Der Römer International Opera Choir trotzt dem Virus mit "Nabucco" virtuell

„Va pensiero“ auf „Goldenen Schwingen“ im Cyberspace

Oper nur auf CD, YouTube oder im Stream. Konzerte ebenso.
Viele Klassik-Begeisterte sehnen sich nach packenden, berührenden Klassik-Erlebnissen. Klassik-begeistert.de bringt deshalb Impressionen von Autorinnen und Autoren, die unsere Leserinnen und Leser am meisten berührt haben. Teil 7: Giuseppe Verdi, Nabucco.

von Charles E. Ritterband

Aus Italien, wo die Zahl der Covid 19-Todesopfer täglich ansteigt und mittlerweile die Schwelle von 10 000 Verstorbenen überschritten wurde, erreichen uns nicht nur Schreckensnachrichten. Durch die sozialen Medien schwirren  unzählige, mit tiefschwarzem Galgenhumor angereicherte Karikaturen und Videos; eine besondere Spielart von Kreativität feiert Urständ: Lachen vor einer Kulisse absoluten Horrors. Es zirkulieren Video-Clips von jungen Männern, die einander mit geschickten Tennis-Spielen von Fenster zu Fenster die Einsamkeit vertreiben. Und aus Italien stammt auch die hübsche Idee der Ständchen für die Nachbarn auf Balkonen und in Fenstern. So wird in dem am härtesten von der Pandemie getroffenen Land Europas dem Virus in vielfältiger Weise die Stirn geboten.

International Opera Choir

Am beeindruckendsten geschah dies in Rom. Eine einzigartige Idee hat in Rom der International Opera Choir realisiert: „Va, pensiero“, der Gefangenenchor aus der Oper „Nabucco“ als virtuelles Puzzle: Der Dirigent Giovanni Mirabile, ließ jedes Mitglied dieses Chores jeweils bei sich zu Hause, in der staatlich verordneten „Selbstisolation“, die eigene Stimme auf Smartphone aufnehmen. Mit einer ausgefeilten Montagetechnik wurden diese individuellen Beiträge dann zusammengeschnitten und mit der entsprechenden Orchester-Einspielung zu einem Ganzen kombiniert. „Ritterbands Klassikwelt 11: „Va pensiero“ im Cyberspace statt auf „Goldenen Schwingen““ weiterlesen

Ritterbands Klassikwelt 10: "Alles Virus!" – Tod und Musik

Dieser Beitrag von Autor Dr. Charles E. Ritterband (Isle of Wight) erschien zuerst bei klassik-begeistert.de am 19. März 2020. Einen Tag später erschien er online im Feuilleton einer der wichtigsten Zeitungen der westlichen Hemnisphäre: der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Wir bringen ihn deshalb noch einmal.

https://www.nzz.ch/feuilleton/alles-virus-opern-als-therapie-und-krankheitsgeschichte-ld.1547627

Jeder von uns ist irgendwie von der Corona-Krise betroffen. Mir folgte die Virus-Welle wie ein Gespenst. Es begann damit, dass ich fünf Opern in vier italienischen Städten – Mailand, Venedig, Bologna, Turin – anschaute und für klassik-begeistert.de rezensierte. In Venedig, wo gerade der Karneval dem Höhepunkt entgegenstrebte, herrschte bei strahlendem Sonnenschein fröhliches Maskentreiben. Ich sah dort „Elisir d’Amore“ – nach meiner Abreise schloss das Teatro La Fenice die Tore. Kurz darauf war ich an der Scala, „Turco in Italia“. Hinter mir schlossen sich die Tore des weltberühmten Opernhauses. Letzte Woche war ich in der Wiener Staatsoper: „Turandot“. Es sollte die letzte Vorstellung des Hauses am Ring sein … wohl für lange Zeit.

… So haben der Hauch des Todes, die Angst und die allgemeine Ungewissheit angesichts der rasend schnellen Verbreitung des Virus einen auf den ersten Blick unerwarteten Effekt: Es verstummt nicht die Musik, es breitet sich nicht tödliche Stille über die Welt.

von Charles E. Ritterband

„Alles Walzer!“ – noch haben wir ihn im Ohr, den rituellen Ruf an jedem der zahllosen Wiener Bälle, der, nach den Darbietungen der Debütantenpaare und der Balletttänzer, die Tanzfläche für das Publikum öffnet: Mit einem Walzer, vorzugsweise dem Donauwalzer. Längst sind die Tanzparkette leer, und mit ihnen sämtliche Kultureinrichtungen der Donaumetropole und aller anderen Städte. Statt „Alles Walzer!“: „Alles Virus“.

