Dies zählt zu den vielen Ungerechtigkeiten der Musikgeschichte, an denen die ausgefallenen Programme der Sinfoniekonzerte der Staatskapelle Halle in dieser Saison etwas ändern wollen.
Foto: Wilhelm Stenhammar (1871-1927) © Gothenburg Concert Hall
Staatskapelle Halle, Fabrice Bollon (musikalische Leitung), Martin Sturfält (Klavier).
von Dr. Guido Müller
Der schwedische, international gefragte, leider hierzulande noch viel zu wenig bekannte Pianist Martin Sturfält brilliert in diesem Sinfoniekonzert mit dem technisch höchst anspruchsvollen, in Form und Klanglichkeit sehr originellen und vor musikalischen Einfällen sprühenden zweiten Klavierkonzert des schwedischen Pianisten, Dirigenten und leider in Deutschland kaum bekannten Komponisten Wilhelm Stenhammar (1871-1927) – uraufgeführt 1908 in Göteborg.
Wilhelm Stenhammar ist aus derselben Generation wie der viel berühmtere Finne Jean Sibelius (1865-1957), mit dem er befreundet war, und dessen gleichaltriger dänischer Kollege Carl Niesen (1865-1931), deren Werke das Klavierkonzert von Stenhammar einrahmen.
In Anbetracht des genialen und dreißig Minuten dauernden zweiten Klavierkonzerts von Stenhammar ist es absolut unverständlich, dass dieser schwedische Spätromantiker mit sehr persönlich geprägten Ausblicken in die Moderne des 20. Jahrhunderts kaum bekannt und nicht häufiger aufgeführt wird. In seiner Originalität und seinem Einfallsreichtum überragt es deutlich etwa Richard Strauss’ „Burleske“ für Klavier und Orchester. Aber auch viele andere spätromantische Klavierkonzerte, die oft mit überdrehtem Prunk auftreten.
Dies zählt zu den vielen Ungerechtigkeiten der Musikgeschichte, an denen die ausgefallenen Programme der Sinfoniekonzerte der Staatskapelle Halle in dieser Saison etwas ändern wollen.
Alle vier Sätze des zweites Klavierkonzerts von Stenhammar gehen ineinander über. Die vielen Inselstellen für Soli des Pianisten erinnern zunächst an Ludwig van Beethovens Viertes Klavierkonzert.
Doch über klassische und romantische Vorbilder führt das Klavierkonzert weit hinaus. Vor allem die Tonalität wird zunächst über die Chromatik etwa bei Richard Wagner oder Franz Liszt hinaus gehend erweitert durch kontrastierende Tonalitäten zwischen Klavier und Orchester, also Bitonalitäten vor allem im ersten Satz, der so starke Spannungen schafft, die auch zum Schluss des Satzes keine Aufhebung finden.
Weitere kühne Experimente folgen in den rhapsodisch und impressionistich angehauchten Episoden der folgenden Sätze „Molto Vivace“, „Adagio“ (mit wunderschönen lyrischen und stimmungsvollen Momenten) und „Tempo moderato“. Dabei werden Formen u.a. mit Einsprengseln schwedischer Volksmelismen immer wieder aufgelöst und sorgen für Überraschungen. Auch in den Farben der originell kombinierten Soloinstrumente. Dabei fallen die Holzbläser der Staatskapelle Halle durch exquisites Spiel auf, dem aber die Streicher besonders auch im gut abgestimmten Spiel ihrer Gruppen in nichts nachstehen. „2. Sinfoniekonzert, Händel-Halle Halle (Saale)
25. Oktober 2021“ weiterlesen

