klassik begeistert – Weihnachtsgeschichte 2022
Petra Spelzhaus und Ihre Partnerin Barbara Hauter leben in München. Ihre persönlichen und liebe-vollen Geschichten und Rezensionen erfreuen viele Fans. Petra hat diese Geschichte für alle LeserInnen sowie alle AutorInnen und Lektorinnen von klassik-begeistert.de aufgeschrieben. Als Herausgeber wünsche ich Ihnen in diesen besonderen Zeitläuften eine wohlbekömmliche, beseelte Weihnacht, eine Weihnacht, die Ihre Herzen, Seelen und Gefühle zur Ruhe kommen lässt – träumen Sie, wenn Sie träumen wollen; schweigen Sie, wenn Sie schweigen wollen und tanzen Sie von Herzen himmelhochjauchzend, denn vom Himmel hoch, da komm ich her… Herzlich, Ihr A.S.
von Dr. Petra Spelzhaus
Meine Weihnachtsgeschichte beginnt an einem lauen Sommerabend des Jahres 2022. Schmarren, Weihnachten ausgerechnet in den heißesten Sommer zu legen, der in Europa jemals aufgezeichnet wurde?!? Das ist fast so unsinnig wie eine Fußball-WM in der Wüste im Advent!
Was hat der Sommer neben Sonnenbrand noch zu bieten? Die Kultur erwacht aus ihrem Dornröschenschlaf. Konzerte sprießen wie Pilze aus dem Boden. Deutschland bewegt sich in Massen mit dem 9-Euro-Ticket kreuz und quer durch die Republik und bringt den Regionalverkehr an seine Grenzen und darüber hinaus. Die Sommer-Omikron-Welle nimmt an Fahrt auf.
Das könnte ein Grund für die sich überschlagenden Ereignisse in besagter Sommernacht sein. Nach einem ereignisreichen Arbeitstag in meiner Münchener Praxis gönne ich mir eine Mütze Feierabendschlaf, als mich ein penetrantes Handygebimmel aufschrecken lässt. Mein Instrumentenbauer wurde von der Agentin einer Sängerin kontaktiert, der Trompeter für einen Musikvideodreh sei krankheitsbedingt ausgefallen. Es werde dringend Ersatz für denselben Abend gesucht. Voraussetzung sei, dass die Trompete zum Playback überzeugend bedient werde. Ehrensache, dass ich aushelfe, verbanden mich mit besagter Sängerin doch gemeinsame Wurzeln. Wir wuchsen in benachbarten Ortschaften in der norddeutschen Tiefebene auf.
Mittels eiligst über einen Messangerdienst zugestelltem Foto weise ich meine optische Kompatibilität mit den anderen Darstellern nach. Die Agentin fordert mich auf, exakt das dort abgebildete Outfit zum Dreh mitzubringen. „Ist der knallorange Ledermantel mit farblich passendem Hut nicht ein bisschen zu warm für die sommerliche Hitze?“ Sie seien perfekt, es werde ein Weihnachtsvideo gedreht. Ich solle noch ein Paar Pumps mitbringen. Nach prägenden Erfahrungen im Studium besitze ich keine Pumps mehr. Als Knochendoktorin verteidige ich seitdem meine Füße erfolgreich gegen jede Form der Zwangshaltung. Ok, das Schuhproblem müsse dann am Set gelöst werden.
Mir bleiben noch exakt zweieinhalb Stunden, um von der Münchener Wohnung zum Set in einer Marktgemeinde an einem großen oberbayerischen See zu kommen. Problematisch war nur, dass sich meine mitzubringenden Utensilien auf zwei Wohnungen aufteilten, die zweite liegt in der Rosenheimer Gegend. Die beste Partnerin von allen ist gerade auf der Autobahn auf dem Rückweg von einer beruflichen Veranstaltung in Stuttgart. Sie wird prompt umgeleitet Richtung Wohnung 2, um die restlichen Kleidungsstücke und meine güldene Trompete zu organisieren.
