Die Australierin Nicole Car ist ein neuer Star am Sopranhimmel. Auch an diesem letzten Faust-Abend an der Wiener Staatsoper bot sie die beste Leistung in allen Akten. Lyrische wie dramatische Stellen gelangen ihr wunderbar. Ihr Timbre ist einzigartig, unverwechselbar, mit absolutem Wiedererkennungswert. Und dann drehte die Australierin in den dramatischen Schlussakten so richtig auf. Die Stimme strahlte, bot viel Kraft, ohne dabei Wärme vermissen zu lassen. Nicole Car ist in Wien keine Unbekannte. Sie hat bereits mehrere Partien ihres lyrischen Faches im Haus am Ring gesungen. Für die Marguerite ist ihr gut geerdeter Sopran bestens geeignet, sie wird sowohl den lyrischen Passagen als auch den dramatischen Ausbrüchen gerecht. Ihr leicht abgedunkeltes Timbre hat sehr persönliche, individuelle Farben.
Lesen Sie gleich bitte den Beitrag von Jürgen Pathy von der ersten Vorstellung am Mittwoch: „Obwohl Startenor Juan Diego Flórez die Paradearie „Salut, demeure chaste et pure“ mit unheimlicher Grazie und Lyrik zu gestalten wusste, über weite Strecken stieß er als Faust an seine Grenzen. Vielleicht ist der Vorstoß ins dramatischere Fach doch nicht die beste Idee gewesen. Flórez, der als Tenore di grazia ohne Zweifel zu den Größten zählt, besitzt einfach nicht das Material, um im jugendlichen Heldenfach zu reüssieren. Zumindest nicht in dieser Partie. Und nicht an einem Haus wie der Wiener Staatsoper, wo das Orchester derart dominierend und exponiert in Stellung liegt.“
Die 5 Jahre alte Stuttgarter Inszenierung von Frank Castorf ist live etwas besser und intensiver als am Bildschirm daheim. Weniger (Live-)Videos wären sicher mehr gewesen. Ob der deutsche Regisseur den Seh-Geschmack des Wiener Opernpublikums traf, das an diesem Abend einen Altersschnitt jenseits der 60 hatte, ist fraglich. Noch am Mittwoch hatte es einen Buh-Orkan für die Regie gegeben. Anspielungen auf den Algerienkrieg (1954 – 1962) und Bilder davon bleiben ein Mirakel des Regisseurs. Überhaupt: Wer schon öfter Castorf gesehen hat, ist enttäuscht von der minimalen Wandlungsfähigkeit dieses Kulturschaffenden. Da ist so vieles der Abklatsch von so vielem. Wer den Castorf-Ring in Bayreuth gesehen hat, den langweilt die geistige Stagnation dieses Künstlers. Tiefpunkt des Abends war die permanente Schleichwerbung für einen US-amerikanischen Brausehersteller auf großen Neon-Leuchten. In der Pause fragten sich Gäste, wie viel Dollar der Konzern der Wiener Staatsoper oder Herrn Castorf wohl überwiesen haben dürfte für dieses „product placement“.
Andreas Schmidt, Herausgeber, 24. Mai 2021 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Foto: © Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 19. Mai 2021
Faust, Charles Gounod
„Faust, Charles Gounod
Wiener Staatsoper, 23. Mai 2021“ weiterlesen