Große Oper im Bayerischen Staatstheater: Tosca sorgt für Glückshormone in politisch dramatischen Zeiten

Giacomo Puccini, Tosca,  Nationaltheater  Bayerische Staatsoper München, Donnerstag, 24. Februar 2022

Foto: 2022 Tosca – P. Beczała, S. Hernández – © W. Hösl

Nationaltheater 
Bayerische Staatsoper München, Donnerstag, 24. Februar 2022

TOSCA

Melodramma in drei Akten – 1900

Komponist Giacomo Puccini. Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Drama „La Tosca“ von Victorien Sardou.

von Dr. Petra Spelzhaus

Europa erlebt dunkle Stunden. Es ist der Tag des Angriffs Russlands auf die Ukraine. Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend und Beklemmungen im Brustkorb betrete ich die Bayerische Staatsoper. Es plagt mich ein wenig ein schlechtes Gewissen, ich vergnüge mich, während 1.000 km von uns entfernt die Bomben fliegen. Das versuche ich für zweieinhalb Stunden zu verdrängen.

Puccinis Tosca spielt in ähnlich unruhigen Zeiten. Im Juni 1800 haben in der Schlacht bei Marengo zunächst die österreichischen die französischen Truppen zurückgedrängt, was im ersten Akt gefeiert wird. Später wird im 2. Akt der Sieg Napoleons verkündet.

In der römischen Kirche Sant’Andrea della Valle arbeitet der Maler Cavaradossi an einem Altarbild, während der politische Gefangene Angelotti dort Zuflucht findet. Der durchtriebene Polizeichef Baron Scarpia riecht Lunte. Angelotti wird bei seiner weiteren Flucht entdeckt und nimmt sich das Leben. Der inzwischen von Scarpia gefangen genommene, gefolterte und zum Tode verurteilte Cavaradossi dient als Köder Scarpias, um dessen Geliebte, die Opernsängerin Tosca, zu einem Stelldichein zu bewegen. Diese stimmt zum Schein zu und ersticht den Despoten. Nachdem Cavaradossi erschossen wurde, stürzt sich Tosca von der Engelsburg in den Tod.

Die Sänger präsentieren sich in Höchstform. Die aus Spanien stammende Darstellerin der Tosca, Saioa Hernández, überzeugt als emotional Liebende und wütende Furie. Ihr fließender dichter Sopran mit angenehmem Timbre in der Tiefe entwickelt in den dramatischen Szenen eine silber-metallene Färbung in den Höhen. Für ihre leidenschaftlich vorgetragene Arie „Vissi d’arte“ erhält sie kräftigsten Szenenapplaus.

2022 Tosca – P. Beczała – © W. Hösl

Mario Cavaradossi wird von einem Weltstar interpretiert. Der polnisch-schweizerische Tenor Piotr Beczała hat eine Stimme wie Champagner, prickelnd, federleicht und zugleich kraftvoll. Er gleitet elegant durch sämtliche Register und strahlt in der Höhe. Seine Arie „E lucevan le stelle“ ist emotional derart aufrührend, dass sie mir die Tränen in die Augen treibt. Zurecht wird er vom Publikum gefeiert.

2022 Tosca – S. Hernández, A. Maestri – © W. Hösl

Besonders gespannt war ich auf Ambrogio Maestri als Scarpia, kannte ich ihn bisher nur aus seinen Buffo-Rollen Fallstaff und Fra Melitone. Kann dieser gemütliche und sympathische Darsteller aus Puccinis Heimatland auch bitterböse Rollen singen? Er kann. Er interpretiert den römischen Polizeichef stattlich, diabolisch und lüstern. Sein voluminöser, sonorer Bariton begeistert mich jedes Mal aufs Neue. Gemeinsam mit Beczała und Hernández entstehen hochdramatische Gesangsszenen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich gefreut habe, Maestri beim brandenden Schlussapplaus wieder mit seinem gewinnbringenden Lachen zu erleben.

2022 Tosca – K. Conners, P. Beczała – © W. Hösl

Zusammen mit den ebenfalls überzeugenden Darstellungen der übrigen Rollen – herauszuheben sind hier Martin Snell als Mesner und Kevin Conners als Spoletta – und den in der „Tosca“ nicht ganz so im Mittelpunkt stehenden Chören zeigt sich ein Kollektiv wie aus einem Guss.

Einen entscheidenden Anteil daran trägt der aus Mailand stammende und an den größten Opernhäusern der Welt schaffende musikalische Leiter Carlo Rizzi, der nach über 20 Jahren Abstinenz wieder am Dirigentenpult der Bayerischen Staatsoper steht. Er setzt die Sänger gekonnt in Szene. Vom dramatischen Beginn der Ouvertüre mit dem Scarpia-Motiv bis zum Verklingen des letzten Tons im 3. Akt agiert das Orchester in Höchstform, zeigt sich dynamisch, variabel und bildet so einen soundstarken Klangteppich für den Gesang. Die Instrumentalpassagen erinnern an große Filmmusik. Maestro Rizzi dirigiert leidenschaftlich mit fließenden expressiven Bewegungen, erweckt das Gefühl, im Orchestergraben mit den Protagonisten zu lieben und zu leiden. Bravo!

Da fällt es auch nicht groß ins Gewicht, dass die mittlerweile 12 Jahre alte Inszenierung des 2015 verstorbenen Schweizer Regisseurs Luc Bondy eher traditionell und wenig spektakulär daherkommt. Die Bühnenbilder und Kostüme sind schön, die Lichtregie einfallsreich. Eindrücklich umgesetzt ist die Szene im Palazzo Farnese, als Scarpia auf seinem roten Sofa von der Operndiva in ebenso blutrotem Kleid „Il bacio di Tosca“ (den Kuss der Tosca) in Form des tödlichen Messerstichs empfängt. Die Inszenierung drängt sich nicht in den Vordergrund und lenkt nicht von den wunderbaren Stimmen ab.

Das Publikum belohnt die Aufführung mit Beifallstürmen und stampfenden Füßen. Ich habe für den Moment das flaue Gefühl meiner Magengegend verloren. Menschen können grausam sein, siehe die fiktive Figur des Scarpia und die realen Kriegstreiber im Osten Europas. Aber Menschen können auch wahrhaft großartige Dinge erschaffen, insbesondere in der Kunst und Kultur. Puccini hat uns traumhafte Musik hinterlassen, die die Sänger und Musikerinnen in vollendeter Weise interpretiert haben. Kunst und Musik verbindet Menschen aus aller Welt und erfüllt uns mit Glückshormonen, von denen wir auch an diesem Abend profitiert haben. Hoffen wir, dass diese wundervollen menschlichen Qualitäten wieder ganz schnell in den Vordergrund rücken.

Dr. Petra Spelzhaus, 26. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung Carlo Rizzi
Inszenierung Luc Bondy
Bühne Richard Peduzzi
Kostüme Milena Canonero
Licht Michael Bauer
Chöre Stellario Fagone
Floria Tosca Saioa Hernández
Mario Cavaradossi Piotr Beczała
Baron Scarpia Ambrogio Maestri
Cesare Angelotti Bálint Szabó
Der Mesner Martin Snell
Spoletta Kevin Conners
Sciarrone Christian Rieger
Ein Gefängniswärter Andrew Gilstrap
Stimme eines Hirten Solist/en des Tölzer Knabenchors
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor und Kinderchor der Bayerischen Staatsoper

Gioachino Rossini, IL TURCO IN ITALIA, Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 9. Februar 2022

Das schlaue Füchslein von Leoš Janáček Bayerische Staatsoper, München, 30. Januar 2022

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