dem temperamentvollen Dirigat von Gareth Valentine die Musical-Sängerin Amara Okereke als selbstbewusste Eliza Doolittle und Stephen K. Amos als ihr lebensfroher Vater.
English National Opera, London Coliseum, 24. Mai 2022
My Fair Lady
Frederick Loewe Musik / Alan Jay Lerner Libretto
Gareth Valentine, Dirigent
Bartlett Sher, Regie
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Foto)
Diese beiden Vinyl-Platten wurden bei uns zu Hause fast täglich gespielt, jede Note, jede Textzeile kannte ich schon als Kind auswendig: My Fair Lady und Mary Poppins. Diese beiden Musical-Klassiker sind zur Zeit auf Londoner Bühnen in glanzvollen Produktionen zu sehen, Mary Poppins im Prince-Edward-Theatre (West End) und My Fair Lady als Aufführung der ENO im London Coliseum. Wärmstens zu empfehlen.
„My Fair Lady“ ist eine der intelligentesten, selbst-ironischen Parodien auf die englische Klassengesellschaft. Im Mittelpunkt steht die Sprache in ihrer ganzen Bandbreite, vom malerischen Cockney der „Unterschicht“, die hier vor dem Blumenmarkt und daneben dem Opernhaus von Covent Garden herumlungert und dem gestelzten Oxford-English der Aristokratie, die sich am legendären Pferderennen von Ascot und auf exclusiven Bällen produziert. Die Transformation von Ovids Pygmalion-Legende durch George Bernard Shaw ist ein geniales Stück Literatur und Gesellschaftskritik ; der Phonetik-Forscher Professor Higgins hat es sich in den Kopf gesetzt, das bettelarme Blumenmädchen Eliza in die Spitze der englischen Society zu katapultieren: mittels Sprache. Denn, nicht ganz zu Unrecht die Überzeugung des Professors: Es ist die Sprache, welche den Menschen als Zugehöriger einer bestimmten Gesellschaftsschicht identifiziert.
Lebenslänglich – wenn man dies nicht ändert. Und genau dies ist die Ambition des ziemlich arroganten und äußerst misogynen Sprachwissenschafters: dieses Mädchen aus der Gosse in die respektable englische Gesellschaft zu holen, indem mittels brutaler Phonetik-Kurse ihre Sprache jener der Oberschicht angepasst wird. Sein Freund, Oberst Pickering, ist Komplize und Partner bei dieser Unternehmung. Dass ihm diese Produktion zudem homosexuelle Neigungen andichtet wirkt eher überflüssig, könnte allerdings als Vignette der puritanisch-englischen High Society durchgehen. Gerade in der Oberschicht galten nämlich homosexuelle Tendenzen als durchaus akzeptabel, wenn nicht gar salonfähig.
Die Eliza der Amara Okereke brachte das ganze Spektrum zwischen den vulgären Ur-Lauten des Blumenmädchens bis hin zu herrlichem, raumfüllenden Gesang der sich allmählich emanzipierenden Eliza, die dem Professor die Stirn bietet. Als ihr Vater, der lebensfrohe Trunkenbold, der dank einem Missverständnis zu einer beachtlichen lebenslänglichen Rente kam, brillierte Stephen K. Amos – vor allem im berühmten Hochzeits-Song, der hier zu einer farbenfrohen Halbwelt-Einlage samt Cancan ausgebaut wurde. Seine Stimme: wunderbar rauh-patiniert. Der menschenverachtende Zyniker Professor Henry Higgins überzeugte mit seinem großartigen „But let a woman in my life“.
Ein nostalgisches und zugleich perfektes Musical-Erlebnis auf der größten Londoner Bühne!
Dr. Charles E. Ritterband, 25. Mai 2022, für
klassik-beigeistert.de und klassik-begeistert.at
Bühne: Michael Yeargan
Choreographie: Christopher Gattelli
Eliza Doolittle: Amara Okereke
Alfred P. Doolittle: Stephen K. Amos
Professor Henry Higgins: Harry Hadden-Patton
Colonel Pickering: Malcolm Sinclair
Freddy Eynsford-Hill: Sharif Afifi
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