Meine Haare werden einer Expresswäsche unterzogen, Kleiderbeutel, Hund und Ersatztrompete unter den Arm geklemmt, ab in das ÖPNV-Gewimmel. Am Münchener Hauptbahnhof teilt die Anzeigetafel mit, der Anschlusszug sei ersatzlos gestrichen. Auf zum Ostbahnhof! Dort zeigen sich wieder mal die Früchte der Liaison von bekanntem Regionalverkehrschaos und 9-Euro-Ticket. Die Anzeigetafel am Aufgang zum Bahnsteig behauptete der gewünschte Zug sei pünktlich, oben hieß es, der Zug verspäte sich um eine Stunde. Leider ist die obere Anzeige realistischer. Um doch noch die Chance zu wahren, pünktlich am Drehort zu erscheinen, wird meine Kurierfahrerin umgeleitet. Sie sammelt mich ein und liefert mich tatsächlich um kurz nach 22:00 mit quietschenden Reifen am Set ab.
Sie rast weiter zu Wohnung 2, während ich in der Garderobe auf die anderen Musiker stoße. Dort sitzt bereits ein Trompeter, der schneller war als ich, gestellt vom zweiten bekannten Trompetenbauer in Chiemgau. Er verkörpert mit seiner Brezel den Typ „Klassisch-elegant“, ich mit meinem Perinet-Ventil-Hörnchen die Typin „Jazzig verwegen“. Wir beiden sind so divers wie die Protagonisten des Sets. Da wir nun mal zu zweit sind, muss man halt das Beste draus machen.
Die anderen Bandmitglieder (Bass, Piano und Trompete, zwei Sängerinnen, von denen eine eigentlich eine Tänzerin ist) sind bereits klassisch schwarz eingekleidet. Ich werfe mich auf Anordnung der Stylistin ebenfalls in Schale. Kurz darauf kommt sie erneut auf mich zu und bittet mich, mein Drehoutfit anzuziehen. Ok, die quietschorange Kombi ist dann doch durchgefallen. Der Fundus wird hektisch nach etwas Geeignetem durchforstet. Es hängen viele Teilchen einer skandinavischen Modehauskette rum, aber nichts, was meine Lage verbessern würde. Ich fühle mich wie ein Rollmops in Aspik. Der in Tränen aufgelösten Stylistin werfe ich ein paar tröstende Worte zu.
Die Rettung kommt in Form der besten Kurierfahrerin, die man sich wünschen kann. Sie bringt neben Utensilien, die nun doch nicht mehr benötigt werden, auch ein kürzlich umgenähtes schwarzes Kleid meiner Schwiegermutter mit. Nicht gerade der letzte Schrei, aber aufgehübscht mit einem Paar langer schwarzer Handschuhe muss es schon gehen. Zum Leidwesen meiner Füße werden mir auch ein Paar mörderische Stilettos untergeschnallt, die mir meine Nachbarin freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Uns wird der bis dato noch geheime Weihnachtssong vorgestellt, zu dem wir performen sollen. Also schnell noch die Playback-Stellen raushören. Ich bin die letzte in der Maske. Die Zeit drängt. Zwei Ladies bemühen sich parallel um meine Schönheit. Eine trägt mir akribisch einen Lippenstift auf. Ich erwähne vorsichtig, dass er verschmieren würde durch die Trompete an den Lippen. Das sei kein Problem, er sei absolut permanent. Mein Magen knurrt, meine letzte Mahlzeit war ein Mittagessen. Leider kommt das Set ohne Snacks und Getränke aus. Eine perfekt präparierte Komparsin macht ihrem Unmut Luft, wie ich so unvorbereitet auf einen Dreh kommen könne. Ich entschuldige mich und gelobe Besserung.
Frage von der Regieassistenz, wie lange ich noch in der Maske brauche. Antwort der Visagistin: „Eine halbe Stunde“. „Die haben wir nicht“! „Gut dann eben zehn Minuten“. Aus meiner Hochsteckfrisur werden Wellen. Nach drei Minuten werden wir eiligst zum Drehort gerufen. Ich springe hektisch aus dem Stuhl in die Pumps und fühlte mich wie Aschenputtels Stiefschwester, nur umgekehrt. Die Schuhe sind zu groß und haben ein so beeindruckendes Gefälle, dass sie mich fast nach vorne herauskatapultieren. Schnellen Schrittes stakse ich zur ersten Szene in einem Eisenbahnwagon, dessen Gittereinstieg mir fast zum Verhängnis wird. Als nächstes mimen wir Komparsen auf dem mit Hilfe von Wattematten und weißem Schaum verschneiten Bahnsteig eine Kulisse von umtriebigen Reisenden. Mein wenig winterliches schulterfreies Kleid wird durch meine lässig umgehängte goldene Trompete kompensiert.
