Entstaubt, entrümpelt, entstellt: Mozarts "Entführung aus dem Serail" in Genf

Foto: © GTG / Carole Parodi

„Mir persönlich ist der gute, alte, anachronistisch-barocke, von mir aus xenophob-sexistische Mozart dann doch hundert Mal lieber als der Murks einer politisch korrekten, zeitgenössischen Interpretation, in der die Moral der Geschichte dennoch fehlt.“

Grand Théatre de Genève, 24. Januar 2020

Die Entführung aus dem Serail. Singspiel von Wolfgang Amadeus Mozart.

von Charles E. Ritterband

Der Zufall wollte es, dass ich zwei Tage zuvor im Wiener Burgtheater der geräuschvollen Massakrierung von Goethes Faust – mit effektvollen pyrotechnischen Effekten, dröhnender Disco-Musik und großflächigen Eingriffen eines zeitgenössischen Textdichters ins Original – beigewohnt hatte. Der „Déjà-Vu-Effekt“ war also unvermeidlich, als ich kurz darauf im prachtvollen Genfer Grand Théatre die kreative Entrümpelung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ anschauen durfte. Im Burgtheater gab es allerdings eine Pause, die manche Zuschauer, wie auch ich selbst, zur Flucht ins nahegelegene Café Landtmann nutzten. „Wolfgang Amadeus Mozart, Die Entführung aus dem Serail,
Grand Théatre de Genève, 24. Januar 2020“
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So geht Wagner: Wahrhaftigkeit des Ausdrucks

Thielemanns grandiose „Meistersinger“ feiern in Dresden Premiere. Die Sänger übertreffen sich gegenseitig.

Semperoper Dresden, 26. Januar 2020 (Premiere)
Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg
Foto: © Matthias Creutziger

Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Inszenierung: Jens-Daniel Herzog
Bühnenbild: Mathis Neidhardt
Kostüme: Sibylle Gädeke
Hans Sachs: Georg Zeppenfeld
Veit Pogner: Vitalij Kowaljow
Walther von Stolzing: Klaus Florian Vogt
Sixtus Beckmesser: Adrian Eröd
Fritz Kothner: Oliver Zwarg
David: Sebastian Kohlhepp
Eva: Camilla Nylund
Magdalene: Christa Mayer
Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor Dresden

von Kirsten Liese

Das Jahr hat gerade erst begonnen, da erreicht es bereits seinen Zenit mit überwältigenden Meistersingern, die man jetzt schon als eines der größten Opernereignisse des Jahres feiern möchte.

Natürlich stand das nach der grandiosen Premiere dieser von Christian Thielemann geleiteten Produktion bei den Osterfestspielen Salzburg im vergangenen Frühjahr  kaum anders zu erwarten. Und doch –  oder lag das an meinem besonders exquisiten Platz im Zentrum des Parketts ? – schien es mir, als hätten sich alle Mitwirkenden zur Dresden-Premiere noch gesteigert. Aber so einen Eindruck bringt Begeisterung im Überschwang gerne mit sich: Dass jede Vorstellung immer noch mehr euphorisiert als die vorangegangene. „Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg,
Semperoper Dresden, 26. Januar 2020 (Premiere)“
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Obsession und Leidenschaft pur: Marlis Petersen triumphiert als Salome

Foto: Marlis Petersen (Salome), Johan Reuter (Jochanaan) © Werner Kmetitsch
Theater an der Wien, 25. Januar 2020

