Pathys Stehplatz (19) - Antonello Manacorda: So sollte "Don Giovanni" nicht mehr klingen

Philippe Sly und Kyle Ketelsen in »Don Giovanni« © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart

Barrie Kosky, Inszenierung
Antonello Manacorda, Musikalische Leitung

Wiener Staatsoper, 1. Februar 2023

von Jürgen Pathy

So langweilig kann Mozart klingen. Bereits nach den ersten Takten war klar, das wird sich ziehen wie Kaugummi. Das zu „überstehen“ wird eine Herausforderung – nicht die einzige vielleicht, die größte aber bestimmt. Mit so einem Gedanken bereits bei der Ouvertüre von Mozarts „Don Giovanni“ konfrontiert zu sein, sollte heutzutage eigentlich nicht mehr passieren. Viele Dirigenten beweisen das Gegenteil. Antonello Manacorda schafft es leider nicht. An der Wiener Staatsoper leidet die ganze Inszenierung an seiner Auslegung der Partitur. „Pathys Stehplatz (19): Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart
Wiener Staatsoper, 1. Februar 2023“
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Pathys Stehplatz (18) – Friedrich Gulda: Ein Unangepasster in einem angepassten System

Foto: Friedrich Gulda – Ein Leben für die Musik, Portrait – Bilder und Texte von Ursula Anders (c)

Vor 23 Jahren, am 27. Januar 2000, ist Friedrich Gulda in Steinbach am Attersee verstorben. Am gleichen Tag, an dem Mozart geboren wurde. Ein Versuch, meine ambivalenten Gedanken zu diesem einzigartigen Musiker, Pianisten und Komponisten zu ordnen.

von Jürgen Pathy

„Der Gulda, das war der Größte“, erzählen mir viele und geraten dabei nicht selten ins Schwärmen. Beethoven, Bach oder Mozart. Auf die Frage, wer denn da so das Nonplusultra sei, fällt einfach oft nur sein Name – der Gulda sei’s. Der habe den Ton da so getroffen, wie man sich das vorstelle. Das mal vorweg erwähnt. Nur um festzuhalten, welchen Stellenwert Friedrich Gulda noch immer genießt, dieser exzentrische Musiker, der im Wien der Zwischenkriegszeit aufgewachsen ist. Mein Verhältnis zum Pianisten hingegen ist etwas ambivalent.

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klassik-begeistert.de, 29. Januar 2023“
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Pathys Stehplatz (17) – Zwischen Tyrannei, Regietheater und Tradition: Staatsoperndirektor Bogdan Roščić lotet in Wien die Grenzen aus

Foto: Bogdan Roščić ©

von Jürgen Pathy

Wenn das Wort Regietheater fällt, stellt es vielen die Zehennägel auf. Drehende Bühnen, vor lauter Symbolik kaum zu entschlüsselnde Sujets und als Höhepunkt der Entgleisungen: Ein Lohengrin, der ohne Schwan in Brabant auftaucht. Hätten viele vor Jahrzehnten kaum für möglich gehalten. Seit den 1980er Jahren ist alles anders. Da hatte sich das Wort „Regietheater“ bereits etabliert.

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klassik-begeistert.de, 17. Januar 2023“
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Pathys Stehplatz (16) – Philippe Jordans vermeintlicher Zwist mit den Wiener Philharmonikern: Beim „Rosenkavalier" ist davon nichts zu spüren

Foto: Philippe Jordan © Johannes Ifkovits

von Jürgen Pathy

Zu meiner Schande, ich gebe es zu: Ich hab den „Rosenkavalier“ noch nie zuvor gesehen. Der Grund ist ganz einfach – weil die „Salome“ oder eine „Elektra“ eher meinen Geschmack zu treffen scheinen. Ein Irrtum, wie sich nun herausstellen sollte. An der Wiener Staatsoper hat ein Staraufgebot für volle Reihen gesorgt. Meister im Graben: Philippe Jordan, der, seitdem er angezählt ist, das Publikum mit absoluter Mehrheit hinter sich zu scharen weiß. 2025 verlässt Jordan die Wiener Staatsoper. Sein Vertrag als Musikdirektor wurde nicht verlängert.

