Triumphaler Schostakowitsch-Abend mit Valery Gergiev – Teil 1

Gastspiel Mariinski Orchester St. Petersburg, Valery Gergiev,  Konzerthaus Wien, Teil 1, 12. Dezember 2021

Foto: Valery Gergiev, (c) Marco Borggreve

Konzerthaus Wien, Großer Saal, 12. Dezember 2021

Mariinski Orchester St. Petersburg
Valery Gergiev Dirigent

Denis Matsuev  Klavier

Dmitri Schostakowitsch:
Symphonie Nr. 1 in f-moll op. 10
Konzert für Klavier und Orchester in F-Dur op. 102

Symphonie Nr. 4 in c-moll op. 43

von Herbert Hiess

Valery Gergiev und sein Mariinski-Orchester sind eigentlich ein Blue-Chip, wie man in der Aktionärssprache sagt. Also kurz gesagt ein Garant für Sternstunden. Insbesondere für das russische Repertoire. Der mittlerweile 68-jährige russische Maestro und Karajanpreisträger (2006) ist ein Weltklassedirigent, der nicht nur jedes Mal sein hohes Niveau beweist, sondern sich selbst oft übertrifft.

So auch an diesem ersten Abend des dreitägigen Schostakowitsch-Gastspiels im Wiener Konzerthaus. Hier wurde mit der ersten Symphonie ein Frühwerk des 18jährigen Komponisten mit zwei späteren Werken gekoppelt. Schon in der ersten Symphonie zeigte der Glasunow-Schüler, was in ihm steckt. Orchestermäßig neigt er natürlich zur Monumentalität; in dieser ersten Symphonie hört man bereits seine große Kunst der Instrumentation. Und man hört auch sein Abwenden von der klassischen Formenlehre. Absichtlich verliert er sich in eine gewisse „Formlosigkeit“ und reiht Sequenzen und Themen aneinander. Aber seine grandiosen Übergänge fügen dann die Werke wieder zu einem beeindruckenden Ganzen.Nach dieser ersten Symphonie brillierte Gergievs Lieblingspianist Daniel Matsuev mit dem 2. Klavierkonzert in F-Dur. Das Konzert, das der Komponist zum 19. Geburtstag seines Sohnes Maxim komponierte, ist fast intim instrumentiert. Mit einer fröhlichen Einleitung wird auch dieser Charakter des großartigen Konzertes vorgestellt, das für den Pianisten geradezu ein „Hammer“ ist. Mit äußerst komplizierten Akkorden und Läufen ist das für den einzigartigen Denis Matsuev geradezu eine Herausforderung. Der Pianist ist aber nicht nur technisch brillant; im lyrischen zweiten Satz (Andante) kostete er jede Note aus, um im dritten Satz wieder virtuos aufzutrumpfen und den verdienten Applaus zu empfangen. Als Zugabe konnte man bei „The Music Box“ des Russen Anatol Konstantinovitch Liadov wieder die grandiose Musikalität des Pianisten bewundern, der in sphärischen Klängen bei dem sehr an Schubert erinnernden Stück schwelgte.

Gergiev war bei diesem Klavierkonzert mehr als ein „Begleiter“. Mit dem großartigen russischen Ensemble ließ er die Weltklasse des Orchesters hören. Und das bewiesen die Musiker dann bei der 4. Symphonie. Dieser symphonische Koloss mit einer Riesenbesetzung ( 8 Hörner!) ist ein Werk, das seinesgleichen sucht. Das dreisätzige Stück mit zwei „Monstersätzen“ am Beginn und Ende ist ein Gesamtkunstwerk der Instrumentation und des musikalischen Einfallsreichtums. Unglaublich die Präzision des Orchesters bei den schwierigsten Passagen (vor allem die Fugati im dritten Satz), Schostakowitsch zitiert da in den Marschrhythmen vieler Komponisten. Zweimal sogar Bizets Vorspiel zu „Carmen“. Dieser dritte Satz endet mit einer triumphalen Marsch-Sequenz in strahlendem Dur. Dieser Marsch wird dann immer leiser, um in fast unhörbarem c-Moll zu enden. Fast ängstlich begleitet die Celesta diesen Schluss mit Akkordzerlegungen. Man fühlt sich direkt in die Musik zu „Akte X“ hineinversetzt. Übrigens hat man bei diesem Marsch in der im Mai 1936 vervollständigten Symphonie fast den Eindruck, dass Schostakowitsch schon den Russlandfeldzug Hitlers hier antizipierte – eine Vorahnung?

Die Symphonie sollte 1936 uraufgeführt werden, ist dann aber unter mysteriösen Umständen von Schostakowitsch zurückgezogen und in den folgenden 25 Jahren verschollen. Die tatsächliche Uraufführung fand erst 1961 statt. Diese Umstände zusammen mit dem (vermutlich aus Stalins Umfeld stammenden) Artikel „Chaos statt Musik“, der Schostakowitsch beim Komponieren dieser Symphonie in Ungnade (manche sagen sogar, in direkte Lebensgefahr) gestürzt haben soll, machen die gesamte Sagenbildung rund um diese Symphonie aus

Herbert Hiess, 12. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 9 in D-Dur, Franz Weiser-Möst, Musikverein Wien, 5. Dezember 2021

Alfredo Catalani, La Wally, Dirigent: Andrés Orozco-Estrada, Wiener Symphoniker Theater an der Wien, 19. November 2021

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