Nordische Romantik trifft auf Klarinettenorgasmus in der Elbphilharmonie

NDR Elbphilharmonie Orchester, Christoffer Sundqvist, Esa-Pekka Salonen  Elbphilharmonie, Hamburg, 27. Januar 2022

Elbphilharmonie, Hamburg, 27. Januar 2022

Foto: Esa-Pekka Salonen, (c) Credit: Mike-Ranta/Los Angeles Philharmonic

NDR Elbphilharmonie Orchester
Christoffer Sundqvist Klarinette
Dirigent Esa-Pekka Salonen

Carl Nielsen
Kleine Suite op. 1
Esa-Pekka Salonen
Kínēma / Fünf Szenen für Soloklarinette und Streichorchester
Edvard Grieg
Aus Holbergs Zeit / Suite im alten Stil für Streichorchester op. 40

Einführung mit Esa-Pekka Salonen und Julius Heile
19 Uhr / Elbphilharmonie, Großer Saal

von Andreas Schmidt

Es ist an diesem Donnerstag wieder einmal ein sehr beglückender Konzertabend mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester im Großen Saal der Elbphilharmonie am Hamburger Hafen. Am Pult ein ganz großer seiner Zunft, der Komponist und Dirigent Esa-Pekka Salonen aus Finnland, der aus dem Hamburger Rundfunk-Klangkörper das Allerbeste herauszuholen vermag: Konzentration, Spielfreude, Hingabe, Feinfühligkeit und ein wunderbares tutti-Gefühl.

Zurecht gewährt der Komponistendirigent zwei NDR-Musikern die Ehre, beim Schlussapplaus aufzustehen: dem Bratschisten Jan Larsen (Konzertmeister und Stimmführer) und dem Konzertmeister und Stimmführer Stefan Wagner (1. Violine) – beide hatten mit kurzen Solo-Parts überzeugt.

Zwei wunderbare Musiker vergisst Esa-Pekka Salonen an diesem Abend leider: Die wunderbar engagiert spielende Konzertmeisterin und Stimmführerin Christine Miesen und ganz besonders den Ausnahme-Cellisten Andreas Grünkorn, auch Konzertmeister und Stimmführer. Er war der einzige Cellist, der mit einem dunkelnougatbraunen Cello auf die Bühne kam – die anderen Cellisten hatten deutlich hellere Instrumente –, und er war schon bei den Anfangstakten zu Carl Nielsens wunderbarer Suite für Streichorchester op. 1 der Mann auf der Bühne, der seinem Arbeitsgerät die innigsten, die am meisten berührenden Töne (Tonfarbe: Edelnougat) zu entlocken vermochte. Dieser Andreas Grünkorn hätte zweifelsohne als erster aufstehen dürfen, ja müssen.

Liebe Leserinnen und Leser, der nur 75 Minuten lange nordische Abend mit Kompositionen des Dänen Carl Nielsen, des Finnen Esa-Pekka Salonen und des Norwegers Edvard Grieg vermochte mehr als zu fesseln und begeistern – ein kleiner, runder, facettenreicher Wurf….

… und das beste ist, SIE können diesen Abend HEUTE, an diesem FREITAG, 28. Januar 2022, 20 Uhr in der Elbphilharmonie noch erleben… im Großen Saal der Elbphilharmonie erleben.

Wer an diesem Abend nicht mehr hinaus mag, der kann das Konzert live am heimischen Kamin ab 20 Uhr bei NDR Kultur hören.

Die Komposition des jungen Carl Nielsen ist hinreißend schön und betörend, da kommen immer wieder Frühlingsgefühle auf an diesem hamburggrauregnerischen Tag an der Elbe Auen. Gerade in diese Stück fällt der Cellist Andreas Grünkorn im tutti als Leader immer wieder angenehm auf… das ist ja das Schöne an der Elphi, dass man auf besonders guten Plätzen wie im Bereich K in Ebene 15 fast jeden Musiker heraushören kann aus dem tutti, (wenn man gute Ohren hat). Auch Elphi- und Laeiszhallen-Generalintendant Christoph Lieben-Seutter zog es vor, nicht auf den Intendantensesseln in Ebene 12 sondern im Bereich K in Ebene 15 gleich hinter mir das Konzert zu verfolgen.

Das Kinema von Salonen ist, wie der griechische Name sagt, sehr bewegt und bewegend. Der Finne hatte bei seiner Komposition musikalische Kurzfilme vor Augen. Dies gelingt ihm immer wieder vom Gesamtklang her sehr gut, hier kommt er an seine großartige Komposition Gemini (Pollux und Castor, Uraufführung 26. Oktober 2019 in Los Angeles) heran, die zuletzt am Sonntag im schönen Saal erklang.

Ich würde mir persönlich Kinema zu Hause mit guten Boxen nicht anhören. Zu verkopft erscheint mir die Komposition, die zuerst vor gut einem Monat am 15. Dezember 2021 in Helsinki erklang. Das Klarinettenspiel des großartigen Finnen Christoffer Sundqvist (er kam in Schweden zur Welt) war in Sachen Intensität, Bewegungsfreude und Hingabe natürlich eine Nummer für sich, allein gefallen nicht allen Zuschauern die oft lange Passagen tragenden ganz hohen, schrillen Klarinettentöne.

Elbphilharmonie, Großer Saal (c) Claudia Höhne – dieses Bild entstand bei vollem Konzertbetrieb.

Wenn Sie noch mal Salonen live erleben wollen und sich zwischen Gemini und Kinéma entscheiden können und kein expliziter Klarinettenfreak sind, empfehle ich ihnen, sich für die ältere Komposition zu entscheiden. Gemini ist keine Kopfmusik, sondern Bauch- und Gefühlsmusik, die den Hörer in andere Sphären treibt und träumen lässt.

Christoffer Sundqvist (c)

Der Abend endete unspektakulär aber wunderschön mit einer Suite im alten Stil für Streichorchester, entstanden 1884: Aus Holbergs Zeit op. 40, komponiert vom Ausnahmekomponisten Edvard Grieg. Der Norweger schrieb die Suite anlässlich des 200. Geburtstages des großen Dichters Ludvig Holberg, dem „Molière des Nordens“, der 1684 in Griegs Geburtsstadt Bergen geboren und 1754 in Kopenhagen gestorben war.

Es schöner, besinnlicher Abschluss nach einem bewegten Klarinettenorgasmus.

Angenehm auch das Publikum (leider waren nur ein Drittel der Plätze besetzt bei 2G+ „mit Abstand“): Ein Konzert für Liebhaber, Neugierige, kein Mainstream. Kein Husten, kein Rascheln, kein Sabbeln, kein Handyklingeln, keine Fotos während der Aufführung. Und nur ganz vereinzelt Jacken über den Sitzen…. Wie ist das wohl zu deuten 😉 ?

Andreas Schmidt, 28. Januar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

NDR Elbphilharmonie Orchester, Esa-Pekka Salonen Elbphilharmonie, Hamburg, 23. Januar 2022

Elbphilharmonie Hamburg, Die Jacken der Spacken klassik-begeistert.de, 16. Januar 2022

Bravo! Elbphilharmonie-Chef sorgt endlich für Ruhe und Ordnung in seinem Haus, Elbphilharmonie Hamburg, 31. März 2019

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert