Peter Tschaikowski © wikipedia.org
Anlässlich dreier Konzerte kürzlich
Zweimal die 4. von Tschaikowsky, zweimal Mahlers Vierte binnen einer, zweier Wochen, ja, Messieurs Dames, mes chères demoiselles, my Lords, Ladies and Gentlemen – was geht denn hier vor gerade, in der Perle des Landes? Und was haben Laeiszhalle und die Elbphilharmonie damit zu tun? Eine flehende-fliehende-überfliegende Analyse.
von Harald Nicolas Stazol
Nun gut, werden Sie sagen, jetzt schreibt er schon wieder über Tschaikowsky. Und ich muss Ihnen sagen – was bleibt mir übrig?
Denn ich habe einen Verdacht, der mir nicht nur mit Gewissheit, sondern auch mit den – beweisbaren – Indizien versieht: Das NDR Elbphilharmonie Orchester und das Hamburger Staatsorchester (Philharmonisches Staatsorchester Hamburg) liefern sich offenbar eine Battle. Und ich sage nicht „Kampfstern Galactica“, ich sage „Star Wars“. „Das Imperium schlägt zurück“ gegen „Return of the Jedi“.
36-mal habe ich die Vierte nun gehört, auf teuren Headsets, bluetooth, HD, 5G – kurzum: NDR gegen Staatsorchester?
Grand Slam.
Ich schrieb schon von den „Posaunen des Schicksals“, die die Vierte eröffnen. Wie das Genie es vermag, in allen-allerlei Rhythmen und Melodien und Themen bis heute alleräußersten Eindruck zu machen, der Mann, der als Gerichtsassessor begann, und als Maßgeblicher von 150 Jahren russischer Musikgeschichte gelten darf.
Es ging ja schon mit Mahlers Vierten los, da waren 10 Tage dazwischen, es war wohl im frühen September, da fing das Wimbledon 24 der beiden besten Hamburger Orchester an – wenn nicht die Hamburg Symphoniker überraschend, und mit ihrer einzigartigen Glut und rotglühendem Feuer ALLES dazwischen grätschten, wenn sie unter Maître Sylvain besser sind, „als wir sind“, soll Karajan nach der Neunten zu den Wienern gesagt haben, bei einer DECCA Aufnahme, vielmehr: „Meine Herren, heute waren Sie besser, als Sie sind“, ich mag es quellenmäßig nicht ganz mehr erinnern, selbst bei eidetischen Gedächtnisse, Fluch und Segen zugleich der Dynastie – „WIR waren besser, als wir sind“…
Aber ist doch da dieses Einzigartige, es ist, als ließe Apollon einen Apfel auf mein Haupt fallen, was schon geschah im kleinen Park vor dem Lycée: Erklingt doch auch in der Laeiszhalle eine „Roméo et Juliette“-Suite, die von Hector Berlioz, zu der mir auf dem Eröffnungsempfang nach der Renovierung der alten Dame am Johannes-Brahm-Platz Maestro Sylvain Cambreling – nun 50 Jahre am Pult, davon wird zu anderer Gelegenheit noch zu sprechen sein, nun, Maestro stimmen überein, „Ja, er hat Längen.“
Und wie kommen wir jetzt wieder zu Pjotr Iljitsch Tchaikowsky und der „großen Schlacht der Elphi“?
Über seine „Romeo und Julia“ Suite, die Berlioz natürlich bekannt gewesen sein wird, und lassen Sie uns auch Prokofieff nicht vergessen, – der, wie ich las, dem Ganzen ein Happy End geben wollte, bis die Freunde in beschworen: „Sergej, Du kannst doch nicht Shakespeare umschreiben!“
Und nun, wenn man die Vierte hört, zweimal, (plus 36 mal auf YouTube), dann entfaltet sich das ganze Genie dieses musikalisch-historisch-gigantischen LGBT-Vorreiters – hoffentlich lässt die Textchefin dies stehen – noch einmal diese wunderbare Klangsprache, und, Wunder über Wunder, in derselben Phase arbeitet er an „Eugen Onegin“, von der ich auf diesen Seiten schon als meiner Schicksalsoper schrieb (https://klassik-begeistert.de/eugen-onegin-pjotr-tschaikowski-meine-lieblingsoper-klassik-begeistert-de/)
Nun ist Alan Gilbert dem Stoff natürlich gewachsen, den ich von meinem brandneuen Walkman 1984 auf dem Radl zum Christoph-Scheiner-Gymnasium auf Kassette hörte, gelbe Deutsche Grammophon, Bernstein und die New Yorker, entliehen aus der Gemeindebibliothek Gaimersheim.
Meinen besten Freunden habe ich sie nächtens am Baggersee in einem gar-nicht-so-rostigen VW Golf 2 vorgespielt – spätes Kompliment an Florian Illies vielleicht.
Denn da ist eben jener zweite Satz, dessen Deutung meinen Freunden gegenüber mit 18 die Folgende war, zur Musik auf einem Autoradio mit Cassetten Schacht, Mono, aber das machte gar nichts…:
(Und die folgenden Zeilen werde ich schreiben, während ich diesen nochmal von Lennie hören werde, Carnegie Hall, 1976, aber legen Sie mich nicht fest, ich finde die bald angeschaffte CD-Hülle nicht mehr.)
Ich sehe zwei Liebende vor mir, die in einem zärtlich-innigen Dialog sich ihre Schwächen gestehen, der eine Part realistisch-beschwichtigend, der andere ins Schwärmerische träumend. Hier schon kann ich zwischen NDR und Staatsorchester kaum differenzieren, allerdings ist letzteres in der ja späteren Darbietung geradezu ohnmächtig-mächtig. 0:1.
Der Meisterschaft des Pizzicato-Satzes stehen sich beide Orchester in nichts nach, nur in den Tempi sind mir Unterschiede – sind doch die vom NDR drei Minuten früher durch.
Aber lassen Sie uns doch noch einmal zurückspringen, man verzeihe die Unannehmlichkeit, zu jenem fulminanten, ja lebenssprühenden Satze, dem Ersten.
Wer liebt da wen? Pjotr die Meck? Durch die Meck Pjotr die Welt? Und ich, Harald Nicolas Stazol, nehme es den Musikwissenschaftlern vorweg:
Ergriffen von Tschaikowsky bin ich beide Male, und nach 35 Minuten?
Riechsalz! Und dann ermattet zu Boden.
Dies nur als aperçu, comme toujours…
Aber nun plötzlich sind sie ALLE besser, als sie sind.
Da ist der schon der halsbrecherische dritte pizzicato Satz, hier mag das NDR Elbphilharmonie Orchester die Nase vorn haben, aber perfekt ist er auch beim Staatsorchester, 2:1.
Dann der Vierte Satz der Vierten, und da scheint es noch einmal auf, dass von Pjotr aufgenommene Volkslied, dass ich immer dann im Kopf habe, wenn es mir nicht so gutgeht, auch ein Trost?
Dass man aber diese Bataille hören durfte – größtes Privileg?
Harald Nicolas Stazol, 7. November 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at