Feuerwerk der Emotionen - „tragischer“ Abschluss des Schleswig-Holstein Festival-Orchester-Sommers

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 6 a-Moll, Schleswig-Holstein Musik Festival, Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, 20. August 2019

Foto © Axel Nickolaus
Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 6 a-Moll “Tragische”, Schleswig-Holstein Musik Festival, Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, 20. August 2019

Schleswig-Holstein Festival Orchestra
Christoph Eschenbach, Principal Conductor

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 6 a-Moll “Tragische”
Allegro energico, ma non troppo. Heftig, aber markig
Scherzo. Wuchtig – (Trio.) Altväterisch. Grazioso
Andante moderato
Finale. Allegro moderato – Allegro energico

von Elzbieta Rydz

Das letzte Konzert des Schleswig-Holstein Festival Orchesters im Sommer 2019 findet in der Elbphilharmonie statt. 120 Musiker, bis 26 Jahre alt aus 28 Ländern, bilden für einen kurzen Zeitraum von zwei Monaten einen Klangkörper, eine Einheit. Diese Besetzung ist auch unbedingt erforderlich, um  die 1904 fertiggestellte und 1906 in Essen uraufgeführte 6. Symphonie a-moll, das Meisterstück des Abends und des Festivalorchestersommers, die „Tragische“ von Gustav Mahler zu interpretieren.

Gustav Mahler hat in diesem Werk einen vielfältigen Reichtum an inneren thematischen Beziehungen und die emotional tiefschürfende Logik des musikalischen Denkens abgebildet.

Zeitlebens war Mahler auf der Suche nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Als Sohn jüdischer Eltern aus einem mährischen Dorf der österreichisch-habsburger Monarchie  hatte Mahler ein rätselhaft verstörtes Verhältnis zur Nationalität ; bezeichnete sich selbst als dreifach heimatlos – als „Böhme“ unter Österreichern, als Österreicher unter Deutschen und als Jude unter allen Nationen.

So erklingt in der 6. Symphonie die Einsamkeit als konkrete Einsamkeit des Musikers, der ein geistiges Ideal, ein neues Publikum, einen festen nationalen Boden sucht.  Als damalige Pionierleistung emotionaler und konstruktiver Kühnheit war die „Tragische“ von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Symphonik des 20. Jahrhunderts.

Schon mit der ersten Note im Allegro energico bauen die jungen Musiker eine Welt auf, die rau und brüchig ist – mit Mitteln des modernen Orchesters und der teilweise skurrilen Instrumentation, zu der ein ganzes Arsenal an Schlagwerk, traumhafte Herdenglocken aus nah und fern, zarte Celesta und Harfenklänge, seraphische Geigentöne gehören. Der Zuhörer bleibt auf der Hut. Gut und böse, schön und hässlich, scharfe künstlerisch gestaltete Kontraste und der verblendend verklärte, herrliche Schein wird der Realität gegenüber gestellt. Der erste Satz gipfelt in einem Trompetenmotiv, dessen leitmotivische Bedeutung für die ganze Symphonie unverkennbar bleibt:

Der helle A-Dur Dreiklang im fortissimo herausgeschleudert erstirbt im pianissimo des a-moll-Klagens. Die Ausweglosigkeit, Schicksalsfügung steht unentrinnbar der  Leidenschaft gegenüber. Was bleibt noch von der nicht lastenden, schönen, fast schwerelosen Welt?

Im  wuchtiges Scherzo gibt es kein Gleichgewicht, die Unruhe bleibt.  Die herrschsüchtige, raue Wirklichkeit könnte als innerer Kampf Mahlers gedeutet werden, der, so glücklich und erfüllt in dieser Schaffensperiode, seiner geliebten Frau Alma Mahler-Werfel, „dem schönsten Mädchen Wiens“, das Komponieren strengstens untersagt hatte. So lässt sich kein Ausweg aus der Traumlandschaft finden. Bizarrer Paukenrhythmus ruft durch das unstete Hin- und Her zwischen dem 3/8 und 4/8 Takt, die schwankende Dynamik, aufdringliche Sforzatti und brutale Schlagzeugeffekte grüblerische Gedanken hervor. Auch hier eine brilliante Leistung des jungen, paritätisch besetzten Orchesters.

Im 3. Satz folgt eine überschwänglich schöne, einhüllende und für einen kurzen Augenblick beruhigende Entspanntheit, die jedoch, angelehnt an die Kindertotenlieder, in zerklüftender, schroffer, satzbedrückender Todessehnsucht innerlich überspannt.

Das große Finale, in der Musikgeschichte eines der längsten Orchesterstücke, raubt durch die dreifache Ausführung des wuchtigen Hammerschlages die letzte Hoffnung. Das noch so drängend erkämpfte Aufbegehren, die immer wieder aufflammende und mitreißende Energie zerfällt. Was am Ende bleibt ist Tragik, tödliche Resignation und Schwermut.

An diesem Abend gelingt die von Mahler  gewünschte harmonische Neuerung, Erweiterung der Thematik und vielfältige Verknüpfung musikalischer Gedanken auf eine exzellente Weise. Die innere Überspannung der Gefühle entlädt sich immer wieder musikalisch aufs Neue. Das hervorragende Orchester verschmilzt in der Interpretation mit der tragischen Sehnsucht nach Überwindung, Klärung und Befreiung. Tschechische Folklore, österreichische Ländler, lyrische Intermezzi werden mit einer überbordenden Lebensfreude ausgeführt, selbst die Traurigkeit, die aus dem Bewusstsein des  eigenen und fremden Elends herrührt, bewegt.

Christoph Eschenbach bei Proben mit dem Schleswig-Holstein Festival Orchester in der ACO Thormannhalle Büdelsdorf © Marco Ehrhardt

Das von Christoph Eschenbach, dem Prinicipal Conductor,  aufs Minimum reduzierte Dirigat lässt Raum für persönliche Entwicklung und Zusammenwachsen.

Eine Meisterleistung. So viel Professionalität und hochkarätige Interpretation belohnt das begeisterte und dankbare Elbphilharmonie-Publikum an diesem Abend mit minutenlangen Standig Ovations.

Elzbieta Rydz, 21. August 2019, für
klassik-begeistert.de

 

 

2 Gedanken zu „Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 6 a-Moll, Schleswig-Holstein Musik Festival, Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, 20. August 2019“

  1. 1. Eigenmächtig hat Eschenbach die beiden Binnensätze ausgetauscht, obwohl es sicherer Erkenntnis geschuldet ist, dass diese Reihenfolge (Scherzo – Adagio) auf einer Fehlinformation seitens Alma
    Mahler beruht, dass nämlich dies auf einer Anordnung von Gustav Mahler beruhe, die er
    anlässlich eines von ihm selbst geführten Dirigates in Amsterdam angeordnet habe. Das ist schon deshalb falsch, weil GM die 6. Symphonie nie in Amsterdam dirigiert hat.
    2. Der dritte Hammerschlag im 4. Satz ,Takt 783 wurde ebenfalls eigenmächtig hinzugefügt: GM hatte ihn selbst gestrichen.
    Ständing ovations in Hamburg? Aber selbtsverständlich! Mahler hat dem Bremer Konzertpublikum
    Schwerhörigkeit attestiert, dem Hamburger Gehörlosigkeit.

    1. Seien sie gegrüßt, Herr Heinz-Peter Martin!

      Respekt, dass sie das wissen und heraushören. Punkt 2 wäre mir wahrscheinlich nicht aufgefallen, Punkt 1 hoffentlich schon! Es tut jedoch nichts zur Sache – zumindest nicht, um die Qualität des Abends zu beurteilen. Ob eine Vorstellung „gezündet“ hat oder nicht, wie ein Freund so schön zu sagen pflegt, sollte doch auf ganz anderen Kriterien basieren, als einem eigenmächtig hinzugefügten Hammerschlag.

      Zum Beispiel der Emotionen, die sie einem aus tiefster Seele und Herzen empor locken konnte. Am besten so hoch, bis das Wasser überquillt und die Tränen einen übermannen. Oder der Traumwelt, in der sie einen bis in die entferntesten Regionen und dunkelsten Tiefen entführen und fesseln konnte.
      Vor allem bei Mahler, aber auch bei Schostakowitsch. Schon alleine aufgrund deren Vita, der Entstehungsgeschichte der Werke und allen anderen Begleitumständen.

      Noch gar nicht erwähnt die teils unbeschreibliche Klangkulisse, die ein 100-Mann-Orchester erzeugen kann. Die alleine ist schon befähigt, einen alle möglichen Emotionen durchleben zu lassen. Unabhängig vom Gesamtkonzept. Ein einzelner Satz einer Mahler, Bruckner oder Schostakowitsch Sinfonie, ganz alleine, kann bereits unkontrolliertes Lachen, faszinierendes Stauen oder gar Unbehagen oder Angst auslösen, geschweige von den Tränen, die da fließen können.

      Dem soll doch um Gottes Willen ein eigenmächtig hinzugefügter Hammerschlag nicht im Wege stehen. Vielleicht jedoch die Tagesform des Orchesters und das Konzept des Dirigenten. Na klar! Vertauschte Sätze können schon irritierend sein. Aber sie sollten gemeinsam mit dem Paukenschlag nicht der einzige Punkt sein, um die Qualität der Performance zu beurteilen. Vielleicht tun sie das auch nicht, doch ihr Kommentar erweckt in mir diesen Anschein.

      Ihre Beurteilung wirkt mir all zu sehr dem Intellekt geschuldet. Der spielt natürlich keine unbedeutende Rolle. Jedoch sollte er im Hintergrund agieren. Bei der Beurteilung des Erlebten, den Intellekt und das Gefühl im idealen Verhältnis einfließen zu lassen, ist natürlich unheimlich schwer. Die größten Abende sind aber sowieso diejenigen, bei denen sich dieses „Problem“ gar nicht stellt. Erst wenn die emotionale Seite derart Überhand gewinnt, dass der klare Verstand in weite Ferne rückt, dann weiß man, man hat Einzigartiges erlebt.

      Diese Erlebnisse wünsche ich ihnen. Sollte es dieses Mal nicht der Fall gewesen sein, der ein oder andere große Abend wird sicherlich noch folgen.

      Jürgen Pathy

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