Dornröschen: Neumeiers Ballette sind wie für die Seele geschaffen, sie reißen uns aus dem Alltag, lassen uns die Sorgen vergessen

Dornröschen, Ballett von John Neumeier  Staatsoper Hamburg, 3. Februar 2023

Madoka Sugai, Alessandro Frola und das Ballettensemble (Foto: RW)

Wie sich Madoka Sugai der roten Rose des schwarz gekleideten Prinzen (Matias Oberlin) immer wieder, wie von ihr gebannt, nähert, zurückschreckt, aber von diesem Symbol der erwachenden Sexualität auch nicht loslassen kann, wird von Madoka Sugai umwerfend interpretiert.

Dornröschen                                                                                                                                  Ballett von John Neumeier nach Marius Petipa
Musik: Peter Tschaikowsky


Staatsoper Hamburg, 3. Februar 2023

von Dr. Ralf Wegner

Eine Prinzessin sticht sich an einer Spindel und fällt, geschützt von einer Dornenhecke, in einen langen Schlaf. Erst Jahre später erlöst sie ein mutiger Prinz. Dieses Märchen steckt tief im Weltgedächtnis, wurde zuletzt von den Gebrüdern Grimm, davor in Frankreich von Charles Perrault und noch früher ähnlich in anderen Kulturen nacherzählt. Auch die Psychologie hat dieses Märchen gedeutet, als Erwachen der weiblichen Sexualität, als Verweigerung einer aufgezwungenen Ehebindung oder als autoaggressive Reaktion auf eine seelisch-emotionale Verletzung. Das erinnert auch an die orientalische Erzählung über die Prinzessin Turandot, die sich wegen eines sexuellen Übergriffs auf eine Urahnin mit einem seelischen Eispanzer umgürtet und erst durch die bedingungslose Liebe eines Prinzen Erlösung findet.

Vier Prinzen werben um Aurora, das 15-jährige Dornröschen, getanzt von der Ersten Solistin Madoka Sugai. Wie sie sich der roten Rose des schwarz gekleideten Prinzen (Matias Oberlin) immer wieder, wie von ihr gebannt, nähert, zurückschreckt, aber von diesem Symbol der erwachenden Sexualität auch nicht lassen kann, wird von Madoka Sugai umwerfend interpretiert. Dass sie daneben das Rosen-Adagio mit allen schwierigen Balancen superb, ohne jedes Händezittern meistert, wunderbar springt und daneben den emotionalen Kontakt zu den Eltern (Edvin Revazov und Anna Laudere) und zur Großmutter (Patricia Friza) nicht vernachlässigt, weist diese Tänzerin als eine der ganz Großen in der Riege der heutigen Ballerinen aus.

Ihr zur Seite steht Alessandro Frola als Prinz Désiré. Auch er ist noch ein Suchender, vom Leben mehr erwartend, als die kumpelhafte Romantik, der sich seine Freunde bzw. Zechgenossen hingeben. Das zeigt Frola in schwierigen, von Neumeier erdachten Soli, die weniger technisch, als mit innerer Hingabe überzeugen wollen. Daneben springt er aber auch hoch und weit, zeigt perfekte Doppeldrehungen und partnert ausgezeichnet, ohne je den Eindruck des Hebens mit Kraft zu vermitteln. Beide, Sugai wie Frola, tanzen mit hoher Musikalität und enden perfekt auf den Schlag der Noten, so wenn er sie im Grand Pas de deux wie eine Feder hebt und mit nach rechts gestrecktem Arm nur mit links in der Höhe hält.

Auch die weiteren Rollen waren gut besetzt, so mit Ida Praetorius als Prinzessin Florine und Christopher Evans als Catalabutte. Mit gelungenen Doppeldrehungen imponierte Francesco Cortese (Reichtum) in dem Pas de trois Amors Segen, zusammen mit Giorgia Giani (Frohsinn) und Ana Torrequebrada (Mut); Matias Oberlin agierte nicht nur als schwarzer Prinz, sondern auch als Oberhaupt der Dornen (mit seinen sprungmächtigen Dornengestalten Borja Bermudez, Nicolas Gläsmann und Artem Prokopchuk), mehr oder weniger gebändigt von der guten Fee Xue Lin, bei Neumeier als Die Rose tituliert. Fröhlich und aufgeweckt gerieten Spiel und Tanz der noch kindlichen Auroras (Suri Wang als sechs- und Rio Takeuchi als elfjährige Prinzessin).

Der blaue Vogel mit Ida Praetorius als Prinzessin Florine und Christopher Evans als Catalabutte, Amors Segen mit Ana Torrequebrada als Mut, Francesco Cortese als Reichtum und Giorgia Giani als Frohsinn sowie Madoka Sugai als Dornröschen und Alessandro Frola als Prinz Désiré (Foto: RW)

Wie sagte eine Dame neben uns? Neumeiers Ballette sind wie für die Seele geschaffen, sie reißen uns aus dem Alltag, lassen uns die Sorgen zumindest für eine Zeit lang vergessen. Neumeiers Dornröschen dauert lang, inkl. Pause fast drei Stunden, und ermüdet überhaupt nicht. Das liegt auch an der eingängigen Musik Tschaikowskys sowie den schönen Bühnenbildern und den Kostümen von Jürgen Rose. Am Ende gab es jubelnden Beifall, und stehende Ovationen (im Parkett, weiter oben blieb man sitzen) sowie Blumen für Madoka Sugai und Auroras Amme Niurka Moredo. Markus Lehtinen wurde für seine musikalische Leitung mit in den allgemeinen Jubel des ausverkauften Hauses einbezogen.

Dr. Ralf Wegner, 4. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dornröschen, Ballett, Musik Peter I. Tschaikowsky Staatsoper Hamburg, 28. Mai 2022

Dornröschen, Ballett von John Neumeier Staatsoper Hamburg, 27. Mai 2022

Dornröschen, Peter I. Tschaikowsky, Staatsballett Berlin Deutsche Oper, Berlin, 19. Mai 2022

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