Sommereggers Klassikwelt 177: Der geniale Klavierbegleiter Gerald Moore war nie zu laut

Sommereggers Klassikwelt 177: Der geniale Klavierbegleiter Gerald Moore war nie zu laut  klassik-begeistert.de, 15. März 2023

Dem Briten Gerald Moore gelang es in beispielhafter Weise, die Rolle des Klavierbegleiters für Sänger vom unauffälligen Helfer zum adäquaten Partner zu entwickeln.

von Peter Sommeregger

Der 1899 geborene Gerald Moore wurde von seiner musikalischen Mutter nur unter Mühen zum Klavierspiel animiert, nach eigener Aussage entwickelte sich sein Sinn für Musik erst in seinen 20er Jahren. Nachdem die Eltern mit ihm nach Kanada auswanderten, erhielt er dort Klavierunterricht, auch an der Orgel wurde er ausgebildet. Sein Brot verdiente er zeitweise als Kirchenorganist und Klavierspieler bei der Aufführung von Stummfilmen. Um seine Ausbildung als Pianist abzuschließen, sandten ihn seine Eltern zurück nach England, wo er sein Klavierstudium fortsetzte. Früh entschied er sich, bevorzugt als Liedbegleiter, aber auch als Teil von Kammermusikensembles sich zu betätigen.

Bereits 1921 nahm er für His Master’s Voice seine erste Schallplatte auf, ab den 1930er Jahren festigte er seinen Ruf als exzellenter Begleiter, eine zunehmende Zahl prominenter Sänger schwor auf ihn als Klavierpartner. Als Frida Leider ihren einzigen Liederabend in der Londoner Queen’s Hall gab, wählte auch sie Gerald Moore als Begleiter. Die Liste der Sänger, mit denen er arbeitete, liest sich wie ein Who’s who der Zeit zwischen den 1920ern und dem Jahr seines Abschiedes vom Konzertpodium 1967. Erwähnt seien hier Hans Hotter, Christa Ludwig, Irmgard Seefried und seine bevorzugten Künstler Dietrich Fischer-Dieskau, Victoria de los Angeles und Elisabeth Schwarzkopf. Kaum eine Liederplatte erschien, an der nicht Gerald Moore beteiligt war, der zu so etwas wie einer Institution geworden war.

Durch seine immense Erfahrung diente er auch als gesuchter Ratgeber für Sänger, durch seine genaue Kenntnis des internationalen Lied-Repertoires konnte er wertvolle Anregungen geben. Im Jahr 1962 veröffentlichte er seine Autobiographie „Am I too loud?“, die 1963 auch in deutscher Sprache erschien. Die Frage war tatsächlich rein rhetorisch, kein Sänger hatte sich jemals über die Lautstärke von Moores Spiel beklagt. Im Falle der deutschen Sopranistin Frieda Hempel konnte er aber erst nach seinem Protest durchsetzen, auch die Nachspiele mancher Lieder spielen zu dürfen, die Sängerin wollte ihm dies anfangs nicht gestatten.

Als Moore sich entschloss, seine Konzertkarriere 1967 zu beenden, lud er Fischer-Dieskau, de los Angeles und Schwarzkopf zu einem letzten Konzert in die Londoner Royal Festival Hall ein. Dieses denkwürdige Konzert vom 20. Februar 1967 erschien als Schallplatte und ist bis heute auch auf CD erhältlich.

Wenn Moore sich auch von öffentlichen Auftritten zurückgezogen hatte, seine Aufnahmetätigkeit setzte er weiter fort. Als wahre Großtat kann man seine mit Dietrich Fischer-Dieskau unternommene Gesamteinspielung des gesamten Liedschaffens von Franz Schubert bezeichnen. Spätestens damit hat er sich ein Stück weit unsterblich gemacht.

Im Jahr 1987 starb Moore nach längerer Krankheit in seinem Heim in Buckinghamshire. Unzählige Tonträger haben sein Klavierspiel  für die Nachwelt konserviert.

Peter Sommeregger, 15. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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