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Pathys Stehplatz (15) – Wer in Wien untergeht, herrscht eben woanders: John Lundgren als Wotan

Foto: John Lundgren © Moklos Szabo

von Jürgen Pathy

Der Star sitzt im Graben. Nachdem sich der Ring-Zyklus letzten Sonntag fulminant zu Ende geneigt hat, ist wieder eines klar geworden: Wer an der Wiener Staatsoper reüssieren will, der muss sich mit dem Staatsopernorchester arrangieren. Eine Sache der Konstitution und Erfahrung. Dass man diese Routine nicht über Nacht erlangt, musste selbst Lise Davidsen erkennen – wenn auch nicht in der Art und Weise wie der gescholtene Herrscher von Walhall.

Wien ist anders

Das merkt man nicht nur daran, dass man den Kellner im Kaffeehaus noch immer mit „Herr Ober, bitte zahlen“ zum Tisch ordert. Oder, dass einem in der Millionenstadt noch immer der Flair eines Dorfes entgegenweht. An jeder Ecke der viel zitierten Musikhauptstadt trifft man auf Personen, deren Wege man schon lange nicht mehr gekreuzt hat. Auch an der Wiener Staatsoper herrschen eigene Gesetze.

Da wäre zum einen das enorm kritische und fachkundige Publikum, das sich regelmäßig auf den Stehplätzen versammelt. Kaum eine Vorstellung, die man nicht mit Argusaugen verfolgt und in den Pausen bis ins kleinste Detail zerlegt und kritisiert. Dabei geht man teilweise hart ins Gericht.

Wie oft habe ich schon gehört, dass eine Aufführung schrecklich sei, zum Vergessen – generell sei überhaupt alles schlecht. Seit Roščić das Ruder übernommen hat, sowieso. Dennoch steht der Herr, vermutlich um die 60, immer wieder in der Schlange. Meist schon Stunden vorher, um die besten Plätze auf der Stehplatzgalerie zu ergattern. Bei Wagner spitzt sich das alles noch zu.

„Pathys Stehplatz (15): John Lundgren als Wotan in Wien
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Pathys Stehplatz (14): Axel Brüggemann rüttelt am Currentzis-Bollwerk

Foto: Teodor Currentzis © Nadia Rosenberg

von Jürgen Pathy

Keine einfachen Zeiten. Wie auch anderen russischen Klassikstars weht Teodor Currentzis zurzeit ein eisiger Wind entgegen. Dem Klassikrebellen, wie man ihn gerne nennt, wirft man folgendes vor: Er und sein eigens gegründetes Orchester musicAeterna werden von einer russischen Bank finanziert, die von den aktuellen Sanktionen der EU betroffen ist. Deshalb fordern einige, Currentzis müsse sich öffentlich von Putin distanzieren. Hat er bislang nicht. Das schlägt teils große Wogen.

Korrelation bedingt noch keine Kausalität

Da wären zum einen die Zuschauerzahlen. Ob und wie diese mit den Entwicklungen in Russland zusammenhängen, lässt sich zwar nicht nachvollziehen, der Verdacht darf allerdings oder muss sogar gehegt werden. Normalerweise gehen Currentzis-Karten weg wie warme Semmeln – und zwar im Vorfeld, teils Tage oder Wochen zuvor. Aktuell sieht die Lage anders aus.

Blickt man Montagabend hinunter ins Parkett des Wiener Konzerthauses, sticht nämlich eines hervor – teils erhebliche Lücken in den Zuschauerreihen. Für Currentzis-Verhältnisse ein Novum. Zumindest im Wiener Konzerthaus, wo seine Konzerte sonst immer ausverkauft waren. Hier gastiere der polarisierende Pultstar am Montag mit dem SWR Symphonieorchester, das er seit 2018 als Chefdirigent leitet.

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Pathys Stehplatz (13): Leere Ränge in der Wiener Staatsoper

La Cenerentola 2, 10. Januar 2022, Wiener Staatsoper/Foto: © privat

An der Wiener Staatsoper kämpft man aktuell mit enorm geringen Auslastungszahlen. Mit Corona ist natürlich schnell ein Schuldiger gefunden. Dennoch muss man sich den Umständen stellen und neue Lösungsansätze probieren.

von Jürgen Pathy

Ein Anblick, der wirklich schmerzt. Was man sich vor wenigen Jahren nicht Mal in den schlimmsten Träumen hätte vorstellen können, scheint nun Realität: Es ist Montagabend, 10. Januar 2022, kurz vor 19:00, an der Wiener Staatsoper steht „La Cenerentola“ am Programm – Rossinis Belcanto-Feuerwerk, das mit akrobatischen Gesangseinlagen lockt – und keiner geht hin. Mit geschätzten 300 Besuchern herrscht in einem der bedeutendsten Opernhäuser dieser Welt gähnende Leere.

Einige Besucher wollen einfach nicht mehr

Wie es dazu kommen konnte, mag für viele auf der Hand liegen: Corona ist schuld. Immerhin gelten seit 26. Dezember 2021 nicht nur die bereits gewohnten Beschränkungen wie FFP2-Maske und 2G, sondern eine extrem verschärfte 3G-plus-Regelung. Heißt so viel wie: 3 Mal geimpft, FFP2-Maske und oben d’rauf noch ein negativer PCR-Test, der zum Zeitpunkt des Vorstellungsendes nicht älter als 48 Stunden sein darf. Sonst gibt es keinen Einlass. Es zählt der Zeitpunkt der Abnahme. „Booster“ oder „Booster-Plus“ nennen das einige, manche sogar „1G plus“. Ein grammatikalisches Wirr-Warr, bei dem man schnell einmal den Überblick verlieren kann.

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Pathys Stehplatz (12) – Premiere von „Don Giovanni" an der Wiener Staatsoper – Worin liegen Barrie Koskys Stärken?

Foto: © Michael Pöhn

Wiener Staatsoper, 6. Dezember 2021
Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni,

von Jürgen Pathy

Eigentlich wollte ich nichts schreiben zur Premiere vom Wiener „Don Giovanni“. Allerdings fällt es mir schwer, die Finger ruhig zu halten. Das hat zwei Gründe: Erstens die unterschiedlichen Rezensionen, die ich gelesen habe. Zweitens: Das Interesse, wieso Barrie Kosky teilweise so gefeiert wird. „Kritik“, im herkömmlichen Sinn, soll es allerdings keine werden. Dazu hätte ich den kompletten Stream von Anfang bis Ende verfolgen müssen. Daran scheitert es bereits. Das liegt aber nicht daran, dass Koskys Inszenierung mich ziemlich kaltgelassen hat, sondern generell am Umstand der Livestreams, denen ich nichts abgewinnen kann.

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Pathys Stehplatz (11): Der Typus des Konzertbesuchers

Foto: © Beethoven Orchester Bonn

von Jürgen Pathy

Wie unterschiedlich Meinungen und Eindrücke doch sein können. Wenn ich gewisse Kritiken lese, überfällt mich ab und zu der Gedanke: Irgendetwas ist faul im Staate Dänemark. Soll heißen: Irgendetwas stimmt hier nicht! Wie sonst, sollte es rational zu erklären sein, dass die Meinung derart konträr zu eigenen ausfällt. Überhaupt bei Konzerten oder Opern, denen ich selbst beigewohnt habe. Natürlich könnte ich es mit fehlendem Urteilsvermögen abtun, was allerdings ziemlich arrogant wäre. Nach längeren Überlegungen, bin ich also zum Entschluss gelangt, die Ursache wurzelt viel tiefer: Jeder, der ein Konzert besucht, sucht etwas anderes…

Der Fehlerteufel

Es gibt Konzertbesucher, die definieren Qualität rein an der Technik. Besser gesagt daran, ob technisch alles perfekt gesessen hat. Fehler, wenn man die überhaupt so nennen darf, akzeptieren und verzeihen sie nicht. Wer Noten regelmäßig um Achtel– oder Viertelwerte verfehlt, der hat verspielt. Da ist der Fehlerteufel gnadenlos.

Dabei sollte man natürlich achtgeben, wie man Fehler definiert. Ein Freund meint, bei professionellen Vollblutmusikern, vor allem bei Opernsängern, die ihre Partien intelligent wählen und auf dem höchsten Niveau singen, passieren während der Vorstellung keine Fehler. Er würde es eher als „Ausrutscher“ oder „Patzer“ bezeichnen. Eine Leistung nur danach zu beurteilen, sei viel zu kurzsichtig. Ausdruck und Gestaltung einer Partie seien mindestens genauso relevant.

Fehler würden überhaupt nur im Vorfeld passieren. Bei der Besetzung einer Partie. Wem man diesen Fehler allerdings ankreiden möchte, bleibt reine Spekulation. Intelligente Sänger würden sich von ihren Managern nicht in Partien manövrieren lassen, die ihrer Stimme, ihrem Charakter nicht entsprechen oder sie gar schädigen könnten. Ob das heutzutage allerdings so einfach ist, wage ich zu bezweifeln. An jeder Ecke lauert die Konkurrenz. Wer als Newcomer zu oft absagt, der könnte schnell ins Hintertreffen gelangen. Und nicht nur als solcher – auch etablierte Sänger sind nicht davor gefeit, allzu schnell am Abstellgleis zu landen.

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Pathys Stehplatz (10) – Wiener Staatsoper: Starke Stimmen tragen das grenzwertige Regiekonzept

Foto: © Michael Pöhn

Wiener Staatsoper, 4. Oktober 2021
Gioachino Rossini, Il barbiere di Siviglia

von Jürgen Pathy

Es ist gelungen!

„Der Versuch aus der Sache ein Fest zu machen“, wie Herbert Fritsch seine Regie beschreibt, hat in Wien eingeschlagen wie eine Bombe. Am Ende tobt das Haus. Dabei hat der deutsche Regisseur, der mit dem „Barbier von Sevilla“ an der Wiener Staatsoper seinen Einstand feiert, schon ziemlich an der Grenze der Geschmacklosigkeit gekratzt. Premiere war bereits am 28. September, am Montag folgte die dritte Vorstellung.

Schuster bleib bei deinen Leisten

Was sofort ins Auge sticht, wenn man von der Galerie des Hauses ehrfürchtig hinunterblickt: Im Gegensatz zu vielen Opern des Repertoires, vor allem Wagner und Strauss, kleidet den Orchestergraben eine ziemlich kleine Besetzung. Rund zwei Dutzend Geigen, eine Handvoll Bratschen – allesamt links vom Pult platziert. Vier Bässe, vier Celli davor. Dazu gesellen sich auf der anderen Seite die Holzbläser und ein Mindestmaß an Blechbläsern. Michele Mariotti weiß auch mit der kleinen Partie, angeführt von Konzertmeisterin Albena Danailova, ordentlich einzuheizen. Gerade so viel, um den Star der Produktion allerdings noch auf Händen zu tragen.

Juan Diego Flórez begeistert als Graf Almaviva mal wieder mit akrobatischer Belcanto-Kunst. Nachdem er im April des Jahres  einen Ausflug in dramatischere Gefilde („Faust“, Charles Gounod) gewagt hatte, ist der „Barbiere“ eine Rückkehr ins Repertoire, das vor rund zwanzig Jahren seinen Ruhm begründete. Spitzentöne, Koloraturen und virtuose Verzierungen sind eindeutig seine musikalische Heimat. Und der Clou bei der ganzen Sache: Alles wirkt so spielerisch. Selbst wenn die Anfangsarie im hohen Register noch etwas zerbrechlich wirkt, nach der Schlussarie steht das Haus am Kopf. Immerhin zählt der gebürtige Peruaner, der in Wien lebt, zu den wenigen, die selbst da noch in der Lage sind, die hohen Töne zu treffen und grazile Verzierungen zu schwingen. „Pathys Stehplatz(10): Gioachino Rossini, Il barbiere di Siviglia,
Wiener Staatsoper, 04. Oktober 2021“
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