„Gib Frieden, Herr, in unseren Tagen!“: Jordi Savall gewinnt die (sensiblen) Herzen in Hamburg

Jordi Savall, Dirigent und Gambe, Hespèrion XXI, Le Concert des Nations, La Capella Reial de Catalunya  Elbphilharmonie, 10. Mai 2024

„Krieg und Frieden“ – Konzert von und mit Jordi Savall für das Internationale Musikfest Hamburg

Jordi Savall © Daniel Dittus

Jordi Savall, Dirigent und Gambe
Hespèrion XXI
Le Concert des Nations
La Capella Reial de Catalunya

Elbphilharmonie, Großer Saal, 10. Mai 2024

von Dr. Andreas Ströbl

Die Sehnsucht nach Frieden, nein, das innige Flehen darum scheint immer dann der Distanz der musikalischen Rezeption enthoben zu werden, wenn es tatsächlich Krieg gibt. Und so bestand das Konzert von Jordi Savall und einer großartigen Zusammensetzung aus drei Ensembles und Solisten am 10. Mai 2024 im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie zwar vor allem aus Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, aber der Musiker, Dirigent und Musikwissenschaftler stellte klare Bezüge zur aktuellen Lage her.

Bereits in seiner Einführung, die ebenso lohnend war wie das anschließende Konzert, machte er klar, dass die an diesem Abend so wohlklingende Musik vor dem Hintergrund härtester kriegerischer Auseinandersetzungen entstanden war, an deren Ende stets ein Friede stand, der nichts anderes war, als ein – wie heute – brüchiger Zwischenzustand: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

In seiner sympathischen und souveränen Art informierte Savall über Musik, Instrumente und historische Zusammenhänge – selbstverständlich auf ausgezeichnetem, elegantem Deutsch. Auch der kulturwissenschaftlich fundierte Text im Programmheft stammt von ihm.

Ein wahres Vergnügen war seine Vorstellung der vier wichtigsten orientalischen Soloinstrumente des Abends und derer, die sie virtuos beherrschen, nämlich der dem Psalterium verwandten Santur (Dimitri Psonis) und einem weiteren Saiteninstrument, der Kastenzither Kanun (Hakan Güngör); die Längsflöte Kaval (Nedyalko Nedyalkov) mit ihrem typischen, leicht heiseren Ton und die Oud (Yurdal Tokcan), die Urform unserer verschiedenen Lauten, vervollkommneten das Quartett.

Im bekannten türkischen Volkslied „Üsküdar’a Gider İken“, dessen Melodie auf dem gesamten Balkan bekannt ist, zeigten die vier Musiker ihr Können und die Fähigkeit, aus dem Stand heraus perfekt zu improvisieren.

Bereits für diese Einführung und als Begrüßung zum eigentlichen Konzert bescherten die Liebhaber und Verehrer Savalls dem Ausnahmekünstler begeisterten Beifall.

Savall hatte das Konzert chronologisch gegliedert und den historischen Ereignissen von der Eroberung des Iran durch Schah Abbas I. im selben Jahr 1618, in dem der Dreißigjährige Krieg ausbrach, bis zum Jahr 1714, in dem der Spanische Erbfolgekrieg und auch die katalanische Freiheit ihr Ende fanden, jeweils zeitlich und inhaltlich passende Musikstücke zugeordnet.

Jordi Savall, Dirigent und Gambe, Hespèrion XXI, Le Concert des Nations, La Capella Reial de Catalunya © Daniel Dittus

So setzten drei mitreißende Stücke des moldauischen Komponisten Dimitri Cantemir orientalische Akzente in das abendländisch dominierte Programm und es war wunderbar anzuhören, welche Harmonie durch das Miteinander dieser so unterschiedlichen Kunstrichtungen entstand. Der Hölderlin’sche Begriff der harmonischen Entgegensetzung trifft es hier ins Schwarze und es verwundert nicht, dass die durch die vier genannten Instrumente, eine zum Tanzen verführende Perkussion, die Langhalslaute und die Naturtrompete Karna vertretene Musik sich mit ihrer westlichen Schwester auf einem tönenden westöstlichen Diwan der Anmut und Eintracht niederließ. Wie heißt wohl „unsere“ lateinische musica auf arabisch? Geben Sie das Wort mal in ein Übersetzungsprogramm ein!

