Philippe Jordan © Johannes Ifkovits
WDR Sinfonieorchester
Philippe Jordan, Dirigent
Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 8 in c-Moll WAB 108
Kölner Philharmonie, 20. Dezember 2024
von Daniel Janz
Zum Jahresende wollen sie es also doch noch einmal wissen! Mit Anton Bruckner stellt sich das WDR Sinfonieorchester unter dem Gastdirigenten Philippe Jordan (50) aus Zürich einem der größten Sinfoniker deutsch-österreichischer Tradition. Passend zu dessen 200. Geburtstag widmet sich das Traditionsensemble am Rhein der 8. Sinfonie des Linzer Organisten und Komponisten. Dabei sorgen sie in ihrer vielleicht besten Leistung dieses Jahres für eine Aufführung, die wohl lange nachhallen wird!
Man darf diese achte Sinfonie von Anton Bruckner aber auch nicht unterschätzen! Als direkter Nachfolger seiner siebten Sinfonie folgte dem zu Lebzeiten des Komponisten ersten durchschlagenden Publikumserfolg mit diesem Werk zunächst eine quälende Lebensphase. Auf ein Negativfeedback von Hermann Levi zog Bruckner sich kurz nach Fertigstellung dieser Sinfonie zurück, überarbeitete sie zusammen mit seiner dritten und vierten und nahm dabei teilweise gravierende Änderungen vor. Heraus kam jene zweite Fassung, die auch heute zu hören ist.
Die Kölner Philharmonie wird zur Klangkathedrale
Und diese Fassung stellt ein Werk von monumentaler Tragweite dar. Schon der erste Satz lässt sich zur Entwicklung eines Themas viel Zeit. Als das dann aber da ist, donnert es im Chor aus Trompeten, Posaunen und 9 Hörnern derart mächtig hervor, dass die Gänsehaut sich gar nicht mehr legen will. Hier findet musikalische Epik statt! Bruckner selbst erklärte, er hätte sich mit der Botschaft des nahenden Todes befasst und der Satz würde in Akzeptanz dessen enden. Wie ein Sterbender, der auf dem Bett liegt, während die Uhr an der Wand unverändert vor sich hin tickt.
Warum er dieses Werk später Franz Joseph I. von Österreich widmete, erschließt sich zwar nicht aus diesem Programm, wird aber im Verlauf der Sinfonie deutlich. Geprägt wird sie besonders durch die prächtigen Bläser und Fanfarenmotive. Mal donnert das volle Blech in krasser Klanggegenwärtigkeit zu den strahlenden Figuren in Violinen und Holzbläsern los und bringt den ganzen Saal zum Beben. Dann bilden die Wagnertuben einen feierlichen Kontrast, oder die drei Harfen (bei Bruckner ein Novum) sorgen mit ihren seltenen Klangeinwürfen für fast meditative Ruhe. Und die 2 Beckenschläge mit Triangel im dritten Satz stellen glorreiche Höhepunkte dar. Wahnsinn, was dieser Komponist an Eindrücken aus dem Orchester herausgeholt hat.
Was das WDR Sinfonieorchester heute daraus macht, ist eine Glanzleistung. Trotz enormer Anforderungen vor allem ans Blech, sitzt hier vom Anfang bis zum Ende alles wie aus einem Guss. Zentral erscheinen die mit 9 Spielern üppig besetzten Hörner. In den ersten Tönen zu Satz 1 müssen sie sich zwar noch finden, spätestens im ersten Tutti sind sie dann aber voll da und bis zum Ende eine tragende Säule.
Unterstrichen wird ihr majestätisches Spiel durch durchgängig starke Trompeten sowie Posaunen und Tuba, die bis ans Äußerste gehen und für ein fast rauschhaftes Klangspektakel sorgen. Die Streicher führen mal wunderbar flirrend, mal elegisch sanft durch diese über 70 Minuten Musik. Vom Holz kommen zarte Begleitfiguren und brillante Melodien, besonders die erste Klarinette kann mit sensiblen Soli entzücken. Und die Pauke wird zum Fundament, das alles trägt. Einfach nur Spitze!
Ebenso hohes Lob gebührt auch dem Dirigenten. Mit Philippe Jordan (50) gibt sich heute der zukünftige Leiter des Orchestre National de France die Ehre. Und seine Körpersprache vermittelt von Anfang an Kontrolle. Mit Überblick setzt er deutliche Akzente, stachelt die Musiker immer wieder zu Höchstleistungen an und sorgt so für ein wahres Spektakel. Spannend auch, wie er im langsamen, dritten Satz die Bögen zieht und so einen für dieses Werk ungewöhnlichen Fluss schafft. Da passt alles!
Orchester hui, Publikum pfui!
Das beeindruckende Spiel auf der Bühne tröstet heute auch darüber hinweg, dass der Rezensent mit seinem Sitzplatz diesmal wenig Glück hatte. Der Sitznachbar, der „Pflege“ als Bad im Aftershave versteht, der klingelnde Handywecker, ständige Knistergeräusche von Hustenbonbons, die man unbedingt an den ruhigsten Stellen der Sinfonie einwerfen muss, der verkannte Moderator, der jede noch so kleine Bewegung auf der Bühne in Echtzeit lauthals kommentieren muss… an diesem Abend hat man sie wirklich alle noch einmal alle beisammen! Bei so einem Anti-Publikum wird es stellenweise zur Herausforderung, sich noch auf die Musik zu konzentrieren.
Es spricht für die Leistung von Orchester und Dirigent, dass am Ende die positiven Eindrücke überwiegen. In Summe ergriff die Aufführung so sehr, dass es wundert, warum sich nach dem glorreichen Finale nur der halbe Saal aufrichtet, um den Künstlern verdient Beifall und Bravorufe zu zollen. Ob die andere Publikumshälfte wohl durch die ständigen Störungen die schönsten Stellen verpasst hat? Etwas mehr Ehrfurcht vor der Musik könnte jedenfalls ein guter Vorsatz für das Jahr 2025 sein!
Orchester und Dirigent haben das heute eingelöst. Denn mit dieser Darbietung hinterlassen sie ein fast perfektes Weihnachtsgeschenk. So gut würde man das WDR Sinfonieorchester gerne wieder häufiger hören. Vielleicht ist das ja ihr Vorsatz für das neue Jahr? Das heutige Konzert hat jedenfalls einen beeindruckenden Vorgeschmack auf das gegeben, worauf man auch bei zukünftigen Vorstellungen hoffen kann.
Der Live-Mitschnitt zu diesem Konzert kann noch bis zum 19.1.2025 auf der Homepage des WDR Sinfonieorchesters angehört werden.
Daniel Janz, 21. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Klaus Mäkelä, Dirigent Kölner Philharmonie, 18. Dezember 2024
Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 8 c-Moll Konzerthaus Dortmund, 24. November 2024
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