San Francisco Symphony: Da bleibt am Ende nix mehr übrig...

Kommentar: Zum abgesagten Konzert der San Francisco Symphony am 19.09.2024        

Davies Symphony Hall © Craig Mole

Bei der weltberühmten San Francisco Symphony lässt ein Chorstreik nun auch die zweite Hälfte der Saisoneröffnung platzen 

Kommentar von klassik-begeistert zum
abgesagten Konzert der San Francisco Symphony am 19. September 2024

von Johannes Karl Fischer

Eigentlich sollte ich am 19. September 2024 über die Saisoneröffnung der weltberühmten und international renommierten San Francisco Symphony berichten – der Weg von meinem Elternhaus in die Davis Symphony Hall beträgt etwas 30 Autominuten. So mein Auftrag.

Noch Ende August war hier ein zweiteiliges Konzert mit einer Pause angekündigt. Neben dem monumentalen und populären Verdi-Requiem sollten drei Chorwerke des zeitgenössischen Komponisten Gordon Getty in der ersten Hälfte aufgeführt werden. Anfang September verschwanden die drei zeitgenössischen Werke recht spurlos vom Programm, sie sollen „at a later date“ – zu einem späteren Zeitpunkt – nachgeholt werden. Die erste Konzerthälfte also ersatzlos gestrichen. Und wieder mal fällt die zeitgenössische Musik hinten runter.

Damit war aber längst nicht Schluss: Zwei Tage vor der feierlich geplanten Saisoneröffnung genehmigte die Gewerkschaft der ChorsängerInnen einen Streik des für Verdis Requiem unverzichtbaren Chores. Die Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft liefen allerdings vorerst weiter. Es bestand noch Hoffnung auf die zweite Konzerthälfte.

Voller Hoffnung, über die Saisoneröffnung in San Francisco zu berichten, machte ich mich also Donnerstag auf den Weg in die Symphony. Kaum hatte ich das Haus verlassen, kam die Nachricht: Der Chor streikt, das Konzert sowie die identisch geplanten Konzerte in den darauffolgenden beiden Tagen werden abgesagt. Ersatzlos gestrichen. Nun entfiel also auch die zweite Hälfte des Konzerts. Und die San Francisco Symphony – mit zahlreichen Tourneen in die wichtigsten Konzertsäle der Welt und 15 Grammy Awards auf dem Konto – steht ohne formelle Saisoneröffnung da! 

Vielleicht einfach eine nervige Krachmacherchorgewerkschaft, die hier wegen ein paar Prozent mehr Gehalt die halbe Klassik-Szene in San Francisco in Turbulenzen versetzt. Nein. Erstens geht es nicht nur um ein paar Prozent. Die Verwaltung der Symphony – ein Klangkörper von jahrzehntelangem Weltruf – wollte die Gehälter des dazugehörigen Konzertchors um 80% kürzen! Für jeden Chorsänger wären dann von fünf Dollar noch einer übrig geblieben.

Ganz so fair hätte man’s natürlich nicht verteilt: Laut der San Francisco Classical Voice plante die Verwaltung, den Einsatz der gewerkschaftlich organisierten Sänger substanziell zu reduzieren. Ein Vorgeschmack bietet bereits die aktuelle Situation. Der Chor der San Francisco Symphony besteht gerade einmal aus 32 Gewerkschaftsmitgliedern und 120 weiteren ehrenamtlichen SängerInnen. Die große Mehrheit des Verdi-Requiem-Chors wäre also umsonst aufgetreten.

Weil das nicht reicht, gibt es noch eine weitere Vorgeschichte. Denn nach dem Ende einer erfolgreichen fünfundzwanzigjährigen Ära unter der Leitung von Michael Tilson Thomas – genannt MTT – gelang in San Francisco mit dem nicht weniger bedeutenden Dirigenten und Komponisten Esa-Pekka Salonen der nächste Coup an der Spitze des Orchesters. Nur: Anders als MTT hatte Herr Salonen im März dieses Jahres angekündigt, seinen Vertrag nach gerade einmal fünf Jahren nicht zu verlängern. Seine Begründung: „I have decided not to continue as music director of the San Francisco Symphony, because I do not share the same goals for the future of the institution as the Board of Governors does“.

Seine künstlerischen Ziele entsprachen also nicht den Vorstellungen der Verwaltung. Wo genau da die Differenzen lagen, ist natürlich reine Spekulation. Allerdings hat die Verwaltung erst kürzlich Sparmaßnahmen angekündigt: Die Europatournee 2025 wurde abgesagt, die Konzertreihe für Kinder ausgesetzt und dann soll eben am Chor kräftig gespart werden.

Allerdings wurde ebenfalls diesen Sommer eine Sanierung und Ausbau des Konzertsaals – die Davis Symphony Hall – angekündigt. Für schlappe $100 Millionen. Zum Vergleich, das durch Sparmaßnahmen auszugleichende Haushaltsdefizit der Symphony beträgt momentan $12,5 Millionen. Was bitte sind das für Prioritäten? Sollte nicht erstmal die künstlerische Qualität des Orchesters gesichert werden und dann ein schicker Konzertsaal kommen?

Die San Francisco Symphony steht nun also ohne Generalmusikdirektor da, quasi ohne Chor und erstmal ohne internationale Tourneen. Ob eine Person, die annähernd in der künstlerischen Klasse eines MTT oder Esa-Pekka Salonen mitspielt, sich von diesem Orchester anwerben lassen wird, bleibt sehr fraglich. Der Abstieg aus der internationalen Orchesterliga ist vorprogrammiert. Allerdings mit einem brandneuen, millionenschweren Um- und Anbau der Davis Symphony Hall. To my fellow San Franciscans: This can’t possibly be the future of a world-class, internationally renowned orchestra that the San Francisco Symphony currently is and has been for many decades. Such a move would be unthinkable in New York, Boston or Berlin – so ein Manöver wäre in New York, Boston oder Berlin undenkbar.

Die erst halbierte, dann völlig gestrichenen Saisoneröffnung ist offenbar symbolisch für die aktuellen Turbulenzen dieses Weltklasse-Orchesters. Da bleibt am Ende nix mehr übrig. Die internationale Orchester-Champions-League droht ein traditionsreiches Mitglied zu verlieren.

Johannes Karl Fischer, 22. September 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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