Das Jazz-Festival in St. Moritz – ein heiterer Lichtblick in Corona-Zeiten

Das Jazz-Festival in St. Moritz – ein heiterer Lichtblick in Corona-Zeiten

Foto: Stazersee © Henry Schulz

Festival da Jazz St. Moritz

von Charles E. Ritterband

Die sanfte Rückkehr zur Normalität ist Programm dieses 13. „Festival da Jazz“ in der renommierten Alpenmetropole St. Moritz: „A gentle return to live music” lautet subtil der Titel des wiederum sehr umfangreichen Programmhefts. Das diesjährige Jazz-Festival dauerte vom 16. Juli bis zum 2. August; es trotzte tapfer dem Ausnahmezustand, der ja auch die Schweiz beherrschte: Die meisten Konzerte fanden (bei herrlichem Sommerwetter übrigens) unter freiem Himmel statt, in der Waldlichtung des Taiswald von Pontresina nahe St. Moritz beispielsweise – ein traditioneller Ort für Musik, werden doch an diesem idyllischen Ort seit 110 Jahren, seit 1910 die berühmten Kurkonzerte der Camerata Pontresina abgehalten. Oder auf der „Lakeside Stage“ am St. Moritzersee, vor atemberaubender Bergkulisse, dann wieder auch im Country Club des eleganten Kulm-Hotels und auf der Terrasse des Café Hauser mitten in St. Moritz.

Krisen, so schreiben die Veranstalter im Programmheft, hätten den vorteilhaften Nebeneffekt, die Kreativität zu fördern. In der Tat war beim diesjährigen Jazz-Festival auf Schritt und Tritt ein heiterer, spontaner Geist zu verspüren, der einen mitriss und – nach Monaten der bangen Ungewissheit – heiter stimmte. Natürlich wurden Vorsichtsmaßnahmen strikte eingehalten: Die jungen Leute, die das Ganze in Gang hielten, trugen Masken und achteten konsequent darauf, dass sich die Besucher auf Listen eintrugen, damit allfällige Ansteckungsquellen rasch geortet werden konnten. Die Distanz zwischen den Zuhörern wurde strikte eingehalten. Auch im authentischen Theatersaal des viktorianischen Hotels „Reine Victoria“ – obwohl man sich in diesem geschlossenen Raum dann doch eher etwas unsicher fühlte.

Weil wegen der besonderen Umstände deutlich weniger Musiker als in anderen Jahren aus dem Ausland anreisen konnten, stand hier der europäische Jazz im Mittelpunkt. Auffällig viele Schweizer Gruppen, präsentierten sich dieses Jahr– vom bekannten Konzeptkünstler Dieter Meier, der zwischen seiner Gaucho-Existenz in Argentinien und seinem erfolgreichen Restaurant im Zentrum von Zürich pendelt, über den Singer-Songwriter James Gruntz, über den virtuosen Saxophonisten Peter Lenzin mit seiner Band bis zur munteren Zürcher Band Ida Jane.

(c) Ida Jane

Keine ursprüngliche Schweizerin, aber eine Wahlschweizerin ist die aus New York stammende Lilly Martin, die sich ganz der Blues und Soul-Musik verschrieben hat. Die aus Basel-Land stammende Nicole Bernegger wird zu Recht als die Schweizer „Queen of Soul“ charakterisiert. Begeistert hat uns Afra Kane, eine temperamentvolle Pianistin und Sängerin, die ihre nigerianischen Wurzeln und Elemente klassischer Musik zu einer eigenwilligen Synthese verschmelzen lässt. Marla Glen knüpfte mit ihrer rauchigen Männerstimme und demonstrativer Coolness an höchst unterschiedliche Vorbilder an und die Südkoreanerin Younee erinnert mit ihrer improvisatorischen Meisterschaft an den großen Keith Jarrett.

Das diesjährige Festival da Jazz 2020 war eines der wenigen Sommerfestivals mit Live-Musik, das der Corona-Krise trotzte. Die Veranstalter vollbrachten das Kunststück, die Sicherheitsregeln zu implementieren, ohne dass je der Eindruck von Gezwungenheit und Verkrampftheit aufkam – ganz im Gegenteil.

Dracula Club. Foto: © Henry Schulz

Einer der legendären Veranstaltungsorte früherer Festivals war der stets hoffnungslos überfüllte „Dracula Club“, der untrennbar mit dem Namen seines Gründers Gunther Sachs verbunden bleibt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich letzten Sommer Jazz-Konzerte auf einer steilen Treppe mitverfolgte, eingekeilt zwischen anderen Jazz-Fans und in ständiger Angst, vertrieben zu werden. Die Enge und Intimität dieses für Jazz so idealen Aufführungsortes war natürlich in Corona-Zeiten tabu – und, wie einer der Veranstalter launig betonte, Dracula sei ja eine Fledermaus und Fledermäuse seien heutzutage wohl eher unpopulär geworden…

Charles E. Ritterband, 4. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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