Glyndebourne trotzt der Covid-Krise mit englischem Humor und perfekter Organisation

Jacques Offenbach, „In the Market for Love” (Mesdames de La Halle),  Glyndebourne, 24. Oktober 2020

Offenbachs witzige Mini-Oper „In the Market for Love” (Mesdames de La Halle)

Foto: Glyndebourne, Zuschauerraum socially distanced zu 1/4 besetzt vor Beginn der Oper

Glyndebourne, 24. Oktober 2020
Jacques Offenbach, „In the Market for Love” (Mesdames de La Halle) 

von Charles E. Ritterband (Text und Foto)

Es war nicht das magische, sommerliche Glyndebourne, das ich seit Jahrzehnten so sehr schätze: Über Nacht war in England der Winter eingekehrt, es war dunkel, schüttete herunter, was es nur konnte, orkanartige Herbststürme haben die Blätter von den Bäumen gefegt im herrlichen Park, wo jeweils in den Pausen der Opernaufführungen in „Black Tie“ und langen Abendkleidern auf der Wiese neben weidenden Schafen und Kühnen die eleganten Picnics zelebriert werden und Butler den Champagner kredenzen. Jetzt hingegen wachten ältere Damen mit Argusaugen und Gesichtsmasken alle paar Meter peinlich genau auf die Einhaltung der Covid-Regeln, selbst die Autos auf dem Besucherparkplatz parkten „socially distanced“; das großartige, 1994 eröffnete neue Glyndebourne-Opernhaus mit 1200 Sitzplätzen bot jetzt nur noch 350 Plätze mit gebührendem Abstand – und statt der zeremoniellen, langen Pausen, die ja jeweils eine der Hauptattraktionen eines Opernabends in Glyndebourne waren, wurde ohne Pause durchgespielt.

Sinnvollerweise wurde eine nur eine Stunde zehn Minuten dauernde Kurzoper geboten – und deren Inszenierung stand ganz im Zeichen des Covid-Notstandes: Kuriose Situation, Covid war an diesem Abend das Leitthema  sowohl im Zuschauerraum (mit gebotenem Ernst) und auf der Bühne (mit typisch englischem Humor). Gegeben wurde Offenbachs turbulente Miniatur „Mesdames de La Halle“, hier in der englischen Bearbeitung von Stephen Plaice als „In the Market for Love”. Dieses entzückende Stück wurde in den Sommermonaten im Park aufgeführt, was ihm zweifellos einiges an zusätzlichem Charme verliehen hatte – schade haben wir das verpasst und mussten uns mit einer Aufführung im Innenraum begnügen. Glyndebourne war im Sommer ein Vorreiter – das erste Opernhaus, das nach Lockdown und temporärer Schließung sämtlicher Kulturinstitutionen wieder mit Open-Air-Aufführungen begonnen hatte.

Die Handlung dieses 1858 entstandenen Einakters verdient eigentlich keine Beschreibung – es ist eine reine Blödelei, erinnernd an die traditionellen englischen Weihnachts-„Pantomimes“ („Pantos“, wo die Erwachsenen im Zuschauerraum zu Kindern werden und Männer sich als Frauen verkleiden und wie im Kasperltheater mittels Zurufen mit dem Publikum kommunizieren. So auch hier, wo sich gestandene Männer Büstenhalter und Röcke umschnallen, um als Madame Beurrefondu, Mademoiselle Bouillabaisse, Madame Mangetout an ihren Marktständen zu agieren. Nicht nur die grobschlächtigen „Panto“-Gags erinnerten in dieser doch eigentlich französischen Oper des sehr französischen Komponisten Offenbach an das traditionelle England – auch die Musik selbst, denn vor allem im ersten Teil meinte man eine muntere Operette der englischen großen Operetten-Schöpfer Gilbert and Sullivan zu hören. Erst im zweiten Teil wurde dann Offenbach zum typischen Offenbach. In der Tat – Offenbach war älter als Gilbert and Sullivan und es ist verbrieft, dass der Komponist Arthur Sullivan den französischen Kollegen nicht nur kannte und schätzte, sondern mit ihm befreundet war (und seine Musik unüberhörbar zum Vorbild nahm).

Die Inszenierung sparte nicht mit (dick aufgetragenen) Anspielungen an die Covid-Situation: Am Anfang stellten sich (verkleidete) Polizisten vor den Vorhang und kontrollierten scharf die Einhaltung der Covid-Regeln, in der Mitte der Bühne stand stets eine überdimensionierte Plastic-Flasche mit Handgel, wer sich im Stück umarmte, musste sich in eine Ganzköper-Plasticfolie einwickeln, ehe dies geschehen konnte. Das Bühnenbild mit sichtbaren Konstruktionen der Kulissen und Scheinwerferbatterien vermittelte die Atmosphäre einer Theaterprobe – also des Provisorischen, Improvisierten. Der wohl beste Gag: Die Covid-Polizisten desinfizierten den Taktstock des Dirigenten und schoben einen Covid-Test in seine Nasenlöcher, bevor er den nunmehr offiziell Covid-freien Taktstock zur Ouverture heben durfte…

Das kleine, aber präzis und temperamentvoll spielende Glyndebourne-Tour-Orchester unter Ben Glassberg wurde der Operetten-Form mit viel Verve gerecht – man dachte amüsiert an die zahlreichen „Grossen“ Opern, die auf dieser zu den führenden Häusern Englands zählenden Bühne in all den Jahren zu sehen und hören waren. Es dauerte eine Weile, bis aus der (teils etwas kindisch wirkenden) Farce doch noch einige musikalische Höhepunkte zu vernehmen waren: Vor allem das Duett zwischen der Hauptfigur Ciboulette, virtuos, mit glasklarer Stimme und spritzigem Humor verkörpert von der hervorragenden britischen Sopranistin Nardus Williams und, als ihr „Liebhaber“ Harry Coe, der exzellenten schottischen Mezzo-Sopranistin Emma Kerr. Unter den Herren ragte als witziger Trommelmajor Raflafla und verlorengegangener Papa Ciboulettes der walisische Tenor Jeffrey Lloyd-Roberts hervor.

Dr. Charles E. Ritterband, 27. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Regie: Stephen Langridge
Bearbeitung: Stephen Plaice
Dirigent: Ben Glassberg
Ciboulette: Nardus Williams
Harry Coe: Emma Kerr
Major Raflafla: Jeffrey Lloyd-Roberts
Mademoiselle Bouillabaisse: Oliver Johnston
Madame Mangetout: Michael Wallace
Madame Beurrefondu: Rupert Charlesworth
Glyndenboourne Chor und Tour Orchester

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