Unseren Auftritt als Band haben wir dann in einem weihnachtlich dekorierten Schiffsrumpf. Wir Trompeten werden hinter die beiden Backgroundsängerinnen platziert. Zum Glück kommt aus unseren Hörnern nur heiße Luft. Wir studieren eine Choreografie ein. Trompete rechts-links und wieder zurück. Zum Teil gelingt uns das sogar synchron. Meine Bigband Leaderin wäre stolz auf mich, fand sie doch meine Bühnen-Performance bislang zu wenig expressiv.
Die Sängerin schwebt in ihren High Heels mühelos übers Parkett. Ich hingegen verliere von Take zu Take in meinen Mörderpumps immer mehr an Standfestigkeit, meine Knie werden weich, der Schmerz bohrt sich durch meine Fußsohlen. Dann fühlte ich podologisches Weichei mich rehabilitiert: Die persönliche Betreuerin schiebt der Künstlerin in den Drehpausen Badelatschen unter die Füße. Einmal kommt sie auch auf mich zu. „Juhuu, bekomme ich jetzt Puschen?“ Sie zückt ein Wattepad und befreit mein Gesicht von verschmiertem Lippenstift.
Gegen 3:00 Uhr ist alles im abgedreht im Kasten. Das Team beglückwünscht und verabschiedet sich. Wir entschwinden mit unserem Zwangsohrwurm in die Nacht. Der Geist der Weihnacht legt sich für fünf Monate schlafen.
Am Folgemorgen schäle ich mich müde mit Muskelkater in den Waden aus dem Bett. War der Drehwahnsinn real oder nur ein wilder Traum? Beamen wir uns mal in die wahrhaftige Vorweihnachtszeit und werfen einen Blick in das mittlerweile veröffentlichte Musikvideo. Für den Bruchteil einer Sekunde glaube ich, eine ausgesprochen attraktive Trompeterin mit Wellenfrisur und gequältem „Nehmt-mir-endlich-diese-Waffen-an-Schuhen ab-Blick“ entdeckt zu haben. Mein Name hingegen taucht im Abspann nicht unter den Darstellern auf. Was in dieser ominösen Nacht wirklich geschehen ist, bleibt das Geheimnis der Weihnacht…
Mittlerweile besuchte ich im Advent wieder die besagte – diesmal ganz ohne Watte und Schaum – verschneite Marktgemeinde und erlebte wahrlich wunderliche Dinge in einem Postamt, das keines sein wollte. Aber dazu mehr – Achtung: Cliffhanger – in einem Jahr…
Im Namen des Klassik-begeistert-Teams wünsche ich allen eine ruhige, besinnliche oder je nach Gusto auch wilde Weihnachtszeit.
Petra Spelzhaus, 24. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Spontan sprang Dr. Petra Spelzhaus, Jahrgang 1972 und wohnhaft in München, bei der Jazzahead 2019 für eine erkrankte Kollegin ein und berichtete vom Partnerland Norwegen für klassik-begeistert.de. Ehe sie sich versah, war sie Autorin. Sie qualifizierte sich schon früh für die Musiksparte, kannte sie doch bereits alle Komponisten ihres Quartett-Kartenspiels auswendig, noch bevor sie richtig sprechen konnte. Schweißtreibende Jahre folgten beim Versuch diverse Instrumente spielen zu lernen. Als Jugendliche traf sie ihre große Liebe, die Trompete. Nach zunächst klassisch geprägter Ausbildung stieß sie auf Jazz- und Weltmusik. Es fiel ihr wie Schuppen von den Ohren: „Ich will musikalisch frei sein und improvisieren.“ Namhafte Professoren unterstützen sie bei dem nahezu unmöglichen Unterfangen. Getreu ihrem Motto „Life is Jazz“ möchte die ganzheitlich tätige Ärztin Auge und Ohr auf Klassik-begeistert für die Jazzmusik öffnen. In der Kolumne „Dr. Spelzhaus Spezial“ informiert sie from time to time über Medizin und Musik.
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