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Die Pianistin Sabine Weyer im Gespräch
von Hans Ackermann
„Schostakowitsch hat sich jetzt noch tiefer in meine Seele eingeprägt“– so fasst die Pianistin Sabine Weyer ihr Verhältnis zu Dmitri Schostakowitsch zusammen. Nach Werken von Debussy, Rameau, Bach und Mendelssohn hat die gebürtige Luxemburgerin mit dem zweiten Klavierkonzert von Schostakowitsch nun zum allerersten Mal Musik des russischen Komponisten aufgenommen. Und wer diese helle, lichterfüllte Aufnahme mit der Nordwestdeutschen Philharmonie unter der Leitung von Erich Polz hört, wird sofort verstehen, dass die 30 Jahre alte Musikerin, wie sie sagt, „enorme Lust“ bekommen hat, vielleicht bald schon wieder Musik von Schostakowitsch aufzunehmen.
Licht im Dunkel
Im Alter von sieben Jahren hat Sabine Weyer am Luxemburger Konservatorium mit dem Klavierunterricht begonnen – heute unterrichtet sie dort selbst und gestaltet ausserdem mit durchdachten Konzertprogrammen und CD-Projekten ihre Karriere als Solistin. Hervorragende spieltechnische Fähigkeiten ergänzen sich bei Sabine Weyer mit gründlichem Hintergrundwissen und vielen Ideen für eine kreative Programmplanung: „A Light in the Dark“, ein Licht in der Dunkelheit, diesen Titel habe selbstverständlich sie selbst für das neue Album ausgesucht, erzählt Sabine Weyer. Für gewöhnlich würde Schostakowitsch in vielen seiner Werke in vorwiegend dunklen Klängen erscheinen. Doch die jetzt aufgenommene „Festliche Ouvertüre“, die Sinfonie Nr. 9 und das von ihr gespielte Klavierkonzert Nr. 2 ließen den Komponisten „in einem anderen Licht“ erscheinen.
Familienangelegenheit
Tatsächlich ist das 1957 uraufgeführte Konzert wie geschaffen für diese vielseitige Musikerin. Weyer nennt das Werk „expressiv und virtuos“ und bescheinigt dem Konzert eine „Geradlinigkeit“, in der sie sich als Pianistin wohl fühlt. Natürlich kennt Sabine Weyer die familiären Hintergründe dieser Komposition genau: Schostakowitsch hat das Werk für seinen 19 Jahre alten Sohn Maxim komponiert, der das Konzert dann am Moskauer Konservatorium uraufgeführt hat. Eine akademische Umgebung, mit der auch Sabine Weyer bestens vertraut ist – sie hat ihr “Diplôme Supérieur” 2007 am Luxemburger Konservatorium erhalten, danach bis zum Masterabschluss bei Alexandar Madzar am Flämischen Konservatoriumin Brüssel studiert.
Balance
Bei der Aufnahme des Konzertes habe sie eine „Balance zwischen Pädagogik und Kunst finden müssen: „Im dritten Satz gibt es eine längere Passage, wo die Hände einfach Läufe spielen, auf und ab, wie in einer Etüde – nur Fingertechnik, ohne Inhalt !“ Diesen dritten Satz habe auch Schostakowitsch selbst als „leer“ bezeichnet. Sabine Weyer findet, dass der Komponist damit vielleicht zu streng mit sich selbst gewesen sei. Würde man dieses Konzert allerdings mit seinen anderen Werken vergleichen, mit den Sinfonien oder Streichquartetten, meint Sabine Weyer, dann habe Schostakowitsch mit seiner Einschätzung wohl auch Recht gehabt. Die Pianistin ist aber überzeugt davon, dass Schostakowitsch das Konzert ganz bewußt so ambivalent angelegt habe. „Genau darin steckt sein Genie: einerseits ein Lehrwerk zu schreiben, andererseits aber diese tiefere Ebene zu erreichen“. In diesen tiefen Schichten scheint auch die langjährige Auseinandersetzung zwischen dem Komponisten und dem Sowjetregime durch. „In einem besonderen Witz, den er in seine Musik einbaut, einem Witz, der Biss hat, der mit Ironie und Tragik eine groteske Verbindung eingeht.“
Reine Linie
Der langsame zweite Satz des Konzertes, meint Weyer, habe sie besonders herausgefordert. Denn dieser Satz sei in höchstem Maße „emotional geladen“. Deshalb habe sie der naheliegenden Versuchung widerstehen müssen, diesen hochromantischen, an Rachmaninoff erinnernden Satz, mit allzu viel Gefühl zu spielen. „Ich wollte eine reine Linie zwischen den drei Sätzen behalten, ein Spiel, das nicht überschwillt, nicht kitschig wird.“ Insgesamt sei das Konzert hervorragend geeignet, um wirklich jede Facette des Klavierspiels zu zeigen – Maxim Schostakowitsch jedenfalls, erzählt Sabine Weyer lachend, habe damals mit dem Konzert seines Vaters einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Kluge Wahl
Bei ihrer Hinwendung zum russischen Repertoire hätte sich die Pianistin zweifellos auch ein wirkungsvolleres Konzert aussuchen können. Und vielleicht wird Sabine Weyer eines Tages auch noch die Klavierkonzerte von Sergei Rachmaninoff aufnehmen – so wie viele junge Pianisten versuchen, mit diesen Werken eine eindrucksvolle Visitenkarte abzugeben. Doch hat Weyer mit „ihrem“ Schostakowitsch die für ihre Spielweise klügere Wahl getroffen. “Wenn ich sein zweites Konzert mit den beiden anderen russischen Komponisten – Rachmaninoff und Prokofieff – vergleiche, dann hat es eine Leichtigkeit, die die anderen beiden nicht haben. Es ist einfach nicht so überladen !“
Gemeinsame Wellenlänge
Ihr hervorragendes Zusammenspiel mit der Nordwestdeutschen Philharmonie resultiert aus intensiven Gesprächen mit dem Dirigenten Erich Polz, erzählt Sabine Weyer. Die hellen Klangfarben des Orchesters, die feinfühlig die Solostimme ergänzen, seien auch das Resultat dieses ergiebigen Dialogs. „Wir waren uns einig, haben eine gemeinsame Wellenlänge gefunden“, charakterisiert Weyer die künstlerische Zusammenarbeit. Das ausgewogene Verhältnis von Solo und Tutti sei natürlich auch schon in der Partitur, in einer durchdachten Orchestrierung, festgelegt. „In meiner Phantasie stelle ich mir Schostakowitsch als Pianisten vor, der sein Instrument nicht nur als Klavier, sondern wie ein kleines Orchester spielt.“
Zukunftsmusik
Welche weiteren Werke von Dmitri Schostakowitsch wird sich Sabine Weyer nun auf das Notenpult ihres Flügels legen ? Vielleicht seine „Präludien und Fugen“, meint die Pianistin, dazu vielleicht das erste Klavierkonzert, das Schostakowitsch 1933 für Klavier, Trompete und Streichorchester komponiert hat.
Ob Klavier solo oder Konzert mit Orchester – von Sabine Weyer wird sicher noch viel mehr Schostakowitsch zu hören sein.
klassik-begeistert.de, 4. Februar 2019