Humor und Musik statt tödlicher Stille

Das Virus beherrscht sämtliche Medien und alle Gespräche der Mitmenschen. Es macht Angst, evoziert archaische Todesängste – aber zugleich gibt es eine Gegenreaktion: Humor, schwarzer Humor natürlich, Galgenhumor. Und: Musik. Sie erklingt als Serenade von italienischen Fenstern und Balkonen, in Wiener Hinterhöfen und von den Apartment-Hochhäusern in Tel Aviv, die zu riesigen, improvisierten Party-Schauplätzen geworden sind. Sie tönt uns aus Laptops und Fernsehgeräten entgegen – denn die großen Opernhäuser der Welt bieten jetzt tägliche, kostenlose Streaming-Programme ihrer Opernrepertoires an: eine hervorragende Idee, denn wenn schon die Menschen nun plötzlich per Gesetz gezwungen werden, zu Hause zu bleiben, soll sich dieses Zuhause zu einer von hunderttausenden, ja Millionen von Opernlogen weltweit verwandeln. „Ritterbands Klassikwelt 10: „Alles Virus!“ – Tod und Musik“ weiterlesen

Ritterbands Klassikwelt 9: Salome

von Charles E. Ritterband

Meine Tochter heißt Salome. Alle drei Kinder tragen Namen aus der Welt der Oper: Salome, Orfeo, Ulisse. Doch die ganz besondere Ehre gebührt Salome, als der ersten.

Oft werde ich gefragt, welche denn meine Lieblingsoper sei – unter den vielen herrlichen Werken, in denen ich so oft schwelge, von deren Aufführung ich schwärme (oder, mitunter, entsetzt bin). Zugegeben – Salome ist vielleicht nicht gerade meine Lieblingsoper. Aber es ist ganz entschieden das Werk, das mich unter allen Opern am meisten fasziniert. Dies ist das kompakteste, expressivste Werk der gesamten Opernliteratur. Das Thema ist zeitlos (siehe #Me.Too): der in der Welt der griechischen Sagen immer wieder vorkommende Topos der unendlich schönen, begehrten, missbrauchten jungen Frau (die Oper geht vom ersten Satz an direkt zur Sache: Narraboth  –“Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht“ – eine vergleichbare Direktheit, die uns, sobald sich der Vorhang hebt unmittelbar in die Handlung hineinreißt gibt es sonst nur bei Verdis „Othello“). Die fein ausgearbeitete, des Humors nicht entbehrende psychologische Dimension (das Dreiecksverhältnis Salome-Herodias-Herodes, die verwöhnte Mädchen aus reichem, mächtigen Haus, das alles haben kann, aber nur das Eine will, das ihr verboten ist. Und die erwachende, noch ziellos herumirrende Sexualität der jungen Mädchen, die sich auf dieses völlig andere, faszinierende, verbotene fokussiert: Den Propheten im Kerker. „Ritterbands Klassikwelt 9
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Ritterbands Klassikwelt 7 / 2019: Toscas verschwundenes Bein

Auf ihrem Grabstein steht in goldenen Lettern: Sarah Bernhardt 1844 – 1923. Im Grab modern ihre sterblichen Überreste – minus ihr rechtes Bein. Dieses ruhte an einem wesentlich weniger feierlichen Ort: Fast 600 Kilometer südwestlich von Paris, in einem Depot der Medizinischen Fakultät an der Universität von Bordeaux.

von Charles E. Ritterband

Während die Netrebko gegenwärtig an der Mailänder Scala als Floria Tosca neue Triumphe feiert, fallen mir einige der zahlreichen Anekdoten ein, die sich um Puccinis Oper ranken. Da wäre vor allem jene bekannte Geschichte mit der Sängerin, die sich beim Bühnenpersonal so unbeliebt gemacht hatte, dass diese der Diva einen bösen Streich spielten: Sie platzierten hinter der Engelsburg statt der üblichen Matratzen, die den Todessprung der Tosca aufzufangen hatten, ein Trampolin. Und die verdutzte Sängerin, statt wie vorgesehen im Jenseits zu verschwinden, tauchte hinter der Kulisse mit einem ungeplanten Luftsprung wieder auf. Sehr zur Begeisterung des Publikums. „Ritterbands Klassikwelt 7 / 2019
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Ritterbands Klassikwelt 6 / 2019: Warum "Rigoletto" meine Lieblings-Verdi-Oper ist

von Charles E. Ritterband

Wer mich nach meiner Lieblingsoper fragt erhält, je nachdem, welche ich zuletzt gesehen habe, unterschiedliche Antworten. Wer mich jedoch nach meiner meistgeliebten Verdi-Oper fragt, erhält nur diese eine Antwort: Rigoletto. Ich bin ein glühender Bewunderer der Werke von Giuseppe Verdi, doch dieses eine verkörpert vielleicht mehr als andere die ganze Genialität dieses Komponisten: Die herrliche, berührende Musik, die packende Story, die jedem Thriller ebenbürtig ist, und die kühnen, experimentellen musikalischen Effekte. In der berühmten Opern-Trilogie „Rigoletto“, „Il Trovatore“ und „La Traviata“  ist das erste Werk zweifellos das innovativste.

Verdis Meisterwerk

Mit dieser Meinung bin ich in bester Gesellschaft – nämlich jener des Meisters selbst. Verdi hielt den „Rigoletto“ für das beste seiner Werke. Verdi schrieb an seinen Rigoletto-Librettisten Francesco Maria Piave im Jahr vor der Uraufführung – wohl um ihn für dieses Projekt zu gewinnen: „Das Sujet ist groß, immens und enthält eine Figur, die eine der größten Schöpfungen ist, deren sich das Theater aller Länder und aller Zeiten rühmen darf!“ „Ritterbands Klassikwelt 6 / 2019
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Ritterbands Klassikwelt 5 / 2019: Wo liegt Titipu ?

In Gilbert und Sullivan’s Titipu (beziehungsweise Japan) galten in der Tat drastische Strafen für ein „schweres“ Vergehen: Auf Flirten stand die Todesstrafe durch Enthauptung. Und dies nimmt bereits den Kern der Handlung des „Mikado“ vorweg.

von Charles E. Ritterband

Wo liegt Titipu? Das Land ist auf keinem Globus, keiner Weltkarte zu finden. Und doch existiert es. In einer Oper. Einer komischen noch dazu. Und dieses legendäre Land hat einen Herrscher. Er trägt den Titel „Mikado“. Und so heißt die komische Oper von Gilbert und Sullivan, Gilbert dem größten englischen Librettisten seiner Generation und Sullivan, dem führenden Komponisten seiner Zeit: der viktorianischen Ära. Der Mikado wurde auf dem Höhepunkt in jener glorreichen historischen Epoche des britischen Kolonialismus uraufgeführt, am 14. März 1885 im Savoy-Theatre am Londoner Strand. Knapp zehn Gehminuten vom heute noch existierenden Savoy wird vor ausverkauftem Haus, im London Coliseum (dem größten Theater der Theaterstadt London), das Stück jetzt wieder gezeigt – in einer phänomenalen Produktion der English National Opera ENO. Das „Savoy“ ist übrigens ein sozusagen legendäres Luxus-Hotel, und das Theater befindet sich tief im Untergeschoss dieses Gebäudes. Kein Wunder, dass die „Mikado“-Inszenierung den Art Déco Stil der 1920er-Jahre, in dem auch jenes berühmte Hotel erbaut ist, aufnimmt. „Ritterbands Klassikwelt 5 / 2019
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Ritterbands Klassikwelt 4/2019: Mozarts Humor

Der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis schreibt: „Mozarts Humor ist Punk-Humor“ – was von vielen Mozart-Verehrern nicht wirklich wahrgenommen werde.

von Charles E. Ritterband

Mozarts Humor hatte viele Nuancen: Kindisch (etwa der vierstimmige Kanon „Bona nox! Bist a rechta Ox“ KV 561), mal maliziös, mal selbstironisch. Der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis schreibt: „Mozarts Humor ist Punk-Humor“ – was von vielen Mozart-Verehrern nicht wirklich wahrgenommen werde. Mozarts Verhalten sei immer exzentrisch gewesen. Die berühmten Bäsle-Briefe („allerliebstes bäsle häsle“) beispielsweise enthalten groben Schabernack und Nonsens bis hin zu derben Fäkalscherzen. „Ritterbands Klassikwelt 4/2019
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Ritterbands Klassikwelt 3/2019: Tyrannen auf der Opernbühne – und wie sie enden

Tyrannen sind natürlich Macbeth und Boris Godunov und – zumindest aus Schweizer Sicht – der Prototyp für alle Tyrannen: Der habsburgische Landvogt Gessler in Rossini’s Wilhelm Tell. Giacomo Meyerbeers Prophet wird in der gleichnamigen Oper mehrmals als „Tyrann“ bezeichnet – unter anderem von seiner eigenen Mutter Fidès. Es gibt Anti-Tyrannen, die nur gut und positiv sind, wie Titus in Mozarts „Clemenza di Tito“, und es gibt Tyranninnen, also Tyrannen weiblichen Geschlechts – Turandot in Puccinis letzter (und unvollendeter) Oper, die grundsätzlich alle Freier einen Kopf kürzer machen lässt, welche ihre drei ziemlich lapidaren Rätsel nicht erraten.

von Charles E. Ritterband

Das Personal der Opern besteht üblicherweise aus mehr oder weniger tragisch Verliebten, weniger aus erfolgreichen und meist aus gescheiterten Helden. Auffällig ist aber die Häufigkeit der Tyrannen auf der Opernbühne.

Die Liste ist lang: Sie reicht vom brutalen Römer Polizeichef Scarpia, der den politischen Gefangenen Angelotti in den Tod treibt und den Künstler Cavaradossi trotz Zusicherungen erschießen lässt, vom Gouverneur eines Staatsgefängnisses bei Sevilla, einem gewissen Don Pizarro, der den Gefangenen Florestan im tiefsten, dunkelsten Kerker verborgen hält und ihn möglichst bald aus der Welt schaffen will – bis hin zu den kleinen Tyrannen im eigenen Haushalt, wie den Doktor Bartolo, der sein Mündel Rosina wie eine Gefangene hält und Graf Almaviva, der eben diese Rosina zu seiner Gräfin macht und dann in seinem Schloss herrscht wie ein Despot und der trotz aller Versprechungen nicht auf das althergebrachte „ius primae noctis“ verzichten will und mit List und Tücke versucht, Susanna, die Braut seines Kammerdieners Figaro noch in der Hochzeitsnacht ins Bett zu kriegen. „Ritterbands Klassikwelt 3/2019 klassik-begeistert.de“ weiterlesen

Ritterbands Klassikwelt 2/2019: "Toi toi toi" – Gruß aus der Hölle

Das Theater, die Bühne war einst ein kultischer Ort – ein Ort der Rituale, der Geister, des Übersinnlichen. Und bei diesen Ritualen hatten seit jeher auch die Götter der Unterwelt ihre Hand im Spiel. Deshalb ist der Teufel im Theater stets präsent, er sorgt für Hänger, Versprecher, krächzende Töne der Opernsänger, herabstürzende Kulissen und, wie im „Phantom of the Opera“, einen herabstürzenden Kronleuchter.

von Charles E. Ritterband

In manchen Opern und mancher Operette tritt höchstpersönlich der Teufel auf und es wird fröhlich zur Hölle gefahren – von Gounods „Faust“, Boitos „Mefistofele“ über Berlioz‘ „La damnation de Faust“ bis hin zu Offenbachs „Orphée aux enfers“. Aber keines dieser Werke hatte eine derart katastrophale Wirkung wie dieses: „Hoffmanns Erzählungen“. Denn, so will es die Legende, dieses Werk sei schuld an der schlimmsten Theaterkatastrophe der Geschichte: Dem Brand des Wiener Ringtheaters am 8. Dezember 1881, dem (nach offiziellen Angaben) 384 Theaterbesucher zum Opfer fielen. „Ritterbands Klassikwelt 2/2019
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Ritterbands Klassikwelt 1 / 2019 – Liebe, Sex, Tod: Don Giovannis Verdammnis und Werthers Leiden

Ist Don Giovanni Casanova? Ist Don Giovanni da Ponte? Oder ist Don Giovanni Mozart? Unser Autor sagt: etwas von alledem.

von Charles E. Ritterband

Anfang Woche hatte ich das Privileg im Londoner Royal Opera House an zwei aufeinander folgenden Abenden zwei völlig unterschiedliche Opern sehen zu dürfen: Mozarts „Don Giovanni“ – für manche die „Oper aller Opern“ – und Massenets „Werther“.  Die beiden so verschiedenen Opern – die weltberühmte Barock-Oper und das (bis auf eine wunderschöne Arie) nicht ganz so bekannte Werk der Hochromantik – scheinen nichts gemeinsam zu haben.

Der lustige Bösewicht und der fade Gutmensch

Und doch, bei genauerem Hinsehen: Beide haben ziemlich viel mit der Biographie derer zu tun, die sie schufen und inspirierten. Beide handeln, auf höchst unterschiedliche Weise allerdings, von Liebe und Tod – und von jeweils einem männlichen Protagonisten. Bezeichnenderweise ein Bariton in der einen, ein Tenor in der anderen Oper. Der Bariton ist, wie immer, der Bösewicht, der Tenor der Gute, Arme. Aber, seien wir ehrlich: Unser Interesse (vielleicht auch unsere insgeheime Sympathie) gehört doch immer dem Teufel. Denn der ist allemal spannender als alle anderen, der ist zwar teuflisch, aber lustig. Die Guten mögen schön singen (wie Don Ottavio, der ja auch nie zum Zug kommt im „Don Giovanni“), aber die Bösewichte sind wesentlich unterhaltender. „Ritterbands Klassikwelt 1/2019 auf klassik-begeistert.de“ weiterlesen