Beim Hören wurde auch klar, wo die vor allem durch Mozart bekanntgewordene Janitscharenmusik ihren Ursprung hat und vor allem, wie sie wirklich jenseits eines simplifizierenden Rezeptions-Tschingderassabum klingt.

Eine perfekte Einheit bildeten die von Savall und Montserrat Figueras gegründeten Ensembles „Le Concert des Nations“, „Hespèrion XXI“ und das Vokalensemble „La Capella Reial de Catalunya“, deren Solostimmen stets kristallklar aus dem choralen Miteinander herausstachen. Gerade der Bariton Mauro Borgioni bestach durch eine raumfüllende Präsenz.

Sakrale Innigkeit und aufrechte religiöse Inbrunst bestimmte einen großen Teil der abendländischen Stücke, nämlich die Motette „Qui confidunt in Domino“ von Kryštof Harant, das „Da pacem Domine!“ („Gib Frieden, Herr, in unseren Tagen“) von Heinrich Schütz, Johann Rosenmüllers „Siehe an die Werke Gottes“ und der Mariengesang von Wassili Titow. Bei letzterem mochte man geradezu den Holzduft einer russischen Dorfkirche riechen.

Barocker Festglanz strahlte aus Marc-Antoine Charpentiers „Te Deum“, dessen Präludium in seinen ersten Takten als Erkennungsmelodie der Eurovision zur akustischen Ikone geworden ist.

In Händels „Utrechter Te Deum“ erhob sich die Klang-Glorie in goldene Höhen und der zehnstimmige Chor erreichte die Stärke eines Klangkörpers, dem man bei geschlossenen Augen die doppelte Größe zugestanden hätte.

Jordi Savall © Daniel Dittus

Der klagende Ton bestimmte „Ay, qué dolor“ von Joan Cererols und „Catalunya en altre temps“, ein anonymer katalanischer Patriotengesang, der Savall offensichtlich besonders am Herzen lag.

Für den Abschluss des Konzerts hatte Savall das von ihm 2004 in Auftrag gegebene „Da pacem Domine“ von Arvo Pärt gewählt, das sich einzigartig harmonisch in das Gesamtgemälde fügte und deutlich machte, dass es hier nicht um verklärte Rückblicke auf Kriege geht, deren Grausamkeit uns durch die zeitliche Distanz weniger fassbar ist. Ein inniges, flehendes, so notwendiges Werk.

Die Zugabe nach langanhaltendem, enthusiastischem Applaus nahm den Klageton der beiden genannten Stücke auf; Savall widmete das Stück ausdrücklich allen Opfern der Kriege in der Ukraine und in Israel/Gaza, selbst in der bescheidenen Haltung der Demut.

Von diesem Begriff hatten viele im Publikum noch nie gehört, denn der Respekt gegenüber den Mitwirkenden und der Botschaft ihrer wundervollen Darbietung fehlte größtenteils völlig. Das Elphi-übliche Umherlaufen, Zuspätkommen und Früher-Rausgehen war an diesem Abend besonders schlimm. Es wurde in ganzen Familien aus großen Wasserflaschen getrunken, Typen in Cowboyhüten und Baseballkappen, die sich vom Hafengeburtstag in die Elphi verlaufen hatten, glotzten unverständig auf das Podium und gelangweilte Kleinkinder räkelten sich über die Plätze. Ein hessischer Babbeler nutzte nicht die zahlreichen Applauspausen, um sich seiner Frau mitzuteilen, sondern die Piano-Stellen und hielt auch nach mehrfachen Hinweisen nicht den Sabbel.

Jordi Savall © Daniel Dittus

Zweimal wurde in die Musik hineingeklatscht und zwar gerade in die zarten Übergangsstellen, in denen der sensible Savall die Stücke aus unterschiedlichen Kulturen miteinander verband.

Lieber, verehrter Jordi Savall, tun Sie sich und Ihren wunderbaren Musikern den Gefallen und kommen Sie nie wieder zum Hafengeburtstag nach Hamburg!

Dr. Andreas Ströbl, 12. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

NDR Symphonieorchester / Matthias Goerne / Stanislav Kochanovsky Elbphilharmonie, 9. Mai 2024

Hamburger Kammerballett, Musique Mélancolique von Leon Gurvitch Elbphilharmonie, Kleiner Saal, 5. Mai 2024

CD Rezension: Ludwig van Beethoven, Missa Solemnis, Jordi Savall klassik-begeistert.de, 15. Januar 2024

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