Salome, Richard Strauss

von Jürgen Pathy

Wenn Blicke töten könnten, heißt es im Volksmund. Die Macht der Blicke ist auch ein zentraler Kern in Richard Strauss‘ Oper „Salome“, in der die junge Prinzessin Salome sich diesen ausgeliefert fühlt. Alle Blicke sind auf sie gerichtet. Nicht nur Narraboth, der Hauptmann, auch Herodes, ihr Onkel und Stiefvater in einer Person, alle lechzen nach dem Körper des Teenagers und werfen ihr lüsterne Blicke zu. Nur Jochanaan, der Prophet, um dessen Gunst die blutjunge Salome buhlt, lässt sich vom Anblick der jungen Schönheit nicht beeindrucken und entzieht sich ihrer Blicke. Deshalb landet sein Haupt auf dem Silbertablett. Im Theater an der Wien kommen weitere Aspekte hinzu: Nikolaus Habjan, derzeit Director in residence, „möchte Dinge zeigen, die in diesem Stück stecken, aber nicht immer gleich sichtbar werden“. Wie bereits gewohnt, bringt der Österreicher, der zuletzt Webers Oberon inszeniert hat, seine Spezialität ins Spiel. „Salome, Richard Strauss,
Theater an der Wien, 25. Januar 2020“
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Marlis Petersen in Wien: Die Sopranistin ist auf dem Höhepunkt ihrer vokalen Kraft - ihre Stimme ist silbrig und durchschlagskräftig

Foto: © Theater an der Wien / Werner Kmetitsch
Theater an der Wien, 25. Jänner / Januar 2020
Richard Strauss, Salome

Marlis Petersen, Salome
Johan Reuter, Jochanaan
John Daszak, Herodes
Michaela Schuster, Herodias
Paul Schweinester, Narraboth

Regie: Nikolaus Habjan
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Dirigent: Leo Hussain

Theater an der Wien, 22. Jänner 2020
Jean-Philippe Rameau: Les Boréades
Tragédie lyrique in fünf Akten (1763)

Alphise, Deborah Cachet
Abaris, Mathias Vidal
Sémire, Caroline Weynants

Collegium Vocale 1704
Collegium 1704
Dirigent:Václav Luks

von Herbert Hiess

Diese Oper von Rameau ist eigentlich schon von der Aufführungsgeschichte her hochinteressant; sie wurde zwar 1763 zu König Ludwigs XV.-Zeiten komponiert, aber erst 1975 (konzertant) und 1982 in Aix-en-Provence uraufgeführt. Beide Male durch John Eliot Gardiner. Rameaus Oper ist ein ein Monsterwerk von über 200 Minuten Dauer. Für das Theater an der Wien wurde es auf eine publikumsfreundliche Länge von unter drei Stunden gerafft – was (leider!) ob der Aufführungsqualität auch gut war. „Richard Strauss, Salome, Jean-Philippe Rameau: Les Boréades,
Theater an der Wien, 25. Jänner / Januar 2020“
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Die DIENSTAG-PRESSE – 28. JÄNNER /JANUAR 2020

Foto: Anna Netrebko, Instagram (c)
Für Sie in den Zeitungen gefunden:
Die DIENSTAG-PRESSE – 28. JÄNNER /JANUAR 2020

Wien/ Staatsoper
Otello ist ja auch ein Ausländer“ Bezahlartikel
Tenor Stephen Gould vor dem Staatsopern-Debüt als Otello über ältere Herren und junge Frauen, überzeugende Regisseure und die Frage, wie Wagner-Tenöre Verdi singen.
https://www.diepresse.com/5759345/bdquootello-ist-ja-auch-ein-auslanderldquo

Dresden
Strahlende Meistersinger in Dresden Bezahlartikel
Die Produktion der Salzburger Osterfestspiele wurde bejubelt.
War die Premiere dieser „Meistersinger“-Produktion bei den Salzburger Osterfestspielen 2019 noch von den Intrigen über die Zukunft des Festivals überschattet, so stand die Übernahme in der Semperoper nun im Zeichen der Vorfreude auf mögliche Dresdner Osterfestspiele mit Thielemann
Die Presse

Meisterhafte „Meistersinger“ an der Semperoper Dresden
https://www.mdr.de/kultur/themen/semperoper-dresden-meistersinger-wagner-100.html

„Konzertgänger in Berlin“
Mittsommerspartanisch: Benjamin Brittens A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM an der Deutschen Oper
Die Feenwelt ist ganz schön gruselig. Und der Wald bei Athen, wo Benjamin Brittens A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM nach Shakespeare spielen soll, arg spartanisch. Zumindest in der Inszenierung von Ted Huffman, die jetzt an der Deutschen Oper Berlin Premiere hatte.
https://hundert11.net/mittsommerspartanisch/

Schattenreich: Brittens „A Midsummer Night’s Dream“ an der Deutschen Oper Berlin
Neue Musikzeitung/nmz.de

Ritterbands Klassikwelt 9: Salome
Meine Tochter heißt Salome. Alle drei Kinder tragen Namen aus der Welt der Oper: Salome, Orfeo, Ulisse. Doch die ganz besondere Ehre gebührt Salome, als der ersten.
Oft werde ich gefragt, welche denn meine Lieblingsoper sei – unter den vielen herrlichen Werken, in denen ich so oft schwelge, von deren Aufführung ich schwärme (oder, mitunter, entsetzt bin). Zugegeben – Salome ist vielleicht nicht gerade meine Lieblingsoper. Aber es ist ganz entschieden das Werk, das mich unter allen Opern am meisten fasziniert. Dies ist das kompakteste, expressivste Werk der gesamten Opernliteratur. Das Thema ist zeitlos (siehe #Me.Too): der in der Welt der griechischen Sagen immer wieder vorkommende Topos der unendlich schönen, begehrten, missbrauchten jungen Frau (die Oper geht vom ersten Satz an direkt zur Sache: Narraboth –“Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht“ – eine vergleichbare Direktheit, die uns, sobald sich der Vorhang hebt unmittelbar in die Handlung hineinreißt gibt es sonst nur bei Verdis „Othello“).
Der Autor und Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt jeden zweiten Sonntag aus seiner Klassikwelt.
Klassik-begeistert „Die DIENSTAG-PRESSE – 28. JÄNNER /JANUAR 2020“ weiterlesen

Weniger ist manchmal mehr

Kölner Philharmonie,23. Januar 2020
Foto: WDR-Sinfonieorchester (c)
Christian Măcelaru, Dirigent
Jan Vogler, Violoncello
Thea Dorn, Schriftstellerin
Uwe Schulz, Moderation

Nico Muhly/Sven Helbig/Zhou Long– Konzert für Violoncello und Orchester in der Sätzen (2018)
Thea Dorn – Vortrag über „Musik: Weltkultur oder die deutscheste aller Künste?“
Richard Wagner – Sinfonische Auszüge aus: Der Ring des Nibelungen, WWV 86 (1848 – 74) – Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend mit Libretto vom Komponisten

Von Daniel Janz

Man stelle sich ein Philharmoniekonzert als ein ausgewogenes Drei-Gänge-Menü in einem guten Restaurant vor. Niemand würde es so entwerfen, dass die Vorspeise mehrere Teller füllt, das Hauptmenü vertrocknet und kaum wahrzunehmen ist und für das Dessert am Ende nur saurer Essig übrigbleibt. Wie also auch die Gänge aufeinander abgestimmt sind, müssen bei einem Konzert die Musikstücke miteinander abgewogen werden und zu einer Gesamtkomposition zusammenfinden. „WDR-Sinfonieorchester, Christian Măcelaru, Jan Vogler, Thea Dorn
Kölner Philharmonie, 23. Januar 2020“
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Psychodrama zwischen Waldsee und Bungalow: Dvořáks „Rusalka“ an der Oper Halle

Foto: © Falk Wenzel

Oper Halle, 25. Januar 2020

Antonín Dvořák, Rusalka

von Guido Müller

Im Mittelpunkt des „lyrischen Märchens“, einer großen Romantischen Oper in drei Akten von Dvořák und Kvapil, das 1901 in Prag uraufgeführt wurde, steht ein Wassermädchen. Diese Rusalka sehnt sich nach einer Seele und der Menschenwelt. Sie will die kalte Unterwasserwelt des Wassermanns und ihrer Schwestern verlassen, um die Liebe eines Menschen für sich zu gewinnen. Dieser Mensch kommt als Prinz immer wieder an ihren Waldsee, um zu baden. Dort hat sich Rusalka als Welle in ihn verliebt. „Antonín Dvořák, Rusalka,
Oper Halle, 25. Januar 2020“
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Junge Talente aus Neumeiers Ballettgarten präsentieren ihr Können

Bildquelle: Staatsoper Hamburg (c)

Staatsoper Hamburg, 26. Januar 2020
Ballettwerkstatt „Debüt“

Hamburg Ballett
John Neumeier

von Ralf Wegner

John Neumeier lud am Sonntagvormittag zur 229sten Ballett-Werkstatt ein. Wie je­des Jahr gab er seinen Tänzerinnen und Tänzern die Möglichkeit, einmal mit einer Wunschpartie aufzu­tre­ten. Jeder, egal ob Aspirant oder Erster Solist, durfte bei ihm einen Zettel mit der oder den entsprechenden Rollen einreichen; von manchen wünschte sich aber auch Neu­meier selbst die Einstudierung neuer Partien. Insgesamt wurden Soli, Pas de deux und Pas de trois sowie Gruppen­tänze aus 13 Choreografien des Hamburger Ballettin­tendanten gezeigt, zum Teil noch mit leichter Anfänger­ner­vosität, sonst aber auch bei den Gruppentänzerinnen und -tänzern auf sehr hohem Niveau. „Hamburg Ballet, John Neumeier,
Hamburgische Staatsoper, 26. Januar 2020“
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Ritterbands Klassikwelt 9: Salome

von Charles E. Ritterband

Meine Tochter heißt Salome. Alle drei Kinder tragen Namen aus der Welt der Oper: Salome, Orfeo, Ulisse. Doch die ganz besondere Ehre gebührt Salome, als der ersten.

Oft werde ich gefragt, welche denn meine Lieblingsoper sei – unter den vielen herrlichen Werken, in denen ich so oft schwelge, von deren Aufführung ich schwärme (oder, mitunter, entsetzt bin). Zugegeben – Salome ist vielleicht nicht gerade meine Lieblingsoper. Aber es ist ganz entschieden das Werk, das mich unter allen Opern am meisten fasziniert. Dies ist das kompakteste, expressivste Werk der gesamten Opernliteratur. Das Thema ist zeitlos (siehe #Me.Too): der in der Welt der griechischen Sagen immer wieder vorkommende Topos der unendlich schönen, begehrten, missbrauchten jungen Frau (die Oper geht vom ersten Satz an direkt zur Sache: Narraboth  –“Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht“ – eine vergleichbare Direktheit, die uns, sobald sich der Vorhang hebt unmittelbar in die Handlung hineinreißt gibt es sonst nur bei Verdis „Othello“). Die fein ausgearbeitete, des Humors nicht entbehrende psychologische Dimension (das Dreiecksverhältnis Salome-Herodias-Herodes, die verwöhnte Mädchen aus reichem, mächtigen Haus, das alles haben kann, aber nur das Eine will, das ihr verboten ist. Und die erwachende, noch ziellos herumirrende Sexualität der jungen Mädchen, die sich auf dieses völlig andere, faszinierende, verbotene fokussiert: Den Propheten im Kerker. „Ritterbands Klassikwelt 9
klassik-begeistert.de“
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Mit der 6. Symphonie von Mahler löst Kirill Petrenko eine alte Schuld ein

Auch mit diesem Abend vollzieht Petrenko einen weiteren Schritt auf seine Vorgänger zu. Es sind große Stiefel, die ihn da erwarten, aber er füllt sie von Mal zu Mal besser aus. Seine Musiker und das Publikum hat er längst gewonnen.

Philharmonie Berlin, 24. Januar 2020
Gustav Mahler
Symphonie Nr.6
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko 
Dirigent

Foto: © Wilfried Hösl

von Peter Sommeregger

Man erinnert sich: Ende 2014 sollte Kirill Petrenko Mahlers 6. Symphonie bei den Berliner Philharmonikern als Gast dirigieren. Petrenko, seit seiner erfolgreichen Tätigkeit an der Komischen Oper in Berlin hoch geschätzt, sagte dieses Konzert aber kurzfristig ab. Die Enttäuschung war groß, und ein voreiliger Journalist schrieb, mit dieser Absage habe sich Petrenko selbst aus dem Rennen um den Posten des neuen Chefdirigenten genommen, dessen Wahl 2015 anstand. Erfreulicherweise ist es anders gekommen, entsprechend groß waren die Erwartungen für dieses „nachgeholte“ Konzert. „Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko,
Philharmonie Berlin, 24. Januar 2020“
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