Sommereggers Klassikwelt 28: Zeit zu reden, Zeit zu schweigen

Sommereggers Klassikwelt 28: Zeit zu reden, Zeit zu schweigen  klassik-begeistert.de

Beängstigend an der gegenwärtigen Situation ist der zum Mahlstrom angeschwollene Fluss von Botschaften, Halbwahrheiten und Stellungnahmen die ungefragt und weitgehend ungefiltert über uns hereinbrechen. Dabei scheint ein Missverhältnis zwischen ungesicherten Fakten und ihrer massenweisen Verbreitung zu bestehen. Je weniger man weiß, desto mehr wird hemmungslos schwadroniert, selbst offizielle Medien stoßen pausenlos ein schwer erträgliches Geschwürbel aus.

von Peter Sommeregger

Der Donnerschlag, mit dem das Corona-Virus in unsere scheinbar so perfekt organisierte Welt eingeschlagen hat, ist wohl nur einem Meteoriteneinschlag in der frühen Erdgeschichte vergleichbar. Die konkreten Folgen für unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und den Kulturbetrieb sind längst noch nicht absehbar.

Nicht zu wissen, nicht abschätzen zu können, was und wie lange es noch auf uns zukommt, beunruhigt uns alle. Die Politik gibt sich, schon aus psychologischen Gründen, als souveräner Beherrscher der Lage. Zusagen für großzügige Staatshilfen sollen erst einmal beruhigen. Die dafür notwendigen Mittel dürften aber ein Ausmaß annehmen, das selbst für gut gefüllte Staatskassen problematisch wird.

Entsprechend der beunruhigenden Gesamtsituation ist dies auch die Stunde der Medien, und all jener Menschen, die ihre Meinung öffentlich zu machen für sinnvoll halten. Keine Frage, Kommunikation ist grundsätzlich ein menschliches Grundbedürfnis. Man meint aber beobachten zu können, dass die erweiterten Möglichkeiten, die heute technisch dafür zur Verfügung stehen, sich auf die Qualität der Kommunikation kontraproduktiv ausgewirkt haben. Jedem ist es schon passiert, dass bei einer Verabredung dadurch ein Missverständnis entstand, weil man irgend eine Whatsapp –Nachricht oder SMS übersehen hat.

Beängstigend an der gegenwärtigen Situation ist der zum Mahlstrom angeschwollene Fluss von Botschaften, Halbwahrheiten und Stellungnahmen die ungefragt und weitgehend ungefiltert über uns hereinbrechen. Dabei scheint ein Missverhältnis zwischen ungesicherten Fakten und ihrer massenweisen Verbreitung zu bestehen. Je weniger man weiß, desto mehr wird hemmungslos schwadroniert, selbst offizielle Medien stoßen pausenlos ein schwer erträgliches Geschwürbel aus. Häufig anzutreffen ist inzwischen auch die Spezies unverstandener Wissenschaftler, die sich mit ihren teils kruden Thesen als alleinige Besitzer  der Wahrheit darstellen, einer Wahrheit die es momentan offenbar noch gar nicht geben kann. Und die durch die Verwendung professioneller Terminologie sogar durchaus glaubwürdig erscheinen.

Ungewissheit können wir Menschen offenbar schwer ertragen. Wir alle kennen das Pfeifen im dunklen Wald, mit dem man die Furcht vertreiben will. Das derzeit aber auf allen Kanälen hörbare Pfeifen ist zu einer unerträglichen Kakophonie geworden. Denken die Menschen eigentlich noch nach, ehe sie Texte posten, Kommentare abgeben und sich in die Endlosschleife der immer gleichlautenden Botschaften einreihen, die man auf drei Worte reduzieren könnte: wir wissen nichts!

Wie wohltuend wäre es, von den zum Teil peinlichen Ergüssen zahlreicher Hobby-Philosophen verschont zu bleiben, die sich auf einmal berufen fühlen, ihren kleinen Geist über Gebühr aufzublähen und auszustellen. Wie viel wertvoller wäre es, auch die eigenen Gedanken und Überlegungen erst einmal schweigend zu sortieren und zu ordnen. Vieles gibt es derzeit für jeden Einzelnen zu bedenken, in der letzten Konsequenz wird jeder von uns von den Auswirkungen der Pandemie  am Ende des Tages betroffen sein. Jetzt allerdings schon Szenarien zu entwerfen, wie manche Dinge in naher Zukunft verändert sein werden, was im Einzelnen auf uns zukommt, sind verfrüht und daher kontraproduktiv.

Die Verbreitung von Cartoons und kleinen Videos, die sich über das Hamstern von Toilettenpapier und ähnliche, eher erheiternde Begleiterscheinungen des Corona-Virus lustig machen, haben Hochkonjunktur. Auch das beginnt inzwischen inflationär zu werden, aber herzlich zu lachen ist sicher ein besseres Mittel gegen Ängste und Sorgen, als die Gedanken ständig darum kreisen zu lassen. Verordnen wir uns doch selbst Gelassenheit und heilsames Schweigen. In der Stille liegt die Kraft.

Peter Sommeregger, 24. März 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Peter Sommeregger